Jul 31, 2009

Resignationsbekundungen

Die Lage muss als prekär bezeichnet werden. Ich rolle durch die Stadt, durch Aufgaben, Pläne und durch eine unruhige Eile, mit Vorhaben, die an einem Tag alleine überhaupt nicht bewältigt werden können, ach, eigentlich müsste das ganze Vorhaben selbst dann unmöglich sein, wenn ich tausend Jahre Zeit hätte. Die Mühlen der Bürokratie, dieses Systems aus gegenseitigen Versicherungen und Anfragen, mahlen unerbittlich. Fitness Studios sind ja ungefähr so haimässig wie Handyvertraganbieter, undurchsichtig in ihren Kosten, Klauseln und Kontrollen. Weil ich mein teures, clubgebundenes Abo nicht an eine Bekannte abtreten konnte, ich aber auch nicht gewillt war, 80 Tacken für nichts zu zahlen, musste eine andere Idee her.

«Herr Devid XXXXXX ist vom 01.08. - 31.09. geschäftlich für uns im Ausland unterwegs.»

Dieser schlichte Einzeiler, garniert mit Original-Firmenbriefkopf und schöner Unterschrift, hielt mir die Bezahlung trotz Nichtbenutzung vom Hals, weil Urlaub alleine als Pausierungsgrund nicht gilt. Man muss schon triftige Gründe haben, um von den Haien der Grossstadt in Ruhe gelassen zu werden, die einem gnadenlos an Brieftaschen, Handys und Terminkalendern hängen. Auch die Universität schiebt jetzt noch einige Anfragen zwecks unvollständigem Immatrikulationsantrag hinterher, will eine gesetzliche Krankenversicherungspolice haben. Die Universität - sie wird für einige Zeit wieder zum antragverschlingenden Monster, eine Maschine, die den Sachbearbeitern und Studenten ihre Verhaltensweisen vorgibt.

«Bitte machen Sie eine Kopie Ihrer Kopierkarte.»

- so witzelten wir damals, in Zürich noch, wenn wir dem Wahn der Bürokraten, Nachweise von nicht nachweisbaren Dingen zu verlangen, für einige Momente etwas Komisches abgewinnen konnten. Die Kopierkarte - sie steckt natürlich im Lesegerät neben der Repromaschine und kann unmöglich gleichzeitig auf der Scanscheibe liegen. So, wie auch ich nicht an zwei Orten gleichzeitig sein kann. Im Grunde aber bin ich es schon, das eine Bein ist schon in Tegel, der Fuss in der Maschine, Reihe 04D, für einmal nicht an den Notausgängen. Der Zeigefinger der linken Hand drückt schon den Halteknopf des Transferbusses ins Stadtzentrum, ein Muskel ist bereits angespannt beim Absetzen der Tasche im Zimmer des Hostels, in der Teatra-Strasse in Riga, heute, um 23:00 h osteuropäischer Sommerzeit.

Fast Sarajevo II

Die Liste der ungelesenen Blogs bewegt sich schon seit Wochen im dreistelligen Bereich. Veranstaltungsempfehlungen, Ausstellungen, Einladungen liegen im Stapel des readers schon lange wie tote Konserven aus der Vergangenheit. Das Zimmer ist bis auf die Möbel fast leer und ungewöhnlich aufgeräumt. Ab heute abend wohnt hier jemand anders. Ich schwinge mich ein letzes Mal aufs Rad für eine ausgedehnte Tournee durch den Stadtteil. Kopien besorgen, Bescheinigungen und frischgewaschene, gebügelte Hemden abholen, Cheques aushändigen lassen, ungelesene Post abholen. Es sind filigrane Arbeitsschritte, ein Werkeln am feingliedrigen Uhrwerk von Leben, Ferien, Bürokratie; kleine tastende Justierungen, damit auch alles seinen geordneten Lauf gehen kann und sich die Welt hier, in Westeuropa, auch ordentlich weiterdreht, wenn ich weg bin. Es ist ein letztes Aufatmen und Ausatmen des Grossstadtorganismus', danach beginnt eine Art Winterschlaf, wenn auch daraus wenige elektronische Träume entweichen werden.

Ich gehe auf Reisen.

