Jan 24, 2010

tracking with close-ups

Nach einem nächtlichen Vollrausch im Schwarzsauer ist alles schneller gedreht. Gespräche haben eine fast schon beängstigende Geschwindigkeit und Dringlichkeit, und während man sich noch fragt, warum die anderen Menschen es ebenso eilig und haben wie man selbst, steht man schon an einer ganz anderen Stelle, plappert mit dem Nächsten.

Jan 23, 2010

wir publizieren wieder

Gut, dass Verlinkungen ja gesellschaftsfähig sind im Blogwesen und nicht etwa geächtet, ansonsten könnte ich hier ganz einpacken. Mein erster Text ist bei FURIOS online erschienen, es war eine schwere Geburt. Ich weiss nicht mehr, welche Laune mich geritten hat, als ich Anfang Dezember ganz unvermittelt einen Anti-Streik-Rundumschlag ausführen wollte. War es die Gemütlichkeit des Institutwesens, wo mir alle bisherige Anti-Bologna-Wut ausgetrieben worden war? War es die Grösse der FU, die, und darin Berlin nicht unähnlich, alle Vorhaben zerfliessen lässt? Das Projekt zog sich auf jeden Fall bis jetzt hin. Ich bin gespannt auf bissige Kommentare. Nur zu.

Jan 20, 2010

the happening world

Saal 2, pro Arte Maritim Hotel an der Friedrichstrasse, ungefähr 200 Leute, die meisten älter. An einer kompletten Wand des Foyers stehen Tische mit CDs, Büchern, DVD-Empfehlungen zum Kauf. Nicht gerade billig, das Angebot. Dann endlich sitzen alle. Nach einer recht langen Einleitung endlich die Vorstellung: Hallo, ich bin Robert Betz, dipl. Psychologe, ich war in der Wirtschaft, hatte dann mehrere Krisen und gebe jetzt Lebensberatung. Im grösseren Stil, wie man im Foyer sehen kann. Der Mann hat sich bei seinem Zug durch die Wirtschaft Marketingtechniken genau gemerkt. Schön die Zielgruppe halten. Frauen direkt ansprechen und sich verständig zeigen. Klare Preise, aber nicht knausrig sein, wenns ums Weitergeben geht. Die CDs mit seinen Vorträgen kosten jeweils 15 Euro (nur mal so als Vergleich: Dixons neue «Temporary Secretary» kostet bei iTunes 8.99 €), allerdings ist kopieren und weitergeben ausdrücklich erwünscht. Ich versuche mich in einen Käufer hineinzuversetzen. Der hat gerade die Lizenz zum Glücklichsein erworben, ein Unding, das es in Geschäften schon seit Längerem nicht mehr gibt: Er hat sich einen Wunsch erfüllt UND ist damit in der Lage, anderen ebenfalls einen Wunsch zu erfüllen, ganz legal, im Sinne des Verfassers. Das halbe Foyer schwingt in Harmonie.

Ich bin also dort angekommen, wo mehr und mehr Leute hingelangen, die aufgrund der inneren Leere, ihrer Fragen, Geistererscheinungen oder einer Krankheit auf sich selbst und ihren Körper aufmerksam werden. Robert Betz tritt ihnen mit einem versierten Redeschwall entgegen, der ihnen klarmacht, dass man schon lange auf sie wartet. Bloss ich sitze da und fühle mich fehl am Platz. Woran liegts?

