Ein hingeklatschtes «BEH», vokalisiertes «OA», dann, singhaft leicht erhoben, das scharfe «ÄSS», und schliesslich das «ÄFF», das wie ein feuchter Händedruck daherkommt. Voilà, das ist die rheinland-pfälzische Interpretation unseres Firmennamens, der ja eigentlich rechts-rheinischen Ursprungs ist («Badische Anilin- und Sodafabrik»), aber kurz nach der Gründung 1865 nach Ludwigshafen in die damals bayrische Rheinpfalz gewechselt ist, wo es vom König erstmal Subventionen gab. Die Pfälzer («Pälzer» im O-ton) dominieren auf Laborebene, um sie und ihren Dialekt kommt man nicht umhin. Sie wohnen zwischen Rebbergen an der Weinstrasse, in Frankenthal, Landau oder Speyer und reisen so von weit her an, weil sie sehr heimatverbunden sind. Die Pfälzer sind freundliche und offene Menschen, nicht so brav wie die vielen Gutmenschen aus Baden-Württemberg. Und zumindest einige Kollegen aus der Gruppe haben es faustdick hinter den Ohren. Die Gruppe: Das ist Gruppenleiter Ebel, ein gesetzter, älterer Mann mit Schnurrbart und ruhigem, wenn auch pfälzischem Auftreten. Er hat das Amt seit 20 Jahren inne. Ihm unterstellt sind die Laborleiter, jüngere Exemplare, die sich erstmal die Sporen verdienen müssen. Mein Chef zum Beispiel kommt gerade von einem Postdoc-Aufenthalt in San Diego beim Halbgott der Organischen Chemie höchstpersönlich: Professor KC Nicolaou. In seinem Team geht es eher ruhiger zu und her, im Labor aber bin ich ohnehin mit Laboranten von anderen Teams zusammen, und bei uns steppt der Bär. Wie ich von anderen Praktikanten erfahren habe, bin ich in eines der lebendigsten und nettesten Laborteams geraten, mir wird immer geholfen und wir haben viel Spass. Zwar hat nicht jeder seinen eigenen Computer-Arbeitsplatz, aber eine Kollegin ist nur jede zweite Woche da, also komme ich immer irgendwo unter. Auch habe ich genügend «bench»-Freiheit, einen riesigen Abzug und genügend Material und Laborutensilien. Schon nach zwei Wochen herrscht bei mir eine gesunde Ordnung, die sich mit dem umliegenden Chaos paart. Ich bin schon wieder verliebt in das Geäst der Wasserschläuche und Glasapparaturen, in die Reaktionsbeschreibungen und Analysenaufträge, in die bunte Pampe und die Ölheizbäder. In der BASF wird weniger akademisch gearbeitet, wir werden anders eingekleidet. Weisse Labormäntel sind passé, möglicherweise will man den Laboranten einen so kompetenten Eindruck nicht gönnen, wie ihn der Kittel erzeugt. Die zur Verfügung stehenden Kittel sind grau, deswegen trägt sie fast niemand. Die meisten arbeiten in Blaumann und weissen Antistatik-Schuhen, die sehr bequem sind. Für obenrum gibt es als Alternative (anstelle der schnöden blauen Jacke) ein schlichtes blau-graues Baumwollhemd, das gerade mit hochgekrempelten Ärmeln eher an Atelierkleidung erinnert als an Handwerker im Labor. Mein Lieblingsstück, natürlich.
Ein Bild der Forschung aus Universitäts-Zeiten. In der BASF sind Fotoapparate natürlich streng verboten.
