Nov 26, 2009

Fast Sarajevo XXXIX

Sarajevo, 22. IX

Sarajevos Name leitet sich bekanntlich von «Sarai» ab, der Festung, die einst über der Stadt thronte. Den defensiven Charakter hat die Siedlung im Tal nach dem Ende ihrer Belagerung 1995 trotzig und endgültig abgeschüttelt und ihre Bewohner begegnen einem, besonders in den Cafés und Restaurants des Nachts, mit einer ironischen Aggressivität. Diese Stadt umarmt mit slawischer Festigkeit die Kultur und Herkunft ihrer Besucher und verleibt sie sich ein; aus dieser Vereinigung entspringt der nationale Charakter wie Wasser aus einer Quelle immer wieder neu. Im Café Ort, unter dem aziden Vier-viertel einer Musik, deren Takte im Englischen als «pumping» bezeichnet werden, entfacht sich die Konversation der Besucher in ebenjener Weise stets von neuem, begleitet von Gesichtsausdrücken, die im Verlauf eines Satzes von besorgt-beunruhigt, furchtsam über erstaunt und gelangweilt bis hin zu freudig und überheblich wechseln können.

Später ging ich in den Drome. Der Drome ist mehr ein Stadion im Kleinen als ein Club; durch halboffene Betonwände abgeschirmte Galerien sind gesäumt von Bars und Sofafluchten, im Innern die tiefergelegte Tanzfläche, riesengross und rund, die hohen Wände sind gesprenkelt mit sich überlappenden Visuals. Das Ganze mit einer Akustik wie im Hallenbad. Ein deutscher Label-DJ machte sich den Klang zunutze und legte eine trockene Kaskade harter Frankfurt-Rhythmen auf das ohnehin schon staubtrockene Etwas, das aus den Boxen kam und den ganzen Faradayschen Betonkäfig erzittern liess, als stünden die Serben vor der Stadt. Bei den Gästen gab es einfach alles, drei volle Dekaden von Party-Chic, hierhergetragen aus den fernen Metropolen früher Clubkultur. Leuchthörner, Trillerpfeifen, weisse Handschuhe, Topfschnitt, Fusseldecken als Kleidung. Vokuhilas mit und ohne Strähnen. Unterstützt durch die Musik wirkte nichts lächerlich oder fehl am Platz, mir kam ein Statement von Nôze in den Sinn, bei ihrem Auftritt in Montreal 2008: «We don't play intellectual music» - und so zogen sich die Leute hier an. Schon um 12 war der Ort brechend voll, im Keller, unter dem stützenden Gestänge der Tribüne, auf dem Weg zu den «toalets» sassen erste erschöpfte Gestalten, an den klatschnassen Beton gelehnt, eine kleine Aussenseitergruppe drehte Joints; Kondenswasser der schwitzenden Menge über ihren Köpfen tropfte von der abgestuften Decke. Der Metalldetektor am Einlass piepte unentwegt, Aufpasser von vier verschiedenen Firmen leuchteten mit ihren neongelben Westen in der Menge. Dieser Club hatte einen rohen Charme, nichts in der Art wie das majestätische Kristal in Bukarest, und dennoch kein Jota weniger ekstatisch. Die Deckenstrahler nahmen Töne von Blau an. Gigersche Repräsentationen von biomechanoiden Landschaften huschten über die Bildschirme, die Menge jubelte. Ich ginng in den Pool der Tanzenden hinunter, als um vier Uhr morgens Chris Liebling die Plattenteller in diesem einmaligen Establishment übernahm.

Nov 24, 2009

Nov 23, 2009

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Endlich Sarajevo:

Der Bahnhof, nach der Ankunft erstmal die zwei anderen Backpacker, die im selben Zug ankamen wie ich, vorbeigehen lassen und in der von der Morgensonne gefluteten Halle zwei Kaffee trinken. Probieren, sich das Draussen vorzustellen.


Filmplakat des Filmfestivals 1994 (ja, das wurde während der Belagerung initiiert). «To be or not to be» ist der Name einer Kneipe im muslimischen Viertel der Altstadt.