Jul 29, 2009

the happening world

Wir waren fast pünktlich auf unserer eigenen Party. Die Wolkendecke ist extra nochmal aufgerissen und wir bekamen einen klassischen Mauerpark-Abend, um sieben war erst wenig los und die Arbeitskollegen warteten schon ungeduldig, sassen auf ihrer OP-Decke und assen Antipasti, als wir mit den Grillsachen die Steppe an der Bernauer kreuzten. Es war ein glänzender Abend, voller überraschender Besuche und unerwarteter Gäste. Zuletzt, als durch das Dunkel noch eine bekannte Person und noch eine auftauchte, da war es für mich, als ob es kein Abschied wäre, sondern eher ein weiterer Schritt in dieser Folge von Treffen, Feiern, Partys. So aber war es dann, als die Erkenntnis kam, ein überaus besonderer Abend als Abschluss der Arbeit und gleichzeitig als Beginn von Urlaub, Reise, Wiederkehr.

Am Nachmittag davor auch noch eine schöne Geste von Apple höchstpersönlich erhalten: Der ungefähr ein Jahr alte Laptop-Akku stieg einst aus, und ich besorgte natürlich fix einen neuen. Der Groll war aber erst halb verflogen, bei Apple war ständig besetzt, erst gestern bin ich durchgekommen und habe zack eine Ausnahmegenehmigung bekommen. Jetzt kann ich im Service-Geschäft meines Vertrauens entweder einen zweiten Akku gratis kriegen, oder, wenn die auch schlau sind, einfach 140 € zurück.

Jul 27, 2009

1 Gedicht/Nacht

diesmal in Musikform: wahre Nachtmusik aus der Mitte Deutschlands.
Move D und Benjamin Brunn live. Klasse Set, via mnml ssgs

the happening world

Es ist tropisch draussen, die Fahrt durch die vorabendliche Stadt gerät zur sommerlichen Bummeltour, es ist warm, die Leute schön. Die Arbeit wogt noch, unüberblickbar wallen ihre kleinen Hinterhältigkeiten, die sie für mich bereithält, vergessene Aufgaben oder Unerledigtes in der Nachbarabteilung, schnelle Jobs von den Kolleginnen, wo ich doch nur sitzen will, um meinen Bericht zu tippen.
Und the whitest boy alive singt «Time-bomb, time-bomb, o-uh time-bomb, time-bomb, time-bomb, time-bomb, oh-u-o time-bomb, time-bomb», und die schönsten Gitarrenriffs quengeln wie Kinder, «bitte, wir wollen das nächste Lied hören...».
Und das Wochenende liegt hinter mir wie ein grosses, schweres, schlafendes Etwas, eineinhalb Tage detox in der Uckermark zu dritt, den stärksten Regen im Auto ausgestanden, das leichte Nachregnen noch abgefangen, um dann pünktlich um sieben Uhr abends mit blauem Himmel und tiefer Sonne im kleinen Wald am See mit Strand wild das Zelt aufzubauen. Und eine schwere Nacht, und eine lange Jogging-Runde um das Gewässer, und erste zaghafte Schwimmzüge in dem kalten Nass, und eine Theateraufführung auf dem Gutshof in Lanke, und eine Fahrt zurück durch die Mark und hinein ins fröhlichere, schönere Berlin.
Und noch eine Party, und noch ein Umziehen der Kleider, und nochmal die Tasche umgepackt und mit den Zutaten für den schönsten After-dinner-drink losgedüst.
Und noch eine kleine Hektik erlaubt, schon die Tasche in Zitronensaft gebadet, das Handy nass und tot.
Und noch ein gezwungenes Zurücklehnen nötig, um bei all dem Schlamassel, den anstehenden Feiern, Abflügen, Programmen nicht zu verzweifeln, «detox! detox!», ruft der Magen und jetzt auch der Kopf.

Das ist es - so kurz vor der Abreise, dieses Gefühl von absoluter Gesättigtheit, verbunden mit dem Wunsch, einfach nicht aufzuhören, sich etwas unbeholfen weiter durch Partys zu plappern, die Arbeit bei der Stange zu halten, noch ein Terminchen und noch ein Abendessen. «All das Fleisch, denke ich. Und all meine Gelüste.» - heisst es in Neuromancer.