Oct 28, 2008
Oct 25, 2008
Fast Frankfurt IV
Reiseaufzeichnungen, Woche 2
Ankommen. Abfahren. Nie ankommen, nie abfahren. Immer mit der Reisetasche in der Hand, ein wechselndes Sortiment von wichtigsten Habseligkeiten auf sich führend, in einer neuen Stadt, mit anderen Strassen, Namen, Geschäften. WG-Besichtigungen, Pläne für die Zukunft, sich schon wieder mit dem Wohnen beschäftigen, obwohl doch gerade erst der Überwurf der sicheren Wohnung abgestreift wurde. Küche, Bad, Balkon. Fenster zum Innenhof, oder zur Strasse, oder aufs Nebenhaus, oder Blick auf die Schienen. Kirche in der Nähe, nerviges Getöne am Sonntagmorgen? Wie weit zur Brücke, zur BASF? Waschmaschine, Wandschränke, Stuck? Die Koordinatensysteme des Lebens werden wieder neu ausgerollt. Die Beschreibung der Örtlichkeiten, mit Einkaufsmöglichkeiten, Friseur usw. erinnert mich an Thailand, wo in jedem grösseren Stranddorf die Seven-Eleven Supermärkte als Orientierungshilfen dienten, da es sowas wie Adressen in unser damaligen Welt nicht gab. Grundlage jeglichen Prekariats sind in Mannheim: Lidl, Aldi, oder eben Plus oder Norma, wenns nicht anders geht. Tengelmann, von vielen liebevoll «begehbarer Kühlschrank» genannt, unverzichtbar für Alkoholika. Metzgereien, Bäckereien, Büchereien...mit jeder Erwähnung zieht ein neues Leben vor meinen Augen vorbei, ein gutbürgerliches, mit Bäckereibesuchen, Stofftüten, Fahrradkorb. Ich beantworte Fragen, ziehe Wohnungstüren hinter mir zu, dritter Stock, vierter Stock, Erdgeschoss. Alles nur Maskerade! Die Gutbürgerlichkeit fällt von mir ab, ich bin doch nur Tourist. Ich gehe zurück in die J6, packe den Rucksack, ein letztes Sandwich am Bahnhof, dann der ICE nach Berlin, wo ich abgeholt werde und wo uns die vertraute S-Bahn durch die Nacht nach Lichtenberg fährt, wo der D345 wartet, Destination Kiev Pass. Vor mir eine lärmende Reisegruppe. Wir trennen uns. Einsteigen, hinsetzen, und plötzliche Ruhe, gepaart mit freudiger Erwartung. Der Zug ruckt an, die Reisenden in den anderen Abteilen, die noch stehen, rufen erstaunt aus. Wir lassen die Lichter hinter uns und fahren in die Dunkelheit, dorthin, wo die polnische Grenze steht.
Ankommen. Abfahren. Nie ankommen, nie abfahren. Immer mit der Reisetasche in der Hand, ein wechselndes Sortiment von wichtigsten Habseligkeiten auf sich führend, in einer neuen Stadt, mit anderen Strassen, Namen, Geschäften. WG-Besichtigungen, Pläne für die Zukunft, sich schon wieder mit dem Wohnen beschäftigen, obwohl doch gerade erst der Überwurf der sicheren Wohnung abgestreift wurde. Küche, Bad, Balkon. Fenster zum Innenhof, oder zur Strasse, oder aufs Nebenhaus, oder Blick auf die Schienen. Kirche in der Nähe, nerviges Getöne am Sonntagmorgen? Wie weit zur Brücke, zur BASF? Waschmaschine, Wandschränke, Stuck? Die Koordinatensysteme des Lebens werden wieder neu ausgerollt. Die Beschreibung der Örtlichkeiten, mit Einkaufsmöglichkeiten, Friseur usw. erinnert mich an Thailand, wo in jedem grösseren Stranddorf die Seven-Eleven Supermärkte als Orientierungshilfen dienten, da es sowas wie Adressen in unser damaligen Welt nicht gab. Grundlage jeglichen Prekariats sind in Mannheim: Lidl, Aldi, oder eben Plus oder Norma, wenns nicht anders geht. Tengelmann, von vielen liebevoll «begehbarer Kühlschrank» genannt, unverzichtbar für Alkoholika. Metzgereien, Bäckereien, Büchereien...mit jeder Erwähnung zieht ein neues Leben vor meinen Augen vorbei, ein gutbürgerliches, mit Bäckereibesuchen, Stofftüten, Fahrradkorb. Ich beantworte Fragen, ziehe Wohnungstüren hinter mir zu, dritter Stock, vierter Stock, Erdgeschoss. Alles nur Maskerade! Die Gutbürgerlichkeit fällt von mir ab, ich bin doch nur Tourist. Ich gehe zurück in die J6, packe den Rucksack, ein letztes Sandwich am Bahnhof, dann der ICE nach Berlin, wo ich abgeholt werde und wo uns die vertraute S-Bahn durch die Nacht nach Lichtenberg fährt, wo der D345 wartet, Destination Kiev Pass. Vor mir eine lärmende Reisegruppe. Wir trennen uns. Einsteigen, hinsetzen, und plötzliche Ruhe, gepaart mit freudiger Erwartung. Der Zug ruckt an, die Reisenden in den anderen Abteilen, die noch stehen, rufen erstaunt aus. Wir lassen die Lichter hinter uns und fahren in die Dunkelheit, dorthin, wo die polnische Grenze steht.
