Mostar, 19. IX
Ich gehe die ehemalige Frontlinie entlang, die sich links der Neretva durch die Strassen schlängelt. Juli Zeh beschreibt in ihrem Bosnien-Buch, das ich einige Wochen nach meiner Rückkehr lesen sollte, die Szenerie so: «Die Fassaden gucken wie Totenschädel, hohle Augen, grinsend aufgesperrte Mäuler, der Kugelhagel hat ihnen die Gesichter abgeschmiergelt bis auf die porösen Knochen.» Anders als bei ihrem Besuch war es auch bei meinem, acht Jahre später nicht. Vielleicht gehören die zerschossenen Gebäude ebenso zum UNESCO-Weltkulturerbe wie die Stari Most. Als ich mit der kleinen Wanderung durch den Westteil der Stadt fertig war, stieg ich in den Buss 11 und fuhr nach Blagaj, wo es ein Kloster der Derwische aus dem frühen 16.Jhr gab. Ich hatte in Istanbul eines gesehen, in einem mystischen Garten gelegen. Innen war ein runder, hoher Raum gewesen, auf dessen Parkett die Mönche einst ihren Tanz vollführt haben, der sie in Trance versetzte, während auf einer Galerie die Älteren gestanden haben müssen, anerkennend nickend.
Neben dem Tekija-Kloster gab es eine Quelle, die Wasser mit sagenhaften 30 Kubikmetern pro Sekunde aus einer Höhle herausdrückt und einen Fluss entlang schiebt, direkt am Kloster vorbei. Das Wasser dieser Quelle, so nah am Ursprungsort, soll eine reinigende Wirkung auf Körper und Geist haben, hatte mir Adna am Abend zuvor in den bequemen Sofas eines Ali-Baba-artigen Höhlen-Clubs verraten. Ich hatte schon auf dem Weg zum Kloster meine restlichen Zigarette weggeworfen und versprach mir nicht wenig vom Genuss diess Fluids. Hinterher kaufte ich sicherheitshalber doch noch einen Apfel, man kann nie wissen, wieviel Reinigung dieses altertümliche Wasser bei all unseren modernen Sünden wirklich bewirken kann.
Eine Stunde lang wartete ich an der Strasse auf den Bus zurück nach Mostar. Die unerbittliche Sonne war zurück und mit ihr die Hitze. Ich hatte sie vermisst. Eine ältere Frau mit einem angeknautschten Deutsch in einem noch angeknautschteren Polo fuhr mich zurück. Ich kam just in Mostar an und lief auf die Stari Most zu, als einer der Brückenspringer sich auf das Geländer schwang. Ein Kumpane von ihm hatte zuvor um Aufmerksamkeit geheischt und war mit einer dicken Brieftasche herumgegangen. Amra meinte, die Jungs täten es nicht unter 200 Konvertiblen Mark. Der nasse Oberkörper des Springers glänzte in der Nachmittagssonne auf dem höchsten Punkt der Brücke, 23 Meter über der Neretva. Als er sprang, hing sein Körper sekundenlang im Nichts über dem Fluss, das Geräusch des Eintauchens in das herrlich grün-blau schimmernde und sprudelnde Wasser weckte auch bei mir Badegelüste, eine Mischung aus Durst und einem fehlenden Empfinden der Haut.
Das alte, unter österreichischer Herrschaft erbaute Stadtbad war aber geschlossen, auch das Schwimmbecken des Freibads weiter den Fluss hinauf war bereits geleert und glühte in unverbindlichem Azur unter dem kargen Grau der Berge. Ich kaufte stattdessen einige Bier und setzte mich auf den Balkon meines Zimmers mitten hinein in das Grün der Natur, das Rauschen der Bäche und die Takte der darunterliegenden Bar.
Juli Zeh: «Wieviel Stockwerke hat ein elfstöckiges Haus? Antwort: Noch eins.»
Nov 2, 2009
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Ihr Senf, bitte. Am besten verdaulich und nicht zu dick aufgetragen.