Dec 21, 2008

Fast Frankfurt XI

Eine beklemmend historische, religiöse Analogie zum GAU von Tschernobyl, die auch von «kid of speed» kultiviert wurde, ist jene des Wermutstrauches aus dem Buch der Offenbarung. Es ist ein biblisches Monument, eine Interpretation, die in ihrer vermeintlichen Treffgenauigkeit von den das Apokalyptische liebenden Russen natürlich sofort annektiert wurde. In der Bibel steht:

«Und der dritte Engel blies seine Posaune; da fiel ein grosser Stern vom Himmel, der brannte wie eine Fackel und fiel auf den dritten Teil der Ströme und Quellen. Und der Name des Sterns ist Wermut. Und der dritte Teil des Wassers wurde bitter, und viele Menschen starben von dem Wasser, weil es so bitter geworden war.»
(Offenbarung 8:10, 11)

Ob das aus dem russischen Kyrillisch transkribierte «Tschernobylik» nur die Pflanze Beifuss beschreibt, oder auch die Pflanzenart Wermut mit einschliesst, die zur selben Gattung gehört, darüber lässt sich streiten. Zumindest wächst Wermut in der Gegend um Tschernobyl (Transkription aus dem Ukrainischen eigentlich «Tschornobyl»). Und die Bitternis der Katastrophe lässt sich auf jeden Fall vortrefflich mit dem Geschmack der Pflanze vergleichen. Und natürlich ist die Reaktorexplosion, die promethische Fackel, die als Symbol in der realen Umgebung der Anlage mehrfach auftaucht, ein gutes Sinnbild für den brennenden Stern, der vom Himmel auf die Erde fiel. Die Opfer sind da, in der späteren Ukraine, Weissrussland, dem Baltikum, Westeuropa. Das verseuchte Grundwasser im südlichen Drittel des Landes ist da. Es ist alles da, was in irgendeiner Weise auf die Offenbarung zutrifft, und natürlich sind die Gläubigen da, die Schwarzseher und Schwarzmaler. Es passt zum Poetischen dieser Katastrophe, deren Ausmass so gigantisch ist und so ungekannt, dass es eigentlich nur auf poetische Weise erschlossen werden kann, denn prosaische, faktische Mechanismen funktionieren hier nicht mehr.
Prometheus, wie er keine 200 Meter vom zerstörten Reaktorblock IV entfernt steht. Ursprünglich als Mahnmal für die friedliche Nutzung der Atomenergie aufgestellt, während die Anlage noch im Betrieb war.

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