Oct 23, 2008
Wir nannten es Arbeit IV
Oder: Hin und wieder zurück.
Tiefer Schlaf, von wirren Träumen durchzogen, ereilt mich hier, nach rund einem Monat Mannheim, jede Nacht. Der Wecker kommt zu früh, aber gerade rechtzeitig, um grössere Abstrusitäten zu verhindern. Mit einem Satz bin ich im Bad, prüfe den Sitz der Schlaf-Falten, esse etwas. Bei der ersten Zigarette blicke ich, auf der Dachterrasse unter dem tiefschwarzen Himmel stehend, in Richtung Pfalz, wo Scheinwerfer die am Fluss stehenden Verladestationen als Silhouetten abbilden. Im schwarzen Jogginganzug, die IKEA-Handtasche umgehängt, eile ich die Treppen herunter in den Innenhof, wo das Rad steht. Die Quadrate beginnen, sich mit Leben zu füllen. Ich kreuze den Luisenring, bin schon am Verbindungskanal, fahre gleich die Rampe der Kurt-Schumacher-Brücke hoch, überhole andere «Aniliner», die man leicht an den BASF-Jacken und –Helmen erkennt. Auch ich trage Helm, auf dem Werksgelände ist das Vorschrift, und ihn erst am Tor anzuziehen umständlich. Über dem Rhein lichtet sich langsam die Dunkelheit, das grelle Scheinwerferlicht der Hafenanlagen liegt jetzt scharf links, jeden Morgen ist die Dämmerung etwas weniger hell, es ist viertel nach Sieben. Weisse Möwen fliegen in Gruppen knapp über die schwarzen Wasser des Rheins, der tief unter mir dahinfliesst. Die Brücke dauert ewig, der Berufsverkehr auf der anderen Seite zieht vorbei. Am Ende der Brücke rolle ich die Rampe herunter, halte kurz vor Tor 7. Mein Ausweis öffnet die Schranke, ich schiebe das Rad durch, steige wieder auf.
-
Auf der Rückfahrt ist es mild, nicht selten scheint hier die Sonne am Nachmittag, auch wenn der Morgen neblig und wenig vielversprechend aussieht. Der Berufsverkehr geht jetzt in die andere Richtung, wieder mir entgegen, viele Laster sind darunter. Im Jungbusch, dem «Szeneviertel», schlängele ich mich durch die mir entgegenkommenden Autos in Einbahnstrassen, komme an Spielplätzen vorbei, die komplett türkisch besetzt sind, und wo man bei den am Rande sitzenden Figuren nie weiss, ob es Eminem-Gangster sind oder junge, bildhübsche Türkinnen mit Kopftuch. Die letzte Zigarette wieder auf dem Dach, in der Sonne. Bald ist Zeitverschiebung.
Tiefer Schlaf, von wirren Träumen durchzogen, ereilt mich hier, nach rund einem Monat Mannheim, jede Nacht. Der Wecker kommt zu früh, aber gerade rechtzeitig, um grössere Abstrusitäten zu verhindern. Mit einem Satz bin ich im Bad, prüfe den Sitz der Schlaf-Falten, esse etwas. Bei der ersten Zigarette blicke ich, auf der Dachterrasse unter dem tiefschwarzen Himmel stehend, in Richtung Pfalz, wo Scheinwerfer die am Fluss stehenden Verladestationen als Silhouetten abbilden. Im schwarzen Jogginganzug, die IKEA-Handtasche umgehängt, eile ich die Treppen herunter in den Innenhof, wo das Rad steht. Die Quadrate beginnen, sich mit Leben zu füllen. Ich kreuze den Luisenring, bin schon am Verbindungskanal, fahre gleich die Rampe der Kurt-Schumacher-Brücke hoch, überhole andere «Aniliner», die man leicht an den BASF-Jacken und –Helmen erkennt. Auch ich trage Helm, auf dem Werksgelände ist das Vorschrift, und ihn erst am Tor anzuziehen umständlich. Über dem Rhein lichtet sich langsam die Dunkelheit, das grelle Scheinwerferlicht der Hafenanlagen liegt jetzt scharf links, jeden Morgen ist die Dämmerung etwas weniger hell, es ist viertel nach Sieben. Weisse Möwen fliegen in Gruppen knapp über die schwarzen Wasser des Rheins, der tief unter mir dahinfliesst. Die Brücke dauert ewig, der Berufsverkehr auf der anderen Seite zieht vorbei. Am Ende der Brücke rolle ich die Rampe herunter, halte kurz vor Tor 7. Mein Ausweis öffnet die Schranke, ich schiebe das Rad durch, steige wieder auf.
