Jan 20, 2010

the happening world

Saal 2, pro Arte Maritim Hotel an der Friedrichstrasse, ungefähr 200 Leute, die meisten älter. An einer kompletten Wand des Foyers stehen Tische mit CDs, Büchern, DVD-Empfehlungen zum Kauf. Nicht gerade billig, das Angebot. Dann endlich sitzen alle. Nach einer recht langen Einleitung endlich die Vorstellung: Hallo, ich bin Robert Betz, dipl. Psychologe, ich war in der Wirtschaft, hatte dann mehrere Krisen und gebe jetzt Lebensberatung. Im grösseren Stil, wie man im Foyer sehen kann. Der Mann hat sich bei seinem Zug durch die Wirtschaft Marketingtechniken genau gemerkt. Schön die Zielgruppe halten. Frauen direkt ansprechen und sich verständig zeigen. Klare Preise, aber nicht knausrig sein, wenns ums Weitergeben geht. Die CDs mit seinen Vorträgen kosten jeweils 15 Euro (nur mal so als Vergleich: Dixons neue «Temporary Secretary» kostet bei iTunes 8.99 €), allerdings ist kopieren und weitergeben ausdrücklich erwünscht. Ich versuche mich in einen Käufer hineinzuversetzen. Der hat gerade die Lizenz zum Glücklichsein erworben, ein Unding, das es in Geschäften schon seit Längerem nicht mehr gibt: Er hat sich einen Wunsch erfüllt UND ist damit in der Lage, anderen ebenfalls einen Wunsch zu erfüllen, ganz legal, im Sinne des Verfassers. Das halbe Foyer schwingt in Harmonie.

Ich bin also dort angekommen, wo mehr und mehr Leute hingelangen, die aufgrund der inneren Leere, ihrer Fragen, Geistererscheinungen oder einer Krankheit auf sich selbst und ihren Körper aufmerksam werden. Robert Betz tritt ihnen mit einem versierten Redeschwall entgegen, der ihnen klarmacht, dass man schon lange auf sie wartet. Bloss ich sitze da und fühle mich fehl am Platz. Woran liegts?

Die Lebenshilfe-Grundlagen, die Robert Betz vermittelt, sind schliesslich nicht von schlechten Eltern. Ohne, dass er gross darüber redet, ist Toleranz anderen und sich selbst gegenüber ein zentraler Punkt, ausserdem Dankbarkeit, Selbstwertgefühl und das Recht auf eigene Wahrheiten. «Jeder Mensch ist von Haus aus ein Schöpfer» - so sein Lieblingsspruch. Dass er den Menschen Mut macht, ist nicht verkehrt, dass er ihnen eine alternative Realität und einen geschützten Raum abseits der normierten Medien und normierten Bürger anbietet, ebensowenig. Womit ich hadere, merke ich erst gegen Ende des knapp dreistündigen Vortrags, als der bekennende Raucher die verteufelten Drogen Alkohol, Zigaretten, Sex, Geld und Macht aus dem Exil zurückholt und allen Süchtigen Absolution erteilt: Ihr dürft geniessen, sagt er, und: Das ist Liebe der Mutter Erde gegenüber. Da heben einige ihre Weingläser und sind ganz froh, dass ihnen endlich jemand erlaubt, geniessen zu dürfen. Hier stocke ich. Denn er tritt genau in die Kerbe, die andere Medien schon geschlagen haben. Die tiefe Verunsicherung des Menschen, die Unmündigmachung: Er holt sie da raus und lässt sich dafür bezahlen. Die Elitenbildung gehört da natürlich mit dazu. Er sagt: Alle fühlen so, nur wir unternehmen etwas dagegen. Die Annahme, dass die Dunkelziffer der Unglücklichen gross ist, mag richtig sein. Einschränkend ist diese Sichtweise aber dennoch. Es gibt schliesslich viele geistige Führer, an die sich die Menschen richten, und die Sektiererei ist etwas, das sie sich direkt bei den Fernsehkanälen und Unternehmen abgeschaut haben.

Vermutlich aber ist mein Erstaunen über das Angebot an Lebenshilfe im Allgemeinen grösser als meine Abscheu. Das Erblicken, mein Erkennen, es soll dazu dienen, dem ganzen aufklärerischen Prozess mit Zuversicht, höchstens mit Gleichgültigkeit gegenüberzustehen. Bei spiritueller Aufklärung gibt es kein schlechter und kein besser. Alles geht aufwärts, und stets erhalten die damit Verbundenen Bestätigung und Antrieb.

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