«Wieviele Brezeln passen in eine Nacht», heisst es in der FAZ, wo dem nächtlichen Brummen dieser Hauptstadt auf den Grund gegangen wird, den ungezählten Anlässen und Buffets, und den Menschen, die sie besuchen, und sich zwischen ihnen herumkutschieren lassen wie Roulette-chips, die man über das grüne Tapis schiebt.

Das Brummen in meinem Kopf wird erst enden, wenn ich mit Verabredung für Freitagabend, gepacktem Koffer, abgeschlossener Arbeit, verabschiedeten Freunden und Kolleginnen und übergebenem Zimmer auf dem Weg nach Tegel bin.

Jul 25, 2009

Blog on, Blog off

Regnet's, regnet's nicht? Die Redakteure der «Technik und Motor» Beilage der FAZ haben schon recht, wenn sie meinen: «Was hilft es, dass wir alle Morgen beim Blick zum grauen Himmel diesen Sommer laut beseufzen?» Sie sind - ganz technikorientiert - schon zufriedenzustellen, wenn dem Starkregen per Online-Niederschlagsradar ein wenig von seiner furchteinflössenden Nässe genommen werden kann. Draussen, in der Pampa, hilft einem das indes nicht. Denn dorthin wollen wir dieses Wochenende - an einen schönen Badesee bei Sophienstädt mit Zelten, Grillen, Lesen (also Erholung) und einem Theaterbesuch in einem der Dörfer am Sonntagnachmittag, um dann wie frischgebacken am nächsten Abend durch Parties und Clubs zu touren. Unsere Devise, und das lernt man in Berlin schnell, muss lauten: «Das zieht vorbei.»

1 Gedicht/Tag

For stars that collide
And unlock old values
They scream and howl
In agony alone
To let thee know
How hopeless it seems
If faith is lost
Not taken by thieves
But buried
Beneath the roots of vanity.

Marisa, 2002

Jul 24, 2009

Wir nannten es Arbeit XXI

Und: In Englisch!

Then: I'm crawling through Excel-files, eating my way past tables, numbers, borders of reaction-descriptions in Word, from temperatures and pressures, from volume and solvents and cooling-baths to colours, oils, smells, scales. I'm preparing my report of this internship, summarizing up the work, expressing in detail the data, drawing reactions, redoing tables, covering up errors. (BASF/Mannheim/April09)

Now: I’m feeling a little lost between the data this time, at the very same place in the work-landscape, but in another environment, office, lab. Somehow, with all efforts taken, three months is just a little short for an extensive paper with cool theory, experiments, conclusions. Nevertheless, even then the results seem a little thin and I feel a little lost between them, eyeing the spectra and graphs and publications whether there is something I missed, or some error to account for. There is none. Gladly I don’t have to write an article about my life or company-life during the internship, the connections with people I met, all the fun, and all the thinking. (Bayer-Schering/Berlin/July09)

Jul 22, 2009

1 Gedicht/Nacht

Durch die Nacht

Und immer Du, dies dunkle Du,
und durch die Nacht dies hohle Sausen;
die Telegraphendrähte brausen,
ich schreite meiner Heimat zu.

Und Schritt für Schritt dies dunkle Du,
es scheint von Pol zu Pol zu sausen;
und tausend Worte hör ich brausen
und schreite stumm der Heimat zu.

Richard Dehmel

Jul 21, 2009

Konferenz der Tiere II

Ein zentrales Thema, das ich zur Besprechung aufgreifen möchte, ist Demut. Ein Professor in Zürich meinte einmal, dass man an der renommierten Hochschule gerne mit dem falschen «Mut» aufwachse: Hochmut, Übermut, Wagemut, usw. Er legte uns Demut nahe, was in der Naturwissenschaft nicht sehr üblich ist. Hier herrschen andere Gemütsstimmungen vor, und Bedachtsamkeit, Respekt und Sanftmut erscheinen nicht als brauchbare Instrumente für die grosse Entdeckung. Das anthroposophische Verständnis einer vorsichtigen, behutsamen Wissenschaft («zarte Empirie», Goethe) schliesst diese Demut natürlicherweise mit ein. Die Demut findet Eingang in der «ganzheitlichen» Praxis der zarten Empirie, im Ganzheitlichen liegt Nachhaltigkeit wie die Kerne im Apfelinneren.

