Sarajevo, 22. IX
Sarajevos Name leitet sich bekanntlich von «Sarai» ab, der Festung, die einst über der Stadt thronte. Den defensiven Charakter hat die Siedlung im Tal nach dem Ende ihrer Belagerung 1995 trotzig und endgültig abgeschüttelt und ihre Bewohner begegnen einem, besonders in den Cafés und Restaurants des Nachts, mit einer ironischen Aggressivität. Diese Stadt umarmt mit slawischer Festigkeit die Kultur und Herkunft ihrer Besucher und verleibt sie sich ein; aus dieser Vereinigung entspringt der nationale Charakter wie Wasser aus einer Quelle immer wieder neu. Im Café Ort, unter dem aziden Vier-viertel einer Musik, deren Takte im Englischen als «pumping» bezeichnet werden, entfacht sich die Konversation der Besucher in ebenjener Weise stets von neuem, begleitet von Gesichtsausdrücken, die im Verlauf eines Satzes von besorgt-beunruhigt, furchtsam über erstaunt und gelangweilt bis hin zu freudig und überheblich wechseln können.
Später ging ich in den Drome. Der Drome ist mehr ein Stadion im Kleinen als ein Club; durch halboffene Betonwände abgeschirmte Galerien sind gesäumt von Bars und Sofafluchten, im Innern die tiefergelegte Tanzfläche, riesengross und rund, die hohen Wände sind gesprenkelt mit sich überlappenden Visuals. Das Ganze mit einer Akustik wie im Hallenbad. Ein deutscher Label-DJ machte sich den Klang zunutze und legte eine trockene Kaskade harter Frankfurt-Rhythmen auf das ohnehin schon staubtrockene Etwas, das aus den Boxen kam und den ganzen Faradayschen Betonkäfig erzittern liess, als stünden die Serben vor der Stadt. Bei den Gästen gab es einfach alles, drei volle Dekaden von Party-Chic, hierhergetragen aus den fernen Metropolen früher Clubkultur. Leuchthörner, Trillerpfeifen, weisse Handschuhe, Topfschnitt, Fusseldecken als Kleidung. Vokuhilas mit und ohne Strähnen. Unterstützt durch die Musik wirkte nichts lächerlich oder fehl am Platz, mir kam ein Statement von Nôze in den Sinn, bei ihrem Auftritt in Montreal 2008: «We don't play intellectual music» - und so zogen sich die Leute hier an. Schon um 12 war der Ort brechend voll, im Keller, unter dem stützenden Gestänge der Tribüne, auf dem Weg zu den «toalets» sassen erste erschöpfte Gestalten, an den klatschnassen Beton gelehnt, eine kleine Aussenseitergruppe drehte Joints; Kondenswasser der schwitzenden Menge über ihren Köpfen tropfte von der abgestuften Decke. Der Metalldetektor am Einlass piepte unentwegt, Aufpasser von vier verschiedenen Firmen leuchteten mit ihren neongelben Westen in der Menge. Dieser Club hatte einen rohen Charme, nichts in der Art wie das majestätische Kristal in Bukarest, und dennoch kein Jota weniger ekstatisch. Die Deckenstrahler nahmen Töne von Blau an. Gigersche Repräsentationen von biomechanoiden Landschaften huschten über die Bildschirme, die Menge jubelte. Ich ginng in den Pool der Tanzenden hinunter, als um vier Uhr morgens Chris Liebling die Plattenteller in diesem einmaligen Establishment übernahm.
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Ihr Senf, bitte. Am besten verdaulich und nicht zu dick aufgetragen.