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Auf der Rückfahrt ist es mild, nicht selten scheint hier die Sonne am Nachmittag, auch wenn der Morgen neblig und wenig vielversprechend aussieht. Der Berufsverkehr geht jetzt in die andere Richtung, wieder mir entgegen, viele Laster sind darunter. Im Jungbusch, dem «Szeneviertel», schlängele ich mich durch die mir entgegenkommenden Autos in Einbahnstrassen, komme an Spielplätzen vorbei, die komplett türkisch besetzt sind, und wo man bei den am Rande sitzenden Figuren nie weiss, ob es Eminem-Gangster sind oder junge, bildhübsche Türkinnen mit Kopftuch. Die letzte Zigarette wieder auf dem Dach, in der Sonne. Bald ist Zeitverschiebung.
Oct 21, 2008
Wir nannten es Arbeit III
Gestern bei einem Kontaktforum gewesen, zu dem ich letzte Woche von HR eingeladen wurde. Da das Treffen ausschliesslich für Naturwissenschaftler war, traf ich dort auch zum ersten Mal alle Praktikanten meines Faches. Einige von ihnen machen das Praktikum, um die Zeit bis zum Beginn der Promotion zu überbrücken und wurden von ihrem Professor eingeschleust – dementsprechend sind sie eher zurückhaltend und können sich nicht so ganz auf die industrielle Arbeitsweise einstellen. Wir haben uns verabredet, mal Mittagessen zu gehen. Da wir alle so verstreut über das Werksgelände verteilt sind, erfordert das sorgfältige Planung. Beim Kontaktforum haben wir Wissenschaftler kennengelernt, die schon länger in der BASF tätig sind. Der Einstieg ist immer gleich: Man hat einen PhD in Biologie, Physik oder Chemie und leitet als erstes ein Labor oder einen Zusammenschluss von Labors, so wie es mein Chef auch gerade tut. Zwei bis drei Laboranten (und, wenns hochkommt, ein fleissiger Praktikant, so wie ich) arbeiten an den Projekten, die man ausarbeitet. Den Kontakt zur «echten» Chemie oder Biologie, zum Handwerk, hat man zu diesem Zeitpunkt bereits verloren. Man sitzt im Büro und steht nicht mehr im Labor. Nach drei bis vier Jahren bietet sich die Möglichkeit, die Abteilung zu wechseln, unter Umständen auch das Arbeitsfeld. So kann man im technischen Marketing landen, bei der Produktion, und so weiter. Auf diese Weise lernt man viele Bereiche des Konzerns kennen, unter Umständen auf anderen Kontinenten, und kann so die goldene Mitte ausloten, wo man sich am wohlsten fühlt. Für Dr. Simon Champ, der mir beim Mittagessen gegenüber sass, bedeutet das Marketing im Kosmetik-Bereich. Er klärte mich über die Trends der nächsten zehn Jahre auf, und verlor auch einige Worte über Anti-Aging, got2b Haargels und UV-A-Strahlung. Noch ein Wort zum Mittagessen: Das fand im BASF Casino statt, dem besten Lokal des Betriebs, wo nur auf Einladung gespiesen wird. Für einmal durften wir uns fühlen wie auf der Vorstandsetage und bekamen vier köstliche Gänge serviert. Als wir fertig waren, so gegen zwei, halb drei, beschlossen wir, dass wir für heute genug gearbeitet hätten und machten uns auf den Weg nach Hause.
Oct 20, 2008
Es gibt nichts Gutes
ausser man tut es. Gerade Zusage für Zimmer in Traum-WG bekommen, gross wie eine Kirche. Ein kilometerlanger Flur, sechs Mitbewohner, Altbau, liegt auf dem Arbeitsweg. Morgens fünf Minuten länger schlafen, oder abends fünf Minuten länger bloggen. Gute Hausnummer, fast direkt am Verbindungskanal, mitten im Szeneviertel, und eine Miete knapp unter einer Fantastilliarde.