Demut ist jenes Prinzip, das die eigene Meinungsbildung nur bis zu dem Punkt zulässt, wo sie dogmatische Züge annimmt. Fremden Ansichten begegnet der Demütige mit dem Gebot des Zuhörens. Demut ist auch ein inhärenter Teil von Dankbarkeit, aber diesem Aspekt widme ich mich gesondert. In der religiösen Form des christlichen Glaubens wird Demut als Tugend besonders hervorgehoben; am deutlichsten im moralischen Grundsatz «Wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt werden; und wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöht werden.»

Demut ist also eine gute Voraussetzung für spannungsloses Zusammensein. Ferner ist Demut jenes Bauprinzip, das für eine genügsame Geisteshaltung sorgt. Wer wenig erwartet, kann einfach überrascht werden und ist leicht zufriedenzustellen.

Jul 20, 2009

the happening world

Was gerade in der Parallelwelt geschieht:
1) Die Yes Men arbeiten Bhopal auf. Sie haben die wunderbare Idee gehabt, den Namen der Stadt umzudeuten zu «B'eau Pal», wobei ich ja auch «pâle» ziemlich gut gefunden hätte. Dow Chemicals ist eine der grössten Chemiefirmen der Welt, Stammsitz ist Michigan. Die grösste Chemiefirma der Welt ist die BASF in Ludwigshafen.


2) Urban Affairs residiert im Stadtbad Wedding. Nächsten Samstag ist Urban-Art-Auktion, danach Party.


3) Ich schaue dem Wasser in der kleinen Glasvase zu, wie es immer trüber wird, ich höre den Pinsel auf der rauhen Blattoberfläche und denke mir, sie malt gerade meine Wangen. Ein lustiger Zwischenmieter ist gefunden, die hektischen Wochen sind rum, ab jetzt ist alles Ruhe, Gelassenheit, Gelingen.

Jul 19, 2009

Fast Berlin XV

Es regnet. Die Schauer und abendlichen Güsse erinnern mich an Bangkok im Herbst, wo man sich die Uhr nach dem Monsun stellen konnte. Freitag ob der Dunkelheit draussen etwas früher von der Arbeit nach Hause gefahren, da ich das Ende des Unwetters nicht im Labor abwarten wollte. Dann aber nicht gleich zur Ringbahn gefahren, sondern motiviertermassen den Heimweg gänzlich mit dem Rad antreten wollen. Schon auf halbem Weg zum Nordbahnhof war ich völlig durchnässt, sah fast nichts mehr (Kontaktlinsen für Starkregen?) und bin dankbar unter die kaum als wetterfest zu bezeichnenden Haltestellen-Glaskonstrukte der BVG getreten. In der M10 dann triefnass schwarzgefahren. Mögliches Papiergeld hätte sich bei diesen Fluten aufgelöst, Münzen wären aus den Hosentaschen fortgespült worden.

Samstag mal wieder auf dem Ku'damm gewesen, um Hemden zu kaufen. Die Touristenmassen am Wochenende haben etwas Unwirkliches, wie sie sich dort an den Attraktionen, Sightseeing-Schleppern, Flyer-Verteilern vorbeiwälzen. Das ganze kommerzialisierte Schlamassel der Millionenzahlen, die jährlich die Hauptstadt besuchen - wir fragten uns, weshalb die Besucher in die einfallslosen Einkaufsmeilen des alten Westens pilgern, und ob in de Reiseführern die bei den Bewohnern angesagten Viertel immer noch unter «ferner liefen» rangieren.