Die Lebenshilfe-Grundlagen, die Robert Betz vermittelt, sind schliesslich nicht von schlechten Eltern. Ohne, dass er gross darüber redet, ist Toleranz anderen und sich selbst gegenüber ein zentraler Punkt, ausserdem Dankbarkeit, Selbstwertgefühl und das Recht auf eigene Wahrheiten. «Jeder Mensch ist von Haus aus ein Schöpfer» - so sein Lieblingsspruch. Dass er den Menschen Mut macht, ist nicht verkehrt, dass er ihnen eine alternative Realität und einen geschützten Raum abseits der normierten Medien und normierten Bürger anbietet, ebensowenig. Womit ich hadere, merke ich erst gegen Ende des knapp dreistündigen Vortrags, als der bekennende Raucher die verteufelten Drogen Alkohol, Zigaretten, Sex, Geld und Macht aus dem Exil zurückholt und allen Süchtigen Absolution erteilt: Ihr dürft geniessen, sagt er, und: Das ist Liebe der Mutter Erde gegenüber. Da heben einige ihre Weingläser und sind ganz froh, dass ihnen endlich jemand erlaubt, geniessen zu dürfen. Hier stocke ich. Denn er tritt genau in die Kerbe, die andere Medien schon geschlagen haben. Die tiefe Verunsicherung des Menschen, die Unmündigmachung: Er holt sie da raus und lässt sich dafür bezahlen. Die Elitenbildung gehört da natürlich mit dazu. Er sagt: Alle fühlen so, nur wir unternehmen etwas dagegen. Die Annahme, dass die Dunkelziffer der Unglücklichen gross ist, mag richtig sein. Einschränkend ist diese Sichtweise aber dennoch. Es gibt schliesslich viele geistige Führer, an die sich die Menschen richten, und die Sektiererei ist etwas, das sie sich direkt bei den Fernsehkanälen und Unternehmen abgeschaut haben.

Vermutlich aber ist mein Erstaunen über das Angebot an Lebenshilfe im Allgemeinen grösser als meine Abscheu. Das Erblicken, mein Erkennen, es soll dazu dienen, dem ganzen aufklärerischen Prozess mit Zuversicht, höchstens mit Gleichgültigkeit gegenüberzustehen. Bei spiritueller Aufklärung gibt es kein schlechter und kein besser. Alles geht aufwärts, und stets erhalten die damit Verbundenen Bestätigung und Antrieb.

Jan 17, 2010

Und sonst so...

Ich muss jetzt mal Werbung in eigener Sache machen: Gestern ist endlich der Blog für das grossartige Seminar «Politik ist eine Kunst» online gegangen. Das ist mein Mammutprojekt für den März, und hoffentlich ein wiederkehrendes Ereignis in Berlin. Dieses Jahr: Politik und Kunst. Wird super. Anmeldewilligen und Interessenten kann ich getrost den Betreiber von PieK anempfehlen, der auch diesen Blog hier schreibt.

Jan 14, 2010

the happening world

rebel:art hat einen Milchmädchenrechner vorgestellt, der in diesen Zeiten echt nötig zu sein scheint. Wir erinnern uns: Dieser Amateur-Blog hat schon im März 2009 vorausgeahnt, dass das einzig Erinnernswerte von 2009 die nach oben offene Finanzhilfen-Skala ist. Selbst die Zeitungen haben für ihre ach so gebildete Leserschaft das mit den Einsen und den vielen Nullen dahinter nochmal ganz klar und schlüssig hergeleitet. Die konsequente Folgerung daraus ist dieser Rechner. Wo soviele Nullen schon stehen, da kommts auf einige mehr oder weniger nicht drauf an. Wunderbar (neben dem Riesen-Display und der schnieken Gold/Holz-Optik) auch die Extratasten unten: Pi mal Daumen, Währungskreislauf, oder gleich Äpfel mit Birnen vergleichen?


Jan 12, 2010

tracking with close-ups

Sie liegt eine Armlänge (Lichtjahre) entfernt im Bett neben mir. Das Licht des Morgens zeichnet die Silhouette ihres Oberkörpers nach, des Kinns, der Wangen, der Stirn. Eine sehr schöne Silhouette. Ich blinzelte im kühl-grellen Morgenlicht und machte mir Gedanken darüber, wer diese Person im Innersten wohl ist und warum sie hergekommen war. Die Gespräche des Abends fallen mir langsam wieder ein; ihr Lächeln, als ich mehr Wein bestellte; ihr Zurücklehnen; mein Umherschauen; die Gewissheit: Du kommst mit mir.
Ich liess eine Hand in ihre blonde Mähne gleiten und umfasste eine Strähne, spielte mit ihr.

