In der Botschaft findet ein Treffen statt zwischen der Politikfabrik-Gruppe und Vertretern von Politik und Medien der Ukraine, sowie zwei Studentinnen der Universität. Danach gibt es Buffett, mein Abendessen, auf das ich an diesem Tag sehr lange gewartet habe. Im Gespräch mit einem Abteilungsleiter eines ukrainischen Fernsehsenders, mit der Leiterin einer ukrainischen NGO, im Blickkontakt mit den Politikfabrik-Leuten, die mir in dieser kurzen Zeit schon so vertraut geworden sind, auf diese Weise bin ich für einige Stunden aus Kiev ausgeschlossen, der Regen und die Fremde sind mir nicht bis in die Botschaft gefolgt. Sie warten draussen, in den Strassen, und werden mich später wieder in Empfang nehmen. Aber als sich einer der Organisatoren der Politikfabrik an den Flügel im Atrium der Botschaft setzt und losklimpert, als das ukrainische Bier zu wirken beginnt, als Gruppenfotos gemacht werden und der Anlass langsam zu seinem Ende kommt, da habe ich die Stadt, das Vorhaben, die Einsamkeit des Reisen vergessen und werde von der Gruppe mit in ihr zentral gelegenes Apartment genommen.
Später, nach einigem Vodka, guten Erzählungen und einem eigenartigen Heimatgefühl stehen wir auf der Strasse, «Team Nord» und ich. Es stellt sich raus, dass wir doch nicht im selben Hostel übernachten, also mache ich mich auf, in die Dunkelheit, doch schon vor dem Hyatt lenke ich ein, lasse ab von der Fremde und steige in die teure Vertrautheit eines Taxis, das mich zum Hostel bringt. Der Regen ist wieder da, er plätschert vor dem Zimmerfenster auf die Wellblechdächer im Innenhof, er bringt Schlaf mit sich und Träume, die ebenso tropfenhaft durch die Nacht fallen, ihren Weg verlassen und in das Labyrinth der Stadt sinken, durch das ich mich kämpfen werde die nächsten Tage. Keine Karte von Kiev sieht aus wie die andere, mit ihnen ist es wie mit den Uhren auf den Strassen und in den Geschäften, die stets eine unterschiedliche Zeit anzeigen. Raum und Zeit, die beiden Realitätsachsen verbiegen sich hier. Die Tage, in denen ich die Stadt kennenlerne, Leute treffe, Telefongespräche führe, Museen besichtige und Metro fahre, sie ziehen sich in die Länge, überschneiden und wiederholen sich. Die Orte ähneln einander, die Gebäude wechseln die Strassenseite, Norden ist mehrmals woanders, nur der Dnjepr ist stets derselbe, breit und ruhig fliesst er am Rande der Stadt, gesäumt von Stränden und Vergnügungsbuden, die alle bereits ihren langen Winterschlaf angetreten haben.
Die letzte Nacht, die ich in Kiev verbringe, ist klar und regenlos. Ich quartiere mich kurzerhand bei der Couchsurferin aus und in einem zentral gelegeneren Hostel wieder ein. Ich gehe erneut in das Apartment der Politikfabrik, wir gehen in einen der vermutlich teuersten und groteskesten Clubs der Stadt, direkt neben der japanischen Botschaft. Hier gibt es sie noch, die Westler im Anzug mit Zigarre, die Vodka aus der Flasche trinken, die ukrainischen Schönheiten mit ihren tartarischen Gesichtszügen, hohen Wangenknochen und filigranen Schulterblättern. Um den Maydan, den Platz der Unabhängigkeit, sieht man mehr Porsche Cayennes als in Stuttgarts Innenstadt. Auf dem Weg zurück finden wir eine Patronenhülse auf dem Kopfsteinpflaster vor dem Regierungsgebäude.
Der Schlaf in dieser Nacht lässt auf sich warten. Ich liege halbnackt neben dem offenen Fenster. In den zwei Stunden, bis der Bus nach Tschernobyl fährt, gesellt sich irgendwann ein Laken hinzu, eine Bettdecke, ein Kissen.
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Ihr Senf, bitte. Am besten verdaulich und nicht zu dick aufgetragen.