Jul 17, 2009

Wir gedenken II

Am vergangenen Samstag ist der Hauptakt unserer letzten Kunstaktion über die Bühne gegangen. In Deutschland passierte das ganz ohne grosses Medienspektakel. Die Pressearbeit, für die ich ja verantwortlich zeichnete, hat vielleicht etwas unermüdliches und unertragreiches an sich, so ganz im Allgemeinen gesehen – bei dieser unserer letzten Performance war das Medienecho jedoch so klein, dass „bescheiden“ gar kein Ausdruck ist. Was haben wir getan, und vor allem: Wieso ist es wert, darüber zu berichten? Das Zentrum für Politische Schönheit hat eine Gedenkveranstaltung zum Völkermord von Srebrenica organisiert, der von den Serben 1995 an den Bosniaken verübt wurde. Die UNO stellte damals das Dorf unter internationalen Schutz und stationierte dort Truppen, als es hart auf hart kam stellten die Generäle der anrückenden serbischen Armee jedoch wenig mehr als einige Funksprüche entgegen. Den verzweifelten Forderungen der UNO-Truppen nach Luftunterstützung wurde aufgrund von formalen, später taktischen oder politischen Gründen nicht Folge geleistet. So versank Srebrenica schliesslich unter dem andauernden Beschuss der Serben, ein Grossteil der dorthin geflüchteten Bosniaken wurde in einem organisierten Verfahren missbraucht und ermordet, die grösstenteils holländischen Truppen versanken in Lethargie und Scham, die UNO versank in Lethargie und Schande, und insgesamt versank das Geschehen, das Gedenken, die Anklagen und Rechtssprechungen im Fluss des Vergessens, den wir als Lethe kennen und auf dem das Zentrum für Politische Schönheit Bergungsarbeiten durchführte. Wir stellten Bomben-Attrappen auf, die an die unterlassene Hilfe erinnern sollten, und führten die Krisensitzung des militärischen Stabes der UNO als politisches Theater auf. Wann immer ich mit einer Redaktion verbunden wurde und für unser Projekt warb, gab mich die Kulturabteilung, wo ich ja eigentlich hinwollte, gern rasch in die Politik weiter, wo mir wiederum die Lokalnachrichten anempfohlen wurden. Für Srebrenica fühlt sich auch 14 Jahre nach den Vorfällen niemand so recht zuständig – erst recht nicht für Aktionskunst zu seinem Gedenken, bei dem nicht ohne Grund die „Gesellschaft für bedrohte Völker“ und das Islamische Kulturzentrum der Bosniaken in Berlin mithalfen, denen wir viel Unterstützung zu verdanken haben. Am gestrigen lauen Sommerabend schliesslich zogen wir, auf dem Gehweg vor unserem Büro in der Dunckerstrasse, vor einem reich gedeckten Tisch mit viel Wein, erstmal Bilanz. Wir kamen durch einfache Überschlagsrechnung zum Fazit, dass die Zusammenarbeit allein mit den freundlichen Bosniaken menschlich ein voller Erfolg gewesen ist und uns zu einer Kooperation und einem Thema geführt hat, das wir jetzt, da es an Land gezogen ist, ausführlich weiter beackern werden.

Jul 14, 2009

Fast Sarajevo I

Die Hinreise war schon komplett geplant und gebucht, was so früh vor Reiseantritt auch für mich ein Novum war. Egal, ich sagte mir, dass da nichts dazwischen kommen kann, und freute mich auf die Nachtfahrten nach Budapest und weiter nach Belgrad. Dann kam aber doch etwas dazwischen, und nach reichlicher Überlegung kürzte ich meinen Urlaub, um die ersten beiden Augustwochen an der Ostseeküste in Europas Norden zu verbringen. Es werden wieder reisereiche Wochen. Als jemand, der bei Flügen gern in der Reihe mit den Notausgängen sitzt, weil dort die Beinfreiheit am besten ist, zögerte ich davor, die knapp 20 stündige Busfahrt nach Riga auf mich zu nehmen. Lieber zahlte ich 50 Euro drauf, fliege bequem von Tegel und habe auf der Rückfahrt einen Tag Zwischenstop in Berlin, um das Gepäck zu wechseln. Die Zugtour wurde auch kurzerhand umgebucht, was 15 Euro extra kostete, dafür fahre ich von Budapest nach Belgrad jetzt tagsüber.