Jan 8, 2010

the happening world

Auf edge.org war die Frage des Jahres, ja eigentlich des Jahrzehnts: Wie hat das Internet dein Denken verändert? Diese Frage hat sich jetzt auch in der FAZ niedergeschlagen, in deren Feuilleton der bekennende Internet-Nichtversteher und Feuilleton-Redaktionsleiter Frank Schirrmacher einige der Meinungen von edge.org komponiert. Wie das Internet Schirrmachers Denken beeinfluss hat, lesen wir zum Glück nicht, aber das lässt sich jederzeit anhand seines neusten Buchs veranschaulichen.
Die Stellungsnahmen zur Lotteriefrage von edge.org sind gut ausgesucht und widerspiegeln die Bandbreite, die das Netz besitzt und auf deren voller Länge es unser Leben bestimmt. Einige der Kommentatoren geben sich dem sehenden Auges hin, andere sind in ihrem Handeln vorsichtiger und verordnen sich auch mal netzfreie Wochen. Die Veränderungen, die ich an Mitmenschen beobachte und die ich stets auf den Einfluss der Medien und des Internets zurückführe, tauchen auch in den Texten auf:

A) "Is Google making me stupid?" Aufmerksamkeitsspanne schrumpft, Tiefe der Überlegungen sinkt (ein Unvermögen, dass sich aus Abgelenktheit und physiologischen Ursachen her speist, ein Problem der Hardware also auch), Denken wird seichter.

B) Wo früher die intellektuelle Avantgarde sich über die oberflächlichen Menschen stellte, ist sie heute selbst dort angekommen.

C) Einzigartigkeit geht verloren, da sich viele darauf beschränken, auf Gemeinplätzen zueinander Stellung zu beziehen.

D) Für Informationsbeschaffung werden keine sozialen Fähigkeiten mehr benötigt (Colbert Nation 2006, es geht um online Rollenspiele: «With D&D available on the internet now, today's junior high school pupils are relieved  of the agony of any human contact.»

Fast Sarajevo IXL

Beograd. Kurz vor Abreise, 27.September.

Wir hatten Beograd im gleichen, sanften Morgenlicht wiedergefunden, aber verändert. Für mich war es mehr als einen Monat her, dass ich in der Sava gebadet hatte, aber Andrei war erst kürzlich hier gewesen. In der vorhergehenden Woche sollte ein Festival für Schwule stattfinden, das dann aus Gründen der Sicherheit abgesagt werden musste. Rechtsextreme Gruppen hatten mit eindeutigen Graffitis klar gemacht, dass sie vor Gewalt nicht zurückschrecken würden, falls sich homosexuelle Gruppen auf den Strassen Belgrads versammeln sollten, die Polizei war eingeknickt und liess verlauten, dass sie für die Sicherheit der Festival-Teilnehmer nicht garantieren konnte - «gay pride», das zuletzt 2001 stattgefunden hat, wurde abgesagt.


Als wir vom Bahnhof zum Hostel durch die Fussgängerzone schlenderten, waren uns die vielen schwer ausgerüsteten Polizisten gleich aufgefallen. Von ihnen gab es zu dieser Uhrzeit mehr als Passanten. Wir wunderten uns, machten uns aber keine Sorgen. Erst später erfuhren wir, dass in der vergangenen Woche auch Ausländer Opfer von gewalttätigen Übergriffen geworden waren. Ein frisch verheirateter Mann war von einer Gruppe Jugendlicher zu Tode geprügelt worden, bei Fussballspielen wurden französische Fans angegriffen. Die Grosswetterlage hatte umgeschlagen - ie Stadt Belgrad zeigte ihr zweites Gesicht.
Wir befanden das für unbedenklich, gingen vergnügt shoppen und besichtigten Titos Grabmahl und die Sveta Sava, eine der grössten Kirchen der Welt.
Der Zug nach Zürich via Zagreb und Ljubljana fuhr um kurz nach zehn. Wir waren wie aufgeregte Kinder schon viel früher da, vollgepackt mit Börek und anderem Essen, und natürlich Bier, um die lange Fahrt zuüberstehen. Der Waggon, der bis nach Zürich durchfuhr, war ausgerechnet der modernste und am wenigsten bequemste. Die unnötige Klimaanlage surrte so laut, dass man Ohrensausen bekam, und das 6er Abteil hatte natürlich keine Vorhänge, so dass es selbst nachts hell war. Zu zweit verging die Zeit gut, erst ab Ljubljana war ich alleine und durchfuhr die langen Stunden der Nacht auf den unbequemen Sitzreihen des Westens, in den ich nun zurückkehrte. Ich windete mich, drehte mich auf die eine Seite und gleich wieder zurück.

