Dec 27, 2008

Wir nannten es Arbeit XI

Die Vorweihnachtszeit ist als Praktikant die anstrengendste Zeit des Jahres. Ich treffe alle neuen Bekannten auf einen oder zwei letzte Vorweihnachtsdrinks oder ein leckeres Abendessen, es wird erzählt, wie man Weihnachten verbringt, ob man sich darauf freut, man schmiedet Pläne für Silvester. Gleichzeitig gibt es einige letzte Sitzungen im Betrieb zum Thema Sicherheit oder Effizienz, in denen ich immer drohe einzunicken wegen der ein oder zwei Vorweihnachtsabschiede am Vorabend. Auch die Arbeitskollegen wollen natürlich alles wissen über die Feiertage, wie ich sie verbringe, wo, was ich an Silvester mache, wann ich aus den Ferien wiederkomme. Ich habe alle meine Freitage auf das Jahresende gelegt, zwei Tage vor dem 24. freigenommen und frei bis einschliesslich den 11. Januar. Wir sitzen also in unserer Innovationsecke, die zwei Kollegen aus dem Labor nebenan sinnieren über die Vorteile des Citroen C5, der Autokauf ist gerade das grosse Thema, nachdem die Regierung Steuererleichterungen gewährt und die Pendlerpauschale wieder ab dem ersten Streckenkilometer gilt. Wir holen uns noch einen Milchkaffee an der WMF-Maschine, wir setzen uns hin, obwohl ich längst wieder im Labor sein wollte, meine Destillation überwachen. Ich werde gefragt, wie, wann, wielange Weihnachten, wie, wann, wielange Silvester. In der Woche vor Weihnachten gibt es das Weihnachtsfrühstück, das Kolleginnen aus unserer Gruppe organisieren, mit denen wir auch sonst immer frühstücken um halb zehn. Dafür geht fast ein ganzer Vormittag drauf, es ist eine gesellige, eine grosse Runde mit den Akademikern und dem Gruppenleiter. Von den Resten können wir noch fast die ganze Woche frühstücken in unserer kleinen Gruppe. Ausgiebiger als sonst, auch länger. Bei all den Arbeitsausfällen muss ich mich richtig ranhalten, um das Projekt wie geplant rechtzeitig vor den Ferien abzuschliessen. Ich arbeite von 7 bis 6 Uhr abends, mit vielen Unterbrüchen zwar, aber ich arbeite. Ich destilliere mich verrückt an dem gelben Öl, das mal mein Produktmuster sein soll. Ich quetsche jeden Tropfen Reinheit aus der Sauce raus. Ich stöhne vor der Glasapparatur, in der meine kostbare Pampe langsam eine Dunkelfärbung annimmt, aus einem Stich ins Braune wird schnell Schwarz. Und tatsächlich: Am letzten Donnerstag tropft gegen 17:45 das letzte der 100 Gramm aus dem Kondensator, ein Milligramm davon wird kurz analysiert, vermessen, dann noch zwanzig weitere Milligramm eingetütet und zur Abteilung GKA geschickt, wo die Artillerie der betriebseigenen Analytik den Stoff auf Herz und Nieren prüft und schaut, ob er meinen und den Anforderungen des Kundens entspricht. Es ist 6 Uhr abends und draussen schon längst dunkel, als ich die Apparaturen ausschalte, die den Rest meiner Pampe wie im Krankenhaus am Leben erhielten. Der sogenannte «Sumpf» der Destillation ist jetzt eine braune, zähflüssige Crème, wie Karamell, vermutlich ist ein Teil meines Produkts unter den hohen Temperaturen polymerisiert, zusammen mit dem hochsiedenden Lutrol, das als Sumpfverdünner diente, liegt jetzt eigentlich reines Plastik vor. Die Sauerei mache ich morgen sauber. Ich bin der Letzte im Labor – mache das Licht aus, gehe mich umziehen. Morgen dann nur noch das Weihnachtsmenu zum Mittagessen und Ferien.

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Ihr Senf, bitte. Am besten verdaulich und nicht zu dick aufgetragen.