Jul 11, 2009

1 Gedicht/Nacht

Reisen wir
Aber wohin
Frage ich

Heimwärts
Aber wo ist das
Frage ich

Innen
Sagt die Stimme

-Mühringer

tracking with close-ups

In den Momenten, wenn die Fahrt in den Urlaub irgendwie nicht mehr so recht zwischen Arbeit und Urlaub reinpassen will, regt sich in mir die Frage, wie dieser Wechsel überhaupt vonstatten gehen soll, ob ich etwas falsch gemacht habe. Im Grunde habe ich aber alles richtig gemacht, indem ich beschlossen habe für das Wochenende in das Landhaus von Bekannten in Ostvorpommern zu fahren. Wenn das Häusermeer draussen vor dem Zugfenster lichter wird und der Kopf langsam auf Landlaune wechselt, wenn sich nach kurzen Schauern bei Prenzlau die Wolken verziehen und der Horizont gutes Wetter verspricht, dann ist die Reise wie geplant schon selbst zum Urlaub geworden. Am Bahnhof von Züssow schnalle ich mir die Ledertasche um und fahre die ersten Kilometer auf dem seit Monaten nicht mehr bewegten Rennrad. Schon auf den ersten Metern verfalle ich der Geschwindigkeit, ich hänge über den Lenker gebeugt einen Meter über dem Asphalt, der Rückenwind hilft mir dabei, mich 50 Stundenkilometern zu nähern, die Speichen der Räder zersägen die Luft, die dabei singt.

Wir braten ein Wildschwein über dem Holzkohlegrill, fangen früh genug mit Biertrinken an, stehen bald am Rande des kleinen Teichs und lauschen der barocken Wassermusik, die von vier Männern und einer Frau vorgetragen wird. Wir tanzen kurz darauf, und vermengen die vier Grundelemente Essen-Trinken-Musik-Tanz in den folgenden Abendstunden erneut und erneut, bis es dunkelt, der Himmel aber selbst um Mitternacht einen lichten Schein behält, so, wie ich es von den Sommernächten an der Ostsee in Erinnerung habe. Am nächsten Tag breche ich auf für eine kleine Rundfahrt durch die Ebene zwischen Greifswald und Anklam, drehe eine Runde auf Usedom und kämpfe mich durch den Gegenwind wieder zurück zum Landhaus. Die Strassen hier sind noch ursprünglich, es gibt einige frisch geteerte Schnellstrassen, und die Fahrradkarte leitet mich zwei-, dreimal auf schlechter werdende Plattenwege, die in Waldwege übergehen und mit dem Rennrad nicht machbar sind. Nach dem dritten Mal steige ich ab, schultere das Rad und stapfe mit den Schuhen, die nicht eben fürs Wandern gemacht sind, über den Sand des Feldweges und die vier Kilometer bis zum nächsten Dorf und der Fortsetzung des Asphalts. Dort, bei diesem langsamen Tempo, unter dem Rauschen der Bäume und inmitten der Weite der Heiden und Felder, sehe ich Vorpommern, wie es wohl auch die alten Preussen gesehen haben müssen.

Jul 8, 2009

Wir gedenken I

Die Saugnäpfe des EKGs waren kaum ab, da trocknete ich meinen vom Ergometer-Fahren verschwitzten Oberkörper ab, streifte Hemd und Jackett über, wechselte die Shorts gegen eine Wollhose mit Nadelstreifen und stieg in die spitzen Lederschuhe aus Kiev. So fuhr ich aus dem Prenzlauer Berg durch Mitte vor das Brandenburger Tor, und erst, als ich von der Friedrichsstrasse in die Linden einbog, wurde mir der wahre Ort unser Gedenkveranstaltung bewusst. «Wir machen Aktionskunst», hatte ich in den letzten beiden Tagen so oft am Telefon gesagt. Hier nun hatte ich sie vor mir, die Aktionskunst, ich fuhr mit 20 Stundenkilometern darauf zu. In der Mitte des Pariser Platzes war ein Karré mit Signalband abgesperrt worden, darin lagen die drei JDAM-Bomben-Nachbildungen, für deren Transport von der Werkstatt hierher ich mich wenige Stunden zuvor noch gesorgt hatte. Es gab einige Schauer in Wedding und ich war bis zuletzt nicht sicher, ob genügend Leute da sein würden, um die Dinger zu tragen. Schlussendlich ist alles da. Das Zentrum für Politische Schönheit steht, personifiziert durch grosse Männer in Anzügen und mit schwarz gefärbten Gesichtern, das Islamische Kulturzentrum der Bosniaken in Berlin steht, mit seinen wunderbar jungen und eifrigen Mitgliedern, die Presse steht, die Podeste für die Schauspiel-Sprecher stehen, und auch das Wetter steht, in einer dramatischen Mischung aus Wolken, Nieselregen und rotblauem Abendhimmel.

