Apr 29, 2009

Fast Berlin III

Die Fahrradklau-Paranoia ist in Berlin omnipräsent. Selbst Reiseführer werben damit, dass hier deutschlandweit (weltweit?) die meisten Zweiräder entwendet werden. Und die meisten Diebstahlfälle werden nicht mal aufgeklärt! Sowas aber auch! Wen wundert es wohl, wie die ganzen Räder auf die Flohmärkte kommen, wo sie mit übersprühten Rahmen für lau verkauft werden?

Die ständige Paranoia verleitet mich natürlich dazu, ein zweites Schloss für mein Rennrad zu kaufen. Doch der Verkäufer versetzt mich prompt:
«Rennrad schliesst man nicht ab»
Aha. Weil man es immer im Zimmer stehen haben sollte? Genau! So werden also die einförmigen Rennradfritzen geboren, die alle ihr Rad durch die Wohnung schieben. Fürs erste muss meins also auch drin stehen. Und fürs erste bin auch ich extrem vorsichtig, wo ich mein Stadtrad mit Seltenheitswert stehen lasse und ankette. Ich bin sogar so gutgläubig, dass ich jedesmal, wenn ich wieder zum Rad zurückgehe, erwarte, dass es weg ist. Auf diese Weise freue ich mich jedes, wirklich jedes Mal aufs Neue, es anschieben zu können, mich auf den Sattel zu schwingen und durch die Strassen zu brettern.

Ach ja

mit diesem Post sind es 102.

Senn heisst er

Ich dachte ja, wir würden unter den riesigen Kastanienbäumen draussen sitzen, mit übergezogenem Kopfhörer, und quasi open air erleben. So etwas habe ich mal von London gehört, dort gab es schon vor einigen Jahren diese headphone-clubs, in denen die Besucher jeder für sich die Erzeugnisse des DJs per Stream empfangen können und es für einen unverkabelten Ausstenstehenden so aussehen muss, als ob die Tänzer in die Stille hinein ein Schattenballett aufführen.

Aber: nein, wir werden nicht draussen sitzen, sondern in dem seltsamen, aus schlichtem Sperrholz gezimmerten Vorbau des Praters, in dem man sich ein wenig fühlt wie in einem Expo-Pavillon.

Apr 28, 2009

Fast Berlin II

Gestern hatte ich Jetlag. Die Strecke Mannheim-Berlin spulte sich unter mir ab wie ein Laufband, ich musste willentlich Pausen machen, sonst wäre ich vermutlich einfach weitergefahren und irgendwo in Brandenburg oder MeckPomm gelandet. Für meine staugeplagte Seele war das dann auch zu schnell, die kam nicht so ganz mit und fand sich erst gegen zwei Uhr nachts in der Wohnung ein, wo der Körper vom Kistentragen wie tot schon im Bett lag. Es ist Sonne, es gibt gutes Essen und erste Radtouren durch die Viertel. Auch der Vertrag für die nächsten drei Monate ist unterschrieben:

«Ihr Tarifentgelt richtet sich nach dem für Berlin (West) geltenden Entgelttarifvertrag und beläuft sich auf ...»

Ich bin also angekommen im Westen /im Osten /im Norden. Die Abende sind lang in der Hauptstadt, es gibt viel zu erleben. Nachfolgend einige Stationen:

-Aufgrund der derzeitigen Erwerbslosigkeit kommt die Suppenküche, die sich gerade um die Ecke befindet, gerade recht. Immer dienstags, Prenzl'Allee 242. Via iHeartberlin.

-Ist das zu fassen? Die vielbeschäftigten New Yorker Fischerspooner sind wieder in Europa. Kaum zu glauben, dass die es schaffen, neben ihrem Experimentaltheater in Big Apple auch mal wieder über den Teich zu performen. Kenne die neue CD zwar noch nicht, aber allein die Erinnerung an ihren Auftritt an der Streetparade 2005 in Zürich zieht mich hin. Mittwoch 29.4. 2100 im Lido. Via unlike.

-Rodeorodeo. Donnerstag gibts dort Drei Gänge für 12 Euro und gelegentlich witzige Veranstaltungen dazu. Vorreservieren und speisen! Auch via iHeartberlin.

