Dec 4, 2008

Wir nannten es Arbeit X

Die Anlagen des Betriebs liegen mit ihren riesigen Speichertanks, Schornsteinen und Rohrgewirren ruhig da, ihre Aussenhaut glitzert in der Wintersonne. In ihrer Untätigkeit scheinen sie wie grosse, schlafende Metalltiere.
Im Labor herrscht eine angenehme, trägmachende Wärme. In den halbverspiegelten Fenstern des gegenüberliegenden Gebäudes erstreckt sich das zerstückelte Panorama des Himmels, wie er hinter uns liegt. Gelegentlich öffnen und schliessen sich Glastüren im Gebäude, heliographieren dabei die Sonne.
Nach dem Mittagessen ziehe ich mich um und gehe ins Sitzungszimmer im Erdgeschoss, wo ich zu einer Informationsveranstaltung eingeladen bin. Mit mir nur fünf andere Praktikanten. Es gibt Kaffee und Weihnachtsgebäck, die Organisatoren von HR respektive Hochschulrecruiting lassen sich nicht lumpen. Die Vorträge sind eher allgemein gehalten, dümpeln ein wenig an der Oberfläche der Materie, behandeln die Energieeffizienz, wie könnte es anders sein, Ökologie-Thematik, einfache Klassifizierung des Themas, der Forschungsbereiche, Herstellungsgrundlagen. Wir lernen die Unterschiede kennen von Bier in Glasflaschen, Dosen, PET-Flaschen. Wir fragen bis an die Grenze des Erzählbaren, bis dorthin, wo die Geheimhaltungsklauseln greifen und wo Stoffe, Katalysatoren und Verfahren nurmehr mit Nummern und Codes bezeichnet sind, damit nicht auf deren Natur geschlossen werden kann.
Es ist später Nachmittag, als wir zur Werksbesichtigung aufbrechen, es dunkelt und schwere Wolken ziehen auf. Im Styropor-Plant II machen wir einen Rundgang mit einem älteren Ingenieur, das ganze, riesige Gebäude wird allein von vier Leuten kontrolliert, die zwischen den Kontrollräumen umherwandern, gelegentlich nachfüllen, Proben ziehen, aufräumen. So werden 150.000 Tonnen pro Jahr produziert, nebenan in Plant I nochmal soviel. Nach einem Gang durch den Reaktorensaal fahren wir ganz nach oben. Es hat zu regnen begonnen und ein heftiger Wind bläst uns entgegen, als wir aus dem Fahrstuhl direkt auf das offene Dach stolpern. In den Mulden der Abdeckung hat sich Wasser gesammelt und gekauert staksen wir zum Geländer am Rand. Vor uns erstreckt sich die Metallwüste mit ihren vielen Lichtern, zum ersten Mal fühle ich mich richtiggehend als ein Teil von ihr. Unter uns liegen die grossen Styrol-Tanks, von wo aus die neue Polystyrol-Anlage und die beiden Styropor-Plants gespeist werden. Neben uns glüht die Fackel, die das abgesaugte Pentan verbrennt. Styrol wird unter unseren Füssen in 7 Reaktoren polymerisiert, wodurch sich Kügelchen bilden, deren Wachstum irgendwann durch Beimischung von Pentan abgebrochen wird. Die «beads» erhalten dann eine Formulierung wie ein Medikament, sie werden beschichtet und nach Grösse ausgesiebt, bei diesem Prozess entsteht viel Staub, wie wir später sehen, ein Geschoss tiefer, wo die Rüttler stehen, wo die sich zersetzenden Peroxide einen starken, süsslichen Geruch hinterlassen und wo an den Wänden, auf den Maschinen, auf den Neonröhren fingerdick der weisse Staub des Beschichtungs-Stereats liegt wie Schnee. Wasserdicht in ein-Tonnen-Gebinden verpackt finden die «beads» ihren Weg nach Übersee oder England, wo sie geschmolzen und aufgeschäumt werden und als Styropor weiterleben.

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Ihr Senf, bitte. Am besten verdaulich und nicht zu dick aufgetragen.