Nov 22, 2009

Fast Sarajevo XXXVIII

Sarajevo, 21. IX

Die grosse Zuschauerschar um das erste Schachspiel dieses Tages auf dem Platz vor der orthodoxen Kirche, lauter ältere Männer voll von Esprit für das Herumgeschiebe der Plastikfiguren auf den Steinplatten vor ihnen. Unser Lachen, bei einem unüberlegten Zug des einen Spielers, und ihr Ausruf, an uns gerichtet: You want to play?
-Sutra - Morgen, sagen wir, noch immer lachend, während wir uns abwenden und in das nächste Café gehen.

Nov 21, 2009

1 Gedicht/Nacht

Die Weisheit wohnte sonst auf großen Foliobogen,
Der Freundschaft war ein Taschenbuch bestimmt;
Jetzt, da die Wissenschaft ins Kleine sich gezogen,
Und leicht, wie Kork, in Almanachen schwimmt,
Hast du, ein hoch beherzter Mann,
Dies ungeheure Haus den Freunden aufgetan.
Wie, fürchtest du denn nicht, ich muss dich ernstlich fragen,
An so viel Freunden allzu schwer zu tragen?


schrieb Friedrich Schiller in das Folio-Stammbuch eines Freundes.

Nov 20, 2009

1 Gedicht/Nacht

Nachtmusik:



Moody feat. Jose James - Desire / Mahagoni music

Fast Sarajevo XXXVII

Sarajevo, 21.IX

Wer als Deutscher den Euro satthat und sich die gute alte Mark zurückwünscht, der könnte, anstatt die Europäisierungsstatistiken in Deutschland zu versauen, einfach nach Bosnien und Herzegowina ziehen. Hier gibt es die K-Mark als Währung, und sie bleibt uns aller Voraussicht nach noch einige Jahre lang erhalten.  Griffig in der Hand, konvertibel (daher das K-) und, jetzt kommt das Beste: an den Euro gebunden. Ausserdem wird in Bosnien und Herzegowina ohnehin an vielen Orten der Euro akzeptiert, wenn dem Nostalgiker also die Lust auf's Alte vergangen ist, kann er einfach wieder modern sein. Da bleiben einem echt keine Wünsche offen! Jetzt buchen!

Nov 19, 2009

the happening world

Wie bei den bissigen Liberalen hingewiesen wurde, ist in der FAZ ein bemerkenswerter Blick hinter die Studiokulissen der Staatssender erschienen. Auch im print lässt es sich die Zeitung nicht nehmen, die miese Qualität sowohl der Nachrichten als auch der Darreichungsform der Öffentlich-rechtlichen zu portraitieren. Früher, zu Zeiten, als der Sonntags-Tatort meine einzige Fernsehsendung überhaupt war, glaubte ich ja wegen des werbefreien Angebots, ich sei hier beim letzten ernstzunehmenden TV-Angebot überhaupt gelandet. Bei MTV dröhnte schon damals mehr Klingelton als (die nicht viel bessere) Popmusik, und bei Versuchen, mir «Blockbuster» auf den Privaten anzusehen, musste ich nach der zweite Werbepause ausmachen. Der Artikel in der FAZ zeigt nun, dass eine der wenigen Kompetenzen, die ARD und ZDF noch aufzuweisen schienen, nämlich die kompetente Nachrichtenvermittlung, auch dahin ist. Bei Namen wie «Verbotene Liebe» oder wahlweise «Geld, Macht, Liebe» wird mir schon offenbar, dass da abseits der Tagesschau nicht viel Sinnhaltiges abläuft.

Nov 17, 2009

the happening world

Ich steck gerade im Rasierschaum, da klingelt das Telefon. Da geh' ich ja schon seit Wochen nicht mehr dran, es könnte schliesslich Familie, für die nichtanwesende Mitbewohnerin oder - schlimmer - etwas Amtliches sein. Ich nehme ab. Zu meinem Gück. Irgendwer muss der Bankangestellten meine Nummer verraten haben, wer das war, ist eigentlich egal. Die Verzinsung läuft aus. Aha. Wovon? Sie haben Geld angelegt. Ich will schon "Wann?" fragen, da lenke ich ein und gebe meine echte Nummer preis. Darüber soll dann alles weitere (und tagsüber) geregelt werden. Auch wenn, inmitten der Stipendiumsfrage, zwischen Bafög-Anträgen und sich häufenden "Ja!"- und "gut&günstig"-Einkäufen die Geldfrage nicht unbedeutend ist, so hätte ich in dem Moment, als ich den Rasierschaum vom Telefon wische, lieber gehabt, dass jemand anruft und sagt "Ich habe da jemanden, der Ihnen hilft, den Workshop im März zu organisieren, und ach ja, die Wohnungsfrage hat sich auch erledigt."
Gehe ab jetzt wieder häufiger dran.