Apr 25, 2009

Literaria

«Ich bin wirklich nicht gut im Bett, ich bin ein totaler Versager. Das Bett ist ein Ort voller heimtückischer Fallen. Es heisst ja auch, man liegt „im Bett“, aber „auf dem Sofa“. Da, auf dem Sofa, übt man Kontrolle und Herrschaft aus. Dem Bett ist man ausgeliefert, man liegt drin und kann nur hoffen, dass alles gutgeht.»

von unbekannt

the happening world

Sanftes Übersteuern, aussen links vorbei, Spurwechsel, Senderwechsel, dann plötzlich Schubert und eine komplett freie Gerade, gesäumt von lichtem Wald, weiter entfernt liegen die niedrigen Höhenzüge des Schwarzwaldes. Ich reise zwischen Mannheim und Zürich hin und her, transportiere beide Fahrräder, einige Bücher, die ich vermisst habe, und Sommergarnituren. Damit sind alle Güter beisammen, die in der kommenden Woche nach Berlin umgezogen werden, die nächste schöne Fahrt und vorerst letzte, ein langes, gewundenes, an Musik reiches Stück Autobahn, die Fortsetzung meiner Reise durch die Republik.

Texte grosser Ideen verfliessen in Aktionsmustern, Ideale und Prinzipien bleiben unausformuliert und roh.

Apr 19, 2009

Wir nannten es Arbeit XVIII

Mein letzter Tag fiel auf einen Mittwoch. Ich hatte die letzten Arbeitstage ruhig angehen lassen, arbeitete wenig im Labor, beschäftigte mich mit meinem Abschlussbericht und fuhr früh nach Hause, um die Nachmittage am Verbindungskanal in der Sonne zu verbringen. Mein Chef nahm sich keine Zeit, um rechtzeitig mein Werk vorab zu korrigieren, er setzte erst an meinen letzten beiden Tagen zwei Meetings an, so dass ich zuletzt am meisten arbeitete und beinahe 12 Stunden täglich in der Firma verbrachte. In einem letzten Kraftakt stellte ich den Bericht fertig, übergab den Laborarbeitsplatz, die Reaktionsausträge, die Projekte an meine Kollegen und machte eine Abschiedsrunde durch die Laboratorien und die Büros. An einem Mittwoch also gab ich Spindschlüssel und Werksausweis zurück und stand eine Viertelstunde lang vor dem Schredder auf unserer Etage, um die sensiblen, nicht mehr benötigten Arbeitsaufzeichnungen unkenntlich zu machen.

Ich durchmass die Srecke vom Werkstor zur Wohnung zu Fuss, da ich das Werksrad ja zurücklassen musste. Per pedes entfernt man sich mit einer angenehmen Geschwindigkeit von einer Sache fort.

Apr 13, 2009

Wir nannten es Arbeit XVII

Die Arbeit sollte bald vorbei sein. Aufgrund der Zwischenmiete des Zimmers, das ich unbedingt haben wollte, und die bis über meine vorgesehene Zeit hinauslief, hatte ich mein Praktikum verlängert. Das änderte nichts an den üblichen Symptomen, die das Ende der Arbeit so mit sich bringt. Vorausschauende Unkonzentriertheit. Gedanken über den nächsten Umzug, die nächste Stadt, Sehnsucht nach einem Stillstand, gleichzeitig die Vorfreude auf die unzähligen Autobahnkilometer, eine Reise im Kleinen, immerhin. Mein Chef war unentwegt abgelenkt von seiner eigenen Arbeit. In der BASF brach die Nachfrage ein, die die Auto- und Bauchemie beliefernden Betriebe wurden heruntergefahren, später auch einer der beiden Steamcracker in Ludwigshafen, während der andere, so meinten wir gehört zu haben, bei der Mindestauslastung von 20 % fuhr. Bei all dem wähnten wir uns in der Forschung noch recht sicher, hier war die Krise allenfalls in Emailnachrichten angelangt, aber nicht in handfester Kurzarbeit, Arbeitsplatzflexibilität (ein Prinzip, das im Verbund der BASF beliebt ist: herrscht irgendwo Flaute, schickt man die Arbeiter in andere Betriebe) oder Langweile. Weniger arbeiteten wir schon, denn unsere Vorgesetzten waren oft ausser Haus. Aus Mangel an Firmenexternen Anfragen klapperten sie die Forschungslabors auf dem Gelände ab und die Produktionsbetriebe und fischten jeden noch so unausgegorenen Entwicklungsplan aus den Schubladen, so zumindest unsere Interpretation. Irgendwie mussten wir ja beschäftigt werden, und in der Krise kommt einem jedem Forschungsprojekt recht, lieber jedenfalls als die Kürzug des Budgets. Das Budget, so hörten wir, sollte nicht gekürzt werden, sondern auf dem Niveau des Vorjahres gehalten werden. Das wurde im Februar verkündet, was würde in den kommenden 10 Monaten noch kommen?