Oct 19, 2008
Fast Frankfurt III
Reiseaufzeichnungen, Woche 2
Ich kam an einem Samstagabend an, es war warm und die Leute auf den Strassen hilfsbereit bei der Wegbeschreibung. Das Navi des Wagens kannte die halbe Welt, aber nicht die Quadratstadt Mannheims, in der es schwierig ist zu navigieren, alles schmale Einbahnstrassen. Wir luden die Bücherkisten in den Keller und hievten den Rest die vier Stockwerke des Altbaus hoch. Endlich war ich da. Zürich, die Toskana, das Studium und die Freunde liegen plötzlich in weiter Ferne, jenseits der Grenze. Auf der Fahrt habe ich eine CD von Plastikman gehört, die ungekannte Töne durch die Lautsprecher des Autos in den Innenraum geschickt hatte und mich so, eingelullt, den Umzug vergessen liess. Kurz vor der Ausfahrt waren die riesigen Produktionsbauten des BASF Industriegeländes am Rand der Autobahn vorübergezogen. An den Enden der Schlote hingen wie müde Geisterfahnen die Rauchsäulen des Betriebs. Jetzt bin ich da, in diesem Augenblick, in den Quadraten, Mannheim, würziger Geruch in der Luft von der nahen Schokoladenfabrik, deren Schornsteine ebenfalls nachts qualmen. Ich denke nicht an die Arbeit, noch nicht. Zuviel liegt noch dazwischen. In der Küche sitzen sie alle, die drei Mitbewohnerinnen meiner Bekannten. Es ist dunkel in der Wohnung, und Kerzen scheinen. Wir trinken Wein. Ich komme langsam an. Dann gehen wir zu dritt in die «Alte Feuerwache» auf der gegenüberliegenden Seite des Neckars, wo ich die ersten Stunden der frischen Nacht, des frischen Lebens tanzend verbringe.
Ich kam an einem Samstagabend an, es war warm und die Leute auf den Strassen hilfsbereit bei der Wegbeschreibung. Das Navi des Wagens kannte die halbe Welt, aber nicht die Quadratstadt Mannheims, in der es schwierig ist zu navigieren, alles schmale Einbahnstrassen. Wir luden die Bücherkisten in den Keller und hievten den Rest die vier Stockwerke des Altbaus hoch. Endlich war ich da. Zürich, die Toskana, das Studium und die Freunde liegen plötzlich in weiter Ferne, jenseits der Grenze. Auf der Fahrt habe ich eine CD von Plastikman gehört, die ungekannte Töne durch die Lautsprecher des Autos in den Innenraum geschickt hatte und mich so, eingelullt, den Umzug vergessen liess. Kurz vor der Ausfahrt waren die riesigen Produktionsbauten des BASF Industriegeländes am Rand der Autobahn vorübergezogen. An den Enden der Schlote hingen wie müde Geisterfahnen die Rauchsäulen des Betriebs. Jetzt bin ich da, in diesem Augenblick, in den Quadraten, Mannheim, würziger Geruch in der Luft von der nahen Schokoladenfabrik, deren Schornsteine ebenfalls nachts qualmen. Ich denke nicht an die Arbeit, noch nicht. Zuviel liegt noch dazwischen. In der Küche sitzen sie alle, die drei Mitbewohnerinnen meiner Bekannten. Es ist dunkel in der Wohnung, und Kerzen scheinen. Wir trinken Wein. Ich komme langsam an. Dann gehen wir zu dritt in die «Alte Feuerwache» auf der gegenüberliegenden Seite des Neckars, wo ich die ersten Stunden der frischen Nacht, des frischen Lebens tanzend verbringe.