Zürich war eine schale Stadt, um anzukommen. Der zweckmässige Bahnhof, den ich so gut kannte, machte mit seiner Nüchternheit klar, dass es hier nicht lustig werden würde. Ich setzte mich in den nächsten Regionalzug und fuhr zum Haus meiner Mutter.

Jan 5, 2010

Jan 4, 2010

der letzte schernikau

Das Buch wurde in den Feuilletons ziemlich gelobt, es ist aber auch ausnahmlos gut geschrieben und gewissenhaft recherchiert. Es erzählt die Geschichte von drei, oder eher vier Personen, von Ronald M. Schernikau, dem «letzten Kommunisten», einem schwulen Schriftsteller in Berlin, der kurz vor der Wende noch rüber ist, in den Osten. Ausserdem erzählt Autor Matthias Frings viel von sich selber, was sehr unterhaltsam ist und dem ganzen ein Setting gibt. Dann geht es auch um Schernikaus Mutter, die wenige Jahre nach dem Mauerbau auch rüber ist, in Gegenrichtung zu ihrem Sohn später, in den Westen. Ausserdem erzählt das Buch natürlich vom berauschenden Berlin und insbesondere Kreuzberg der 80er. Nicht so eine schwuchtelige Sozialanalyse, die alle Klassen abdeckt in Mitte oder Prenzlauer Berg. Eine plastische, effektreiche und in einem netten Mikrokosmos angesiedelte Geschichte übers Schwulsein in der Frühzeit, politische Einstellungen, der Kampf dafür und Freundschaften.

Die taz hat mit dem Autor ein Interview geführt, Rezension aus der FAZ, von Dietmar Dath, ihrem eigenen linken Hofschriftsteller.

Jan 3, 2010

the happening world

Meine Mitbewohnerin sagt: «Du klingst wie ein 70jähriger Opa!»
Und das, bloss weil ich an einem Sonntag, dem letzten Ferientag immerhin, geäussert habe, dass es ein super Tag sei und ich einen Spaziergang machen möchte. Kurze Zeit später wird sie mir vorschwärmen, dass sie die Sonne und das Meer im nahen Osten sosehr vermisst, sich mit dem Winter in Berlin zwar arrangieren kann, aber eben, das Meer...

Bei solchen Träumereien bin ich für meinen Pragmatismus dankbar, so opahaft er auch sein mag. Was für eine Zeitverschwendung, sich in ein Zimmer mit offenen Fenstern und Meerblick zu wünschen, wo man der saudade frönen kann. Wieviel nüchterner meine Herangehensweise, die Laune auf südliche Länder für den Urlaub aufzusparen, und sich erstmal im Winter zurechtzufinden. Wir haben genug zu lesen, ein prächtiges Abendessen vor uns, und gerade klart es mal wieder auf. Aber so läuft das eben nicht in Deutschland, und vor allem nicht in Berlin: Es muss schon Fernweh sein, am liebsten einmal morgens, mittags und abends, vermischt mit der Verkündung des Mangels der halb-kontinentalen Wohnlage hier. So stand es einst auch in der ehemaligen Kunstzeitung Liebling. «Die Deutschen wollen sich ihre perfekte Welt zurechtträumen, herbeimoralisieren.» Einfach dort hinzufahren, wo es sie möglicherweise gibt, kommt nicht in die Tüte.