In diesem Klima schrieb ich also meinen Abschlussbericht, bereitete eine Präsentation vor, stellte mich langsam auf einen Abschied ein, ging früher nach Hause.

tracking with close-ups

Als wir ins Wasser stiegen, regnete es. Der Regen kam in einem feinen Nieseln vom Himmel, die Luft war frisch, aber nicht kalt. Es war Zürcher Frühlingswetter, dunstig, nass, aber erfrischend, wenn man es am See verbringt. Hier machte einem selbst der Regen nichts aus, dank den Pyramidenzelten des Seebades war dies einer der wenigen Orte, wo man sich auch gerne bei schlechtem Wetter aufhielt. Nach dem Schwimmen hüllten wir uns dick in die roten Wolldecken, lasen, tranken Bier und beobachteten den feinen Regen, der Muster auf der welligen Wasseroberfläche zeichnete. Auf den Holzplanken des Seebades Enge konnte man den Eindruck erhalten, dass der Ponton schwamm - im Untergeschoss sah man allerdings, dass er fest im Seeboden verankert war. Dennoch hatte man auf dem Oberdeck das Gefühl, dass man schwankte, eine Erfahrung, die mich gerade bei diesem Nieselwetter an Thailand erinnerte, an die Insel Koh Chang im nördlichen Golf, wo ich nach einer Woche auf einem kleinen Kahn mit einigen Dänen anlandete und sich die leichten Symptome der Seekrankheit auf dem Land bemerkbar machten. Uns wurde schwindelig, wir hatten Orientierungsschwierigkeiten, wir räumten die Minibar unserer Bungalows aus legten uns in den nahen Pool.

Apr 8, 2009

Fast Frankfurt XVII

Der Zug kam und mit ihm kam ein deutsch-russischer Mitfahrer, der in meinem Dreierliegeabteil über mir lag und während der Fahrt durch die sonnengetränkte September-Waldsteppe des Landes aus seinem Buch wirtschaftliche Theorien und deren Verwirklichung vorlas. Es hatte etwas surreales, wie wir da liegend durch die Prärie pflügten, wir tranken Tee um Tee, teilten unser mitgebrachtes Essen, standen im Gang, rauchten und schauten hinaus in die kornfeldgesäumte Leere, die sich bis zum Horizont erstreckte. Der Mitfahrer wohnte ausgerechnet auch in Mannheim und studierte in Heidelberg, nach meinem Restaufenthalt in Berlin sollte ich ihn wieder und wieder treffen in den Kneipen und meinen Unterkünften, wir spielten Schach und tranken Export. Mit Marktwirtschaft und Philosophie endete das Land, die Ukraine, meine Reise, die Gedanken, die ich mir gemacht hatte, die Einsichten, alles fand sich in dem einen Nenner wieder, dass man in der Fremde dann eben doch wieder etwas aus der (noch neuen) Heimat trifft. Unsere gemeinsame Fahrt dauerte bis in die späten Morgenstunden, als wir in Berlin Lichtenberg langsam ausrollten auf den klapprigen Schmalspurradgestellen, und wo ich mich in meinem letzten sauberen Shirt in die S-Bahn setzte, um endlich, wenigstens für ein paar Tage, nach Hause zu gehen.

