Diesmal in Kolumnenform:
Grasdackel
Überall sonst in Württemberg (und in Baden sowieso) streifen noch die langsamsten Bummelzüge (die schnellsten sowieso) die Städte des Ländles nur und machen, ob es nun Tübingen oder Schwäbisch Gmünd, Pfullingen oder Aalen, Kirchentellinsfurt oder Heidenheim sind: zu Flüchtigkeiten. Wenigstens von der Bahnhofseite her. Der Zug muss gleich wieder weiter. Kein Gebäude an den vielen Gleisen, das einen festhalten wollte. Jedes schubst einen sofort entweder in die Stadt oder eben in einen fortfahrenden Zug hinein. Nur in einer Stadt in Württemberg (von Baden ganz zu schweigen), der Hauptstadt naturgemäß, ist der Hauptbahnhof für alle Züge und alle Reisenden: eine Heimat. Hier fährt man nicht durch. Hier kommt man an. Ein Kopfbahnhof, der ein Herzbahnhof für Generationen von Schwaben und Weltreisenden ist. Auch wenn sie aus ihm hinausfahren, nehmen sie diesen Bahnhof sozusagen mit sich fort: als Sinnbild des technisch Schönen, in dem der Mensch geborgen ist. In den hohen, stolzen Hallen, in denen die Würde einer Basilika-Form mit der Sauberkeit einer reinen Funktion wunderbar harmoniert, überragt von einem trutzig-tollen Turm, der, gebaut von Paul Bonatz in den schweren Zeiten des Ersten Weltkriegs, neben dem anmutigen Fernsehturm von Fritz Leonhardt zu den europäischen Architekturensembles von unnachahmlichem Rang gehört - und zum Inbegriff des Bildes, das jeder von Stuttgart hat, der diese Stadt auch nur ein wenig liebt (und das sind nicht wenige). Eben diese Hallen der Bonatz-Herrlichkeit sollen, wie gestern der Aufsichtsrat der Deutschen Bahn bekräftigt hat, jetzt geschleift, sollen zusammen mit dem gesamten Heimat-Kopfbahnhof amputiert werden! Nur damit es durchgehende, kopflose Gleise tief unter der Erde gebe und droben auf dem dann gleisfreien, geschändeten Gelände kopflose, durchgehende Konsumbauten entstehen, die alle zusammen den durchgehenden Namen "Stuttgart 21" tragen ("Stuttgart00" wäre wohl angemessener), erdacht von durchgeknallten Politikern (ganz oben ein gerade noch amtierender und ein kommender Ministerpräsident) und von durchgeknallten Bahn-Profitmachern ("Grasdackel", wie man so etwas dortzulande nennt). Diese planen mit dem Geld, das sie nicht haben und nie haben werden (also mit "Schulden wie die Sautreiber", wie man dortzulande so etwas nennt), einen völligen megalomanen Unfug ins Blaue hinein, machen dafür aber ein solide Gewachsenes, Schönes, Tolles, Heimatliches, Wunderbares kaputt - oder "hee", wie man dortzulande sagt. Es klingt wie "weh". Also: Krieg den Grasdackeln! Friede den Kopfbahnhöfen!
Gerhard Stadelmaier
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Ihr Senf, bitte. Am besten verdaulich und nicht zu dick aufgetragen.