Oct 12, 2008
Fast Frankfurt II
Reiseaufzeichnungen, Woche 2
Die völlig zeitlose und gedächtnislose Landschaft der Toskana trug dazu bei, dass ich mich schon nach einem Tag nicht mehr an mein ursprüngliches Vorhaben erinnern konnte. Mein Vorhaben war das Vergessen gewesen. Vielleicht aber hatte ich bereits vergessen, und ohne Mobiltelefon und Email fehlte mir schlichtweg jede Möglichkeit, mich zu erinnern. Nach den sieben Tagen der Seminarwoche waren wir komplett satuiert, sowohl was den Körper anging, den wir schon vom zweiten Tag an, vom reichhaltigen Essen gefüllt, durch die Gänge und über Treppenläufe schleppen mussten, als auch, was den Geist anging. Wir hatten gefunden, wonach wir nicht gesucht hatten, die Augen blickten begeistert auf alles, was da kommen möge und die Ohren summten vor mattem Glück. Und als der Wüstenwind der Sahara nach Kontinentaleuropa heraufblies und die Luft stickig wurde und undurchdringbar, machten wir uns auf den Weg zurück nach Zürich, wo ich mich von der ersten Minute an nunmehr als Tourist fühlte, als jemand, der kurz etwas erledigen muss und dann geht. Ich hatte gleich mehrere Sachen zu erledigen, einige bürdete ich einem Freund auf, der für unsere Wohnung die Schlüsselübergabe regelte, wir betranken uns das letzte Mal an einem Freitag, ich holte das Bier wie üblich in der Brauerei nebenan. Der Besitzer des Brauhauses wünschte mir eine gute Reise und lud mich ein, wenn ich mal wieder in Zürich wäre, auf ein Glas vorbeizukommen. Er wusste nicht, dass ich gerade in diesem Moment «mal wieder» in Zürich war. Der zweite Mietwagen in dieser Woche war ein komfortabler Vectra, der am Tag darauf meine restlichen Habseligkeiten in seinen grossen Kofferraum aufnahm. Die Wegfahrt erzeugte ein tolles Gefühl, das nur dadurch gedämpft wurde, dass ich mich erst an das moderne Auto gewöhnen musste. Bis Freiburg regnete es, erst dann gab ich Gas und jagte mit mehr als 200 Stundenkilometern Richtung Norden, Richtung Frankfurt.
Die völlig zeitlose und gedächtnislose Landschaft der Toskana trug dazu bei, dass ich mich schon nach einem Tag nicht mehr an mein ursprüngliches Vorhaben erinnern konnte. Mein Vorhaben war das Vergessen gewesen. Vielleicht aber hatte ich bereits vergessen, und ohne Mobiltelefon und Email fehlte mir schlichtweg jede Möglichkeit, mich zu erinnern. Nach den sieben Tagen der Seminarwoche waren wir komplett satuiert, sowohl was den Körper anging, den wir schon vom zweiten Tag an, vom reichhaltigen Essen gefüllt, durch die Gänge und über Treppenläufe schleppen mussten, als auch, was den Geist anging. Wir hatten gefunden, wonach wir nicht gesucht hatten, die Augen blickten begeistert auf alles, was da kommen möge und die Ohren summten vor mattem Glück. Und als der Wüstenwind der Sahara nach Kontinentaleuropa heraufblies und die Luft stickig wurde und undurchdringbar, machten wir uns auf den Weg zurück nach Zürich, wo ich mich von der ersten Minute an nunmehr als Tourist fühlte, als jemand, der kurz etwas erledigen muss und dann geht. Ich hatte gleich mehrere Sachen zu erledigen, einige bürdete ich einem Freund auf, der für unsere Wohnung die Schlüsselübergabe regelte, wir betranken uns das letzte Mal an einem Freitag, ich holte das Bier wie üblich in der Brauerei nebenan. Der Besitzer des Brauhauses wünschte mir eine gute Reise und lud mich ein, wenn ich mal wieder in Zürich wäre, auf ein Glas vorbeizukommen. Er wusste nicht, dass ich gerade in diesem Moment «mal wieder» in Zürich war. Der zweite Mietwagen in dieser Woche war ein komfortabler Vectra, der am Tag darauf meine restlichen Habseligkeiten in seinen grossen Kofferraum aufnahm. Die Wegfahrt erzeugte ein tolles Gefühl, das nur dadurch gedämpft wurde, dass ich mich erst an das moderne Auto gewöhnen musste. Bis Freiburg regnete es, erst dann gab ich Gas und jagte mit mehr als 200 Stundenkilometern Richtung Norden, Richtung Frankfurt.