Apr 7, 2009

Fast Berlin

Der Vortrag zur Praktikumszeit ist rum, die Erinnerungen an die Reise bis fast nach Frankfurt geraten langsam in Vergessenheit, die Arbeit ist tatsächlich nur noch eine sogenannte, die Zeit geht vorbei, geht vorüber, schreitet voran: Nach Berlin.
Dorthin solls gehen, um zunächst ein weiteres Praktikum, dann das Studium zu absolvieren. Dabei komme ich mir höchstens ein wenig vor als Teil des Besucherstromes, der Tag für Tag die Hauptstadt erreicht. Ich habe eine besondere Aufgabe dort. Kann in der Pharmabranche werkeln, in einem süssen Labor im Wedding, unter netten Kollegen und hoffentlich auch gleich nebenan wohnen.

Apr 4, 2009

DJ Koze ist Adolf Noise

Da war es wieder - das Gefühl, innerhalb einer fest organisierten und aufgeräumten Struktur einer Wildnis beizuwohnen, Kunst eben. Die Mannheimer mit ihrem Time Warp Festival geben sich ja alle Mühe, betont organisiert zu wirken, quasi Emotion auf Kommando, also Genuss auf Knopfdruck. So bekamen wir im Planetarium der Stadt, am Ende der Augustaanlage gelegen, erst einen wohlfeilen Sennheiser Funkkopfhörer in die Hand gedrückt und kurz darauf, bequem in den Kippsesseln des Kuppelsaales hängend, eine viertelstündige Meditationseinstimmung und -erklärung zum dann Folgenden. Wir bekamen gesagt, woher das Wort Konzert eigentlich kommt (lat.: Wettstreit/Zusammenschluss), was man dazu so braucht (Bühne, Publikum), und wieso wir hier genau eine Antithese dazu erleben sollten, so war das DJ-Pult inklusive analoger Instrumente (Trompete, Flöte) mitten unter den Zuhörern aufgebaut, die ja auch nur sehr zurückhaltend, nämlich über Funk, beschallt wurden. Koze daraufhin wusste die angespannte Erwartung gleich zu brechen, indem er erst seinen teuflischen Stimmverzerrer drin hatte, den er eigentlich später als Überraschung hatte bringen wollen, wie er sagte, und dann auch noch das erste Lied knallartig anstatt leise aufkommend über uns hereinbrechen liess. Indes, er witzelte schon da über die Technik (kein blinder Apfelverliebter, wie es scheint), und schrieb auch dem Setting seine ureigene Tücken zu («ist eben live hier, nicht so wie beim anderen Techno....beatmatching und so»). In jedem Fall liess er uns dann, zusammen mit Freund Mense von den Goldenen Zitronen, teilhaben an 70 Minuten feinster Unterhaltung, eingeführt durch Motivations-Sprechtapes zum Jura-Studium Richtung Staatsexamen mit Prädikat, aus dem heraus er Elemente schnitt, um sie repetitiv auf seine freischwebenden Soundflächen zu bauen. Es kam vieles von Adolf Noise höchstpersönlich, zum genau passenden Moment, so fuhr doch ausgerechnet zu «Five N» von seiner Kurzspielplatte «Wunden, S. Beine offen» der Sternenhimmelprojektor in der Mitte des Saales aus dem Fussboden, so dass wir von da an vom VJ an die Decke gesprenkelte Sternzeichen, sich UFO-artig bewegende Planeten und anderes geniessen konnten. Es kam auch der unvermeidliche «36-Stimmen-Mann», und weil das Konzert so intim und Koze so gut drauf war, erfuhren wir, dass es diesen Mann wirklich gab und dass er alle Stimmen selbst gesungen hatte, innert 4 Stunden und mit einer Flasche Whisky. Es gab auch wunderbare, unveröffentlichte Perlen von Noise'scher Musik, zum Beispiel «Angst als Motor», insgesamt eine tolle Collage aus rhytmischen Einspielungen, live zusammengebaut und mit den gelegentlichen Beiträgen aus dem Instrumentenpark von Mense.


Adolf Noise als Kopfhörergenuss, am 14. Mai im Prater, Berlin.