Nov 14, 2009

the happening world




Da steht er, unser Verteidigungsminister, vermutlich in einer Transall mit Ziel Kundus oder Kabul-Militärflughafen. Da steht er, und wir wundern uns, weshalb er so gar nichts mit den Soldaten zu tun zu haben scheint, die um ihn herumsitzen und früher oder später in Afpak ihren Arsch auf's Spiel setzen. Immerhin setzt Mr. In-jeder-Situation-shiny zu Guttenberg es durch, dass von «kriegsähnlichen Zuständen» geredet wird. Anderes lassen die Ausrüstung der Bundeswehrmänner auch nicht vermuten. Dieses Bild liefert mir eine Steilvorlage für die Entfremdung der Politik von der Realität. Es ist das Nachspiel einer um Posten würfelnden Koalitionsrunde. Zu Guttenberg auf dem Time Square war irgendwie komisch, aber hierbei fasse ich mich nur an den Kopf, den leider nie ein Bundeswehrhelm geziert hat.

Nov 12, 2009

Fast Sarajevo XXXVI

en route pour Sarajevo: Spuren von Suchen und Finden im Balkan.


Fast Sarajevo XXXV

20. IX

Der Bahnhof von Mostar stand so verlassen und aufgegeben am Rand der Stadt und war so trist und zugewuchert, dass er ebensogut in Pripyat bei Tschernobyl hätte stehen können. Es war kein rauchfreier Bahnhof. Die Beamten, die entlang der Strecke nach Sarajevo standen, mit ihren Holzkellen unter dem Arm, grinsten mich aus ihren gebügelten Uniformen heraus an, als ob sie gerade höchstpersönlich das elektrische Zeitalter eingeläutet hätten.

Nov 11, 2009

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Gerade im Duden gesehen: «Jahr-2000-fähig»
Was waren das damals noch für Zeiten! Und was für eine miese wörtliche Übersetzung aus dem Englischen!

Nov 8, 2009

1 Gedicht/Nacht

Wieder Musik. Aus dem abgefahrenen Podcast von Fever Ray, RA.

Nov 6, 2009

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Yeah, Baby! Gib's mir! Mach's noch einmal!
Yeah, Baby! Gib's mir! Mach's noch einmal!
Yeah, Baby! Gib's mir! Mach's noch einmal!
Yeah, Baby! Gib's mir! Mach's noch einmal!
Yeah, Baby! Gib's mir! Mach's noch einmal!
Yeah, Baby! Gib's mir! Mach's noch einmal!
Yeah, Baby! Gib's mir! Mach's noch einmal!
Yeah, Baby! Gib's mir! Mach's noch einmal!
Yeah, Baby! Gib's mir! Mach's noch einmal!
Yeah, Baby! Gib's mir! Mach's noch einmal!


Drei Sätze, Zehn Wiederholungen.


Gesehen bei Fitness First.

Nov 4, 2009

the happening world

«...es fallen 4 Euro Ausweis- und Bearbeitungsgebühren an»

Wer meine Bürokratie- und Geldausgeb-phobie kennt, der dürfte überrascht sein, dass es sich hierbei um eine Empfehlung handeln. Die Veranstaltung hat jetzt bei allen Blogs die Runde gemacht, auch mir wurde sie nun am Telefon wärmstens empfohlen. Schon länger hängt bei uns in der Küche ein «One-Dream»-Schein. Und als Unterhändler wenn nicht der Traumwelt, so zumindest der Traumzeit ist es meine Pflicht, auf die sinnvolle und witzige Abendbeschäftigung am kommenden Wochenende hinzuweisen:

DREAMYOURTOPIA, im Stattbad Wedding / Gerichtstrasse 65. Sa&So von 12pm-02am

Ausgestellt wird der Checkpoint ins Land der Träume, zusammen mit den umständlichen VISA-Dokumenten, die mitzubringen sind, eine Referenz auf Amerika. Gleichzeitig aber auch eine Hommage an den Fall der Berliner Mauer, da die Kunstinstallation in der zweiten Nacht abgerissen werden soll.