Wir nannten es Arbeit II
Als ich gestern nach dem Mittagessen in die Garderobenräume im Keller gegangen bin, um meine Zeitung zu holen, lag dort auf einer der Sitzbänke der Laborant von nebenan, bei seinem Kopf tickte ein Wecker. Es war ein bisschen gruselig, ihn dort so zu sehen, er ist auch etwas gruselig wenn er nicht schläft, aber in diesen gedrungenen Garderobenräumen, wo zwischen den Spinden nicht viel Platz ist, war es speziell gespenstisch ihn dort so liegen zu sehen, ein wenig wie bei Dracula, nur ohne Sarg. Meine Arbeitskollegen im Labor in der Abteilung für marktnahe Produktentwicklung sind die Zahnräder, durch die sich die BASF überhaupt erst bewegen kann. Die meisten von ihnen arbeiten hier schon seit mehr als zehn Jahren. Nach der dreijährigen Ausbildung zum Laborant im Betrieb werden sie oft direkt von der BASF übernommen. Ihre Arbeit umfasst die mehrstufige Synthese von Chemikalien und, wenn ihr Projekt erfolgversprechend ist, auch das Scaling-Up, das im abteilungseigenen «Technikum» durchgeführt wird, einer Pilotanlage, in der die Reaktionen auf grösserem Massstab getestet werden. So optimiert die BASF einerseits bereits bestehende Prozesse in ökonomischer und ökologischer Hinsicht und erweitert andererseits ihr Chemikalien-Portfolio. Das Chemikalien-Portfolio – jeden Nachmittag auf der Rückfahrt durch das Werksgelände schnüffele ich mich durch die halbe Produkt- und Zwischenprodukt-Palette der «Chemical Company». Seit der zweiten Praktikumswoche nenne ich eines der begehrten BASF-Werksräder mein Eigen, das ich direkt vom Chef bekommen habe. Auf dem Weg vom Laborgebäude zum Werkstor in Ludwigshafen fahre ich auf der Anilinfabrikstrasse, wo lange Kolonnen von Tankwaggons über das Schienennetz zu den Abfüllstationen der Produktionsbetriebe und wieder zurück zum Landeshafen geschoben werden. Die BASF ist ein Organismus – Nahrung kommt in Form von Rohöl mehrmals täglich per Frachter an den Pipelines des Landeshafens an, von wo es zu den Steamcrackern geleitet wird. Dort werden die Kohlenwasserstoffe in handliche, kleinere Monomere zerlegt, aus denen Plastik gemacht wird, Farben, Lacke, Pharmavorprodukte und anderes. Energie kommt von den werkseigenen kombinierten Energie- und Dampfanlagen, die Strom und Wasserdampf erzeugen. Organismus heisst bei der BASF «Verbund», die BASF unterhält sechs Verbund-Standorte weltweit, Ludwigshafen ist davon der grösste.
Oct 8, 2008
Fast Frankfurt I
Reiseaufzeichnungen, Woche 1
Geistesbewegung hin oder her, auf Dauer wird der Körper müde, wenn er am selben Ort bleibt. Und so endete das Kapitel Zürich gegen 4 Uhr an einem Freitag unter sonnig-dunstigem Himmel. Die Benommenheit, die sich mit dem Wetter einstellte, passte gut zur Unwirklichkeit des Abschieds; gerade noch Professorenhände geschüttelt und Prüfungsfragen beantwortet, schon das letzte Mal aus dem Chemiegebäude gelaufen, schon wie bewusst die letzten Blicke auf das Landschaftspanorama und die vom Flughafen startenden Spätnachmittagmaschinen geworfen, schon das letzte Mal joggen gegangen durch den nahen Wald. Die Bewegung des Wegfahrens, des Loslassens, hält länger an, gleich wird die Reisetasche gepackt, gleich wird sich eingestellt auf eine interdisziplinäre Seminarwoche in der Toskana mit viel Esoterik und gutem Essen und gutem Wein. Eine Zeit, in der ich, ganz kurz nur, Abstand nehmen kann vom ständigen Verschwinden. Hier, in der Toskana, unter dem schweren Himmel des Herbstes, unter den Ästen der Kiefern, den Sternen, im Garten neben dem Eingang zur Capella, neben dem Gehege der Landschildkröten, hier tauchen Freude und Gelassenheit wie Geister hinter den sterbenden Überresten des Studiums auf, und ausserdem die interessantesten Leute der Hochschule in Zürich. Was sich auch einstellt, ist eine Ruhe nach dem Studium. Der mit Reisen vollgestopfte September drohte, besorgniserregend zu sein, bevor er überhaupt begonnen hatte.