Die Sprecher schmettern ihre Sätze in die Megaphone. Es wird die Sitzung des UN-Krisenstabs nachgestellt, die vor 14 Jahren stattgefunden hat. Die Lethargie dieser Sitzung hat den Völkermord der Serben an den Bosniaken ermöglicht, in dessen Zentrum Srebrenica stand. Dieser faux-pas der UN wurde unter einen schweren Teppich gekehrt; viele von den holländischen Soldaten, die in der damaligen «Schutzzone» stationiert waren und kaum in der Lage waren Widerstand zu leisten, als die Serben ihnen die Bosniaken quasi aus den Baracken holten, sind noch heute psychisch stark geprägt durch die damaligen Ereignisse. Srebrenica darf sich nicht wiederholen, und es darf nicht im Fluss des Vergessens untergehen. Aus diesem Grund hat das Zentrum für Politische Schönheit Bergungsarbeiten auf Lethe durchgeführt und präsentiert die Funde an folgenden Terminen:

9.7. 20:00h vor dem Brandenburger Tor
10.7. 20:00h vor dem Brandenburger Tor
11.7. 12:00h vor dem Bundestag (offizieller Gedenktag der Opfer)



Genauere Informationen, Pressemitteilung, Bilder auf der Homepage.

Fast Berlin XIV

Ein superguter Tag war es heute. Erstmal aus dem Grunde, dass ich frei hatte. Zweitens konnte ich mich mit freundlichen Medienleuten am Telefon unterhalten. Die Textpresse ist, anders als die Redakteure und Bürotanten der Fernsehsender und Bildschirmnachrichten, wesentlich entspannter, offener, launischer und engagierter. Da wird genau auf das Wort geachtet. Viele fragten verdutzt nach, «Zentrum für Politische was?», und hatten beim Auflegen ein verschmitztes Lächeln im Gesicht, das spürte ich. Sie hatten eine Entdeckung gemacht, und das freute die Journalisten. Jetzt, wo alle Hauptstadtbüros benachrichtigt sind, kann morgen die heisse Phase losgehen. Um 20 Uhr stehen wir vor dem Brandenburger Tor und skandieren.

Dann war da noch die Artothek. Darüber hatte ich einst gelesen, sie haben Galerieräume in Mitte und zeigen Kunst, haben daneben ein Magazin an Bildern, die sie ausleihen. Für einen kleinen Obulus kann man bis zu sechs Bilder aus der Sammlung jeweils bis zu sechs Monate mit nach Hause nehmen. Die Leihgebühr - 3 Euro für ein halbes Jahr - beinhaltet den Versicherungsschutz. Ich bestückte also mein Zimmer mit einem neuen Gemälde, und war ein paar sehnsuchtsvolle Blicke in den Showroom im ersten Stock. Dort werden Neuanschaffungen gezeigt, die erst in ein, zwei Monaten ausgeliehen werden können. Ein Jammer - jetzt ist doch gerade Balkan-Zeit für mich!


Dann war da ja noch ebay. Ich bot für einen alten Kleiderschrank. Und so sass ich keine vier Stunden später auf dem Beifahrersitz eines alten Ford Transits, den Nico lenkte, mein freundlicher Helfer und Fahrer für die kleine Tour. Der Schrank war natürlich bleischwer und musste erstmal auseinandergebaut werden. Er steht jetzt recht glücklich in der nordwestlichen Ecke meines Zimmers und hat alle Kleider, sonstige Wäsche, Krawatten und Winterschuhe klaglos in sich aufgenommen.

Jul 7, 2009

1 Gedicht/Tag

So seltsam bin ich, der die Nacht durchgeht,
Den schwarzen Hut auf meinem Dichterhaupt.
Die Strasse komme ich entlang geweht.
Mit weichem Glücke bin ich ganz belaubt.
Ich bin so sanft, mit meinen blauen Augen.

Ernst Blass, 1912.

