Jetzt, wo es hier am Helmholtzplatz wieder viel um die Schwaben und andere Nutzniesser des Establishments geht, die sich in die verwilderten, aber schönen Ecken der linken Kreativen einnisten, ist es vielleicht Zeit für ein bisschen Anti-Gentrifizierung. Ich habe dieses Wort ja immer irgendwo im Gender-Bereich zugeordnet und fand es gerade deswegen so unsinnig, mich damit zu befassen. Was hat Gender schon mit Wohnen und Wohngegenden zu tun! Doch gerade in seiner eigentlichen Bedeutung schrumpft der Wert der Aussage, den «Gentrifizierung» macht, noch weiter, denn diese Diskussion entbehrt, im Gegensatz zu der geschlechtlichen, die ja geführt werden muss, jeglicher vernünftiger Legitimierung. In der neuen BrandEins (kaufen, hören oder warten) wird eine kurze, vereinfachte Geschichte des Nebenhers von Kunst und Kommerz gezeichnet, und die Schlussfolgerungen, die dieser Text zieht, dürften auch in der Diskussion um aufgewertete Stadtteile zur Anwendung kommen.
«Ihr seid ein Volk - und wir sind ein anderes», schimpfen die vermeintlich Alteingesessenen über die Schwaben am Helmholtzplatz und Co., wo sie sich doch eigentlich freuen sollten, jetzt wo Weihnachten kommt, weil da ja angeblich alle unechten Berliner nach Hause zu Mutti fahren. Kritik ist nett, aber wirkungslos, und die Anti-Schwaben-Plakate werden nur noch dort thematisch aufgegriffen, wo die Klientel sitzt, die diese Plakate eigentlich verteufelt: In den Blogs und Feuilletons der gut organisierten Medienwelt.
Rebel:art hat schon vor knapp einem Jahr das «Es regnet Kaviar»-Gentrifizierung-Aberwertungskit vorgestellt, das zwar von einer Gruppe aus Hamburg stammt, aber Klassenkampf funktionert ja überall gleich. Mit diesen lustigen und kreativen Ideen kann man seine Wohnung als Waffe gegen die Verschlimmbesserung des Bezirks instrumentalisieren, bevor man zum nächsten Verteilerkasten gehen muss und irgendwelche dumm-kalauernden Sätze aufhängt.
“Die Miete drück ich mir jetzt selber! Mit wenigen Handgriffen lässt sich das Erscheinungsbild ihrer Wohnung nach außen verschlechtern. Schon bald setzt der “broken windows effect” ein: Wohlhabende ziehen weg, Wohnungen sind nur noch schwer zu vermieten, die Preise purzeln in den Keller.
1. Das gewöhnliche Unterhemd – im englischen Sprachraum “wifebeater” genannt – wirkt asozial, besonders wenn sie es zum Trocknen vor’s Fenster hängen! Verstärken lässt sich der Effekt durch an Balkon oder Fenster montierte Wäscheständer. Da bekommt jeder Investor das Fürchten!
2. Sicher ist auch Ihnen schon aufgefallen, dass in Gegenden mit niedrigen Mieten viele Satellitenantennen die Fassaden schmücken, während in wohlhabenden Vierteln derartiges nicht zu sehen ist. Machen Sie sich diesen Umstand selbst zu nutze – montieren Sie eine Sat-Antenne an ihre Fassade (oder drei oder vier). Faustregel: Je mehr Satellitenantennen – desto besser die Wirkung!
3. Was könnte besser den broken windows Effekt auslösen – als ein zersplittertes Fenster? Nichts verbreitet eine so effektive Atmosphäre der Verwahrlosung und der Heruntergekommenheit. Gut für Sie – denn das hält Investoren fern!
4. “It looks getto-rigged” sagt der Amerikaner, um nachlässig durchgeführte Montagen und Reparaturen zu beschreiben. Verbreiten auch Sie eine Atmosphäre der Unsicherheit durch wild zugetapte Fenster, Mauern, scheinreparierte Rohrleitungen etc. Aber aufgepasst: nicht zu kreativ werden – denn wo Kreative arbeiten, steigen die Mieten!
5. Die SAGA vermietet in St. Pauli fast nur noch an Menschen mit deutschem Nachnamen. Ausländer – ob mit oder ohne deutschen Pass – bekommen immer schwerer oder gar keine Wohnung mehr. Das lässt sich zwar nicht beweisen, findet aber statt, viele Familien sitzen in zu klein gewordenen Wohnungen fest, wenn sie nicht bereit sind St. Pauli Richtung Stadtrand zu verlassen. Bei dieser Politik scheint die SAGA davon auszugehen, dass ausländische Namen am Klingelschild sich negativ auf den zu erzielenden Mietertrag auswirken. Machen Sie sich diesen Effekt zu nutze – und fügen sie Ausländische Namen auf ihrem Klingelschild hinzu (oder auf dem ihrer Nachbarn).
6., 7. und 8. Besonders wenn Sie im Erdgeschoss wohnen: lassen Sie ihre Wohnung aussehen wie einen 55-Cent-Laden – oder noch besser: wie einen gescheiterten Discounter! Denn: keine militante Demo ruiniert das Image einer Nachbarschaft so effektiv, wie ein 55-Cent-Laden.
9. Nichts ist asozialer als eine Lidl-Tüte! Stellen Sie die auf den Balkon – oder hängen Sie die aus dem Fenster! Die Menschen werden denken, Sie hätten die Stromrechnung nicht bezahlt oder Sie könnten sich keine Kühlschrankreparatur leisten! Auch gut: Ware aus teuren Läden in Tüten vom billig Discounter nach Haus tragen.
Konsequent und von vielen Mietern angewendet, löst der Abwertungskit™ eine Preisspirale nach unten aus: die Reichen verlassen den Stadtteil und ziehen zurück in ihre angestammten Siedlungsgebiete am Stadtrand, Nobelrestaurants senken die Preise – und schon bald können Sie in einen grössere, billigere Wohnung umziehen. Und am Ende des Monats liegt eine fette Ersparnis in ihrem Portemonnaie. Das alles erreichen sie nicht durch Arbeit oder politische Demonstrationen – sondern nur durch den original Abwertungskit™. In ausgesuchten Fachgeschäften und exclusiv zum Download unter Es regnet Kaviar“
Dec 3, 2009
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Ihr Senf, bitte. Am besten verdaulich und nicht zu dick aufgetragen.