Dec 1, 2008

Wir nannten es Arbeit IX

Zwischen den Pausen arbeiteten wir. In Deutschland macht man traditionell um halb zehn Uhr Frückstückspause, ich ass natürlich schon vorher eine kleine Mahlzeit, zuhause. Gegen halb eins geht es dann zum Mittagessen in die benachbarte Kantine, den «Roten Ochsen», wo eine Essensrunde mit den Arbeitskollegen oder mit anderen Praktikanten schonmal eine Stunde dauert – ein Zeitfenster, das ungekannt war zu Uni-Zeiten, wo innert 45 Minuten turbo gegessen und turbo Kaffee getrunken wurde. Die Kaffeepause nach dem Mittagessen lasse ich ohnehin aus, da dieser Koffeinschub nichts hilft, stattdessen versuche ich, vor der richtigen Kaffeepause um drei noch etwas zustande zu bringen. Seit etwa einem Monat nennt unsere Abteilung eine «Innovationsecke» ihr Eigen, eine modern eingerichtete Örtlichkeit im Gebäude nebenan, mit grossformatigen Wissenschaftsbildern auf Panels und Flachbildschirmen, runden Glastischen, Plastikstühlen mit fliessenden Formen sowie einer 1A WMF Kaffeemaschine. Für den Kaffee (oder Latte Macchiato oder Chocolato) bezahlt man nichts, man tut schliesslich seinen Dienst an der Forschung, wenn man sich wie vorgeschrieben mit Kollegen oder Fremden aus anderen Abteilungsbereichen trifft und gemeinsam neue Ideen ausbrütet. Wir gingen natürlich auch so hin, ohne Fremde, zwischen unseren Pausen, und diskutierten über unsere Vorgesetzten, das Abteilungsklima, oder die Weltwirtschaftskrise. Die Weltwirtschaftskrise – die Etymologie dieses mächtigen Wortes ist zumindest uns völlig klar: Während sich die Zeitungen und die Infokanäle des Intranets noch mit «Schieflagen im Finanzsystem» oder «Rezessionsängsten» zufrieden gaben, bliesen die Sparer unserer Firma gleich ganz kräftig ins Horn. Wie es in einer Email hiess, würden auf Grund der «Weltwirtschaftskrise» Betriebsanlässe (auch bereits geplante) gestrichen. Ausserdem gäbe es keine Kekse mehr bei Sitzungen. Dass die Not bei uns schon so gross ist, dass selbst die Kekse in Zukunft wegfallen sollten, zog uns wirklich die Schuhe aus. Bei meinen Fahrten durchs Werksgelände hatte ich schon immer geglaubt, weniger qualmende Fabriken zu sehen und weniger Tankzüge, die zwischen den Fabriken und dem Umschlaghafen pendeln. Nun war es also amtlich. Der Vorstand fliegt nur noch Business-Class, nicht mehr in der First. Alle Investitionsplanungen müssen noch einmal einer Kostenerträglichkeitsanalyse unterzogen werden. Es gibt keine teuren Neugeräte mehr. Es gibt keine Kekse mehr.

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Ihr Senf, bitte. Am besten verdaulich und nicht zu dick aufgetragen.