Jul 6, 2009

the happening world

Der Schlaf ist tief in diesen Tagen. Der Schlaf breitet sich aus in Matrazen, die auf Ziegelsteinen ruhen in einem einfach gebauten Landhaus in Ostvorpommern, oder in der heimischen Schlafstatt, wo der Körper von Bewegung und tagelanger Aktivität wie tot liegt. Der Schlaf bringt Träume mit sich, die ein ewiges Hin und Her sind, ein Requiem auf vergangene Ideen und Pläne, ein Taufspruch auf frische Richtungen und neue, freundschaftliche Verbindungen. Und zwischen einem Umzug der Firmenabteilung ins Gebäude nebenan, einer langen Radfahrt durch die nördlichen Lande und auf Usedom und der nicht enden wollenden Jagd auf Möbel und Einrichtung stehen unzählige Telefonate an, um die Text- und Bildpresse von der nächsten und vorerst letzten Aktion des Zentrums für Politische Schönheit zu überzeugen. Nach dem zigsten Verbunden-werden, in der vierten Warteschleife, bei Programmtipps für Dienstag und nach einigem Hick-Hack mit dem vorherigen Planungsmenschen der Kulturredaktion befühle ich meine Schulter, auf der noch immer ein roter Streifen daran erinnert, dass ich mein Rennrad durch vier Kilometer sandiges Nichts getragen habe, bevor die Route wieder geteert war und ich weiterfahren konnte.

Die Träume sind aber auch älter, werden Erinnerungen. Erinnerungen an den Abend vor der Italienreise, an eine erst sonnig-warme, dann feucht-kalte Nacht in Friedrichshain, bei der Leidenschafts-Messe «Interesting Berlin». Ein Konzept, das anscheinend aus London stammt. Eigentlich eine Art Selbsttherapie, wie mir schien, wo die Leute wieder lernen können zu ihren Interessen zu stehen und mögen sie noch so abgründig oder shallow sein, sei der Vortrag zum Zweck der Selbstinszenierung oder aus tiefergehenden, moralischen Gründen. Dazu eine Beschreibung der Homepage:

«Ein Abend gefüllt mit kurzen Reden und Erzählungen, bei denen es endlich nicht darum geht, sich oder etwas anderes zu verkaufen, sondern anderen einfach die eigene Begeisterung über eine Sache mitzuteilen.»

Allein das Organisationsteam hatte zum Abschluss der Veranstaltung eine ganze Menge zu verkaufen, nämlich sich selbst und die tolle Organisationsarbeit, vielen Dank. Ist in Berlin nicht üblich, solche Dankesausschweifungen, aber eigentlich angebracht. Der Ort der Konferenz war übrigens spannend. Ein typisch abgeschrubbter Bau, in dem sich unzählige Studios und Ateliers eingenistet haben.


Jul 3, 2009

Blog on, Blog off

Mit dem Einzug kommt auch das Bedürfnis nach Möbeln wieder in mein Leben. Wieder bange ich vor Auktionen bei ebay, verteufle die Einfallslosigkeit der meisten Kleiderschränke, kann keine runden Holzknaufe mehr sehen, will antik und am besten günstig und im selben Viertel abholen. Das «Leben aus Tüten» begann vor beinahe einem Jahr, Ende September. Damals war ich mit einer Kofferraumladung in einer lauen Herbstnacht in Mannheim angekommen, und das kleiderschranklose Leben hielt ganze zwei Monate. Hier, in Berlin, sind es nun auch schon acht Wochen, und es ist langsam Zeit für ein schönes Aufbewahrungsstück. Erstmal aber kann ich den seichten Sorgen der festen Behausung entkommen und an die Ostsee fahren für ein Wochenende, wo Radtouren auf Usedom unternommen werden und Feste auf dem Landsitz von Freunden gefeiert werden.

Stationen einer Reise; umgekehrt chronologisch von oben nach unten:





1 Gedicht/Tag

RHETORISCHE GOTTESFRAGE
(DIE MYSTIK KOSMISCHER PHYSIK)


des wassers glitzern rührt von sonnenstrahlen
[Und sie hängt dort oben auch bei nacht]
für diese wonne braucht man NICHTS zu zahlen
frei im universum schweben ...
wer hat sich Das Ganze ausgedacht ???
der wind umspielt die nackte haut -
kein meister glaubt ... DAS SEI "erhaben"
in mir rufen geisterstimmen laut :
UNENDLICH darfst du dich am Dasein laben !!!

Tom de Toys

kam per Lyrikmail #2012

Jul 1, 2009

Sound für Zwischendurch

Wird dieser Tage wieder häufiger gehört: Das 1A-Debutalbum von Shed.

Sleek&jagged.

Shed - Shedding the past, Ostgut Ton

RA: Review

Podcast: BodytonicLive 06