Nov 2, 2009

Fast Sarajevo XXXIV

Mostar, 19. IX

Ich gehe die ehemalige Frontlinie entlang, die sich links der Neretva durch die Strassen schlängelt. Juli Zeh beschreibt in ihrem Bosnien-Buch, das ich einige Wochen nach meiner Rückkehr lesen sollte, die Szenerie so: «Die Fassaden gucken wie Totenschädel, hohle Augen, grinsend aufgesperrte Mäuler, der Kugelhagel hat ihnen die Gesichter abgeschmiergelt bis auf die porösen Knochen.» Anders als bei ihrem Besuch war es auch bei meinem, acht Jahre später nicht. Vielleicht gehören die zerschossenen Gebäude ebenso zum UNESCO-Weltkulturerbe wie die Stari Most. Als ich mit der kleinen Wanderung durch den Westteil der Stadt fertig war, stieg ich in den Buss 11 und fuhr nach Blagaj, wo es ein Kloster der Derwische aus dem frühen 16.Jhr gab. Ich hatte in Istanbul eines gesehen, in einem mystischen Garten gelegen. Innen war ein runder, hoher Raum gewesen, auf dessen Parkett die Mönche einst ihren Tanz vollführt haben, der sie in Trance versetzte, während auf einer Galerie die Älteren gestanden haben müssen, anerkennend nickend.

Neben dem Tekija-Kloster gab es eine Quelle, die Wasser mit sagenhaften 30 Kubikmetern pro Sekunde aus einer Höhle herausdrückt und einen Fluss entlang schiebt, direkt am Kloster vorbei. Das Wasser dieser Quelle, so nah am Ursprungsort, soll eine reinigende Wirkung auf Körper und Geist haben, hatte mir Adna am Abend zuvor in den bequemen Sofas eines Ali-Baba-artigen Höhlen-Clubs verraten. Ich hatte schon auf dem Weg zum Kloster meine restlichen Zigarette weggeworfen und versprach mir nicht wenig vom Genuss diess Fluids. Hinterher kaufte ich sicherheitshalber doch noch einen Apfel, man kann nie wissen, wieviel Reinigung dieses altertümliche Wasser bei all unseren modernen Sünden wirklich bewirken kann.

Eine Stunde lang wartete ich an der Strasse auf den Bus zurück nach Mostar. Die unerbittliche Sonne war zurück und mit ihr die Hitze. Ich hatte sie vermisst. Eine ältere Frau mit einem angeknautschten Deutsch in einem noch angeknautschteren Polo fuhr mich zurück. Ich kam just in Mostar an und lief auf die Stari Most zu, als einer der Brückenspringer sich auf das Geländer schwang. Ein Kumpane von ihm hatte zuvor um Aufmerksamkeit geheischt und war mit einer dicken Brieftasche herumgegangen. Amra meinte, die Jungs täten es nicht unter 200 Konvertiblen Mark. Der nasse Oberkörper des Springers glänzte in der Nachmittagssonne auf dem höchsten Punkt der Brücke, 23 Meter über der Neretva. Als er sprang, hing sein Körper sekundenlang im Nichts über dem Fluss, das Geräusch des Eintauchens in das herrlich grün-blau schimmernde und sprudelnde Wasser weckte auch bei mir Badegelüste, eine Mischung aus Durst und einem fehlenden Empfinden der Haut.

Das alte, unter österreichischer Herrschaft erbaute Stadtbad war aber geschlossen, auch das Schwimmbecken des Freibads weiter den Fluss hinauf war bereits geleert und glühte in unverbindlichem Azur unter dem kargen Grau der Berge. Ich kaufte stattdessen einige Bier und setzte mich auf den Balkon meines Zimmers mitten hinein in das Grün der Natur, das Rauschen der Bäche und die Takte der darunterliegenden Bar.

Juli Zeh: «Wieviel Stockwerke hat ein elfstöckiges Haus? Antwort: Noch eins.»

Nov 1, 2009

1 Gedicht/Nacht

Diesmal Musik: "altabergut"