Geistesbewegung hin oder her, auf Dauer wird der Körper müde, wenn er am selben Ort bleibt. Und so endete das Kapitel Zürich gegen 4 Uhr an einem Freitag unter sonnig-dunstigem Himmel. Die Benommenheit, die sich mit dem Wetter einstellte, passte gut zur Unwirklichkeit des Abschieds; gerade noch Professorenhände geschüttelt und Prüfungsfragen beantwortet, schon das letzte Mal aus dem Chemiegebäude gelaufen, schon wie bewusst die letzten Blicke auf das Landschaftspanorama und die vom Flughafen startenden Spätnachmittagmaschinen geworfen, schon das letzte Mal joggen gegangen durch den nahen Wald. Die Bewegung des Wegfahrens, des Loslassens, hält länger an, gleich wird die Reisetasche gepackt, gleich wird sich eingestellt auf eine interdisziplinäre Seminarwoche in der Toskana mit viel Esoterik und gutem Essen und gutem Wein. Eine Zeit, in der ich, ganz kurz nur, Abstand nehmen kann vom ständigen Verschwinden. Hier, in der Toskana, unter dem schweren Himmel des Herbstes, unter den Ästen der Kiefern, den Sternen, im Garten neben dem Eingang zur Capella, neben dem Gehege der Landschildkröten, hier tauchen Freude und Gelassenheit wie Geister hinter den sterbenden Überresten des Studiums auf, und ausserdem die interessantesten Leute der Hochschule in Zürich. Was sich auch einstellt, ist eine Ruhe nach dem Studium. Der mit Reisen vollgestopfte September drohte, besorgniserregend zu sein, bevor er überhaupt begonnen hatte.
Oct 3, 2008
Wir nannten es Arbeit I
Der Arbeitsvertrag über sechs Monate war im ersten und einzigen Antwortbrief gekommen, den ich von der BASF erhielt. Es gab kein Interview, auch nicht per Telefon, wie es mir Schering in Berlin angeboten hatte. Ich glitt also völlig widerstandslos vom Studium in die Praktikumszeit bei der grössten chemischen Firma der Welt, die zugleich eine der bestgeführten von ganz Deutschland ist und in der Landschaft der Landesökonomie so etwas wie einen Konjunkturindikator darstellt. Mit mir fingen 30 weitere Praktikanten an, die wie ich in ihren Zwanzigern steckten und von denen die meisten aus der Umgebung kamen, einige schrieben ihre Diplomarbeit und waren nur wenige Tage pro Woche tatsächlich in Ludwigshafen. BASF und Chemie, Ludwigshafen und Mannheim, es gibt in der Rhein-Neckar-Metropolregion wenig, das gegensätzlicher wäre. Von den 30 Praktikanten haben bloss drei tatsächlich etwas mit Chemie zu tun, ich bin einer davon. Der Rest beschäftigt sich mit den Dingen, die eben so anfallen in einem Unternehmen mit fast 100.000 Mitarbeitern auf fünf Kontinenten und einem jährlichen Umsatz von 58 Milliarden Euro. Da wäre die Marketingabteilung, Public Relations, Finanzen und Rechnungswesen, Controlling, ausserdem werden Praktikanten in Tochterunternehmen in der Region eingesetzt. Ludwigshafen, im Bundesland Rheinland-Pfalz links des Rheins gelegen, ist eine Stadt, die im Grunde nur für die BASF existiert, deren Firmensitz dort ist. Jeder, der mit BASF zu tun hat oder in der Metropolregion wohnt, hat mir abgeraten, dort hinzuziehen, viele sind nicht einmal in der Stadt gewesen. Ludwigshafen ist also so etwas wie das spukhafte, angeblich nicht-existente Bielefeld, über die Rheinbrücken zwar schnell erreichbar, aber psychologisch weit entfernt. Im Gegensatz zu Bielefeld, dessen Vorhandensein ich bezeugen kann, ist es auch schwer, sich hinter den Hafenanlagen und Industriegebieten eine echte Stadt vorzustellen. Es ist einfacher, die Produktions- und Handelsbetriebe endlos in die Ferne weiter zu projizieren. Mannheim wiederum, rechts des Rheins gelegen, ist eine handfeste, putzige Stadt mit einem kreisrunden, gitterförmig gearteten Zentrum, der «Quadratstadt». Um das Schloss herum angelegt, in dem heute die Universität residiert, wollte der damalige Kurfürst der Pfalz um 1600 damit sein absolutistisches Weltbild verdeutlichen. Strassennamen gibt es keine, stattdessen hat jeder Häuserblock eine Buchstaben-Zahlen-Kombination; ich wohne gerade in der J6, die Stammkneipe ist in der S1.
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