Oct 3, 2008

Wir nannten es Arbeit I

Der Arbeitsvertrag über sechs Monate war im ersten und einzigen Antwortbrief gekommen, den ich von der BASF erhielt. Es gab kein Interview, auch nicht per Telefon, wie es mir Schering in Berlin angeboten hatte. Ich glitt also völlig widerstandslos vom Studium in die Praktikumszeit bei der grössten chemischen Firma der Welt, die zugleich eine der bestgeführten von ganz Deutschland ist und in der Landschaft der Landesökonomie so etwas wie einen Konjunkturindikator darstellt. Mit mir fingen 30 weitere Praktikanten an, die wie ich in ihren Zwanzigern steckten und von denen die meisten aus der Umgebung kamen, einige schrieben ihre Diplomarbeit und waren nur wenige Tage pro Woche tatsächlich in Ludwigshafen. BASF und Chemie, Ludwigshafen und Mannheim, es gibt in der Rhein-Neckar-Metropolregion wenig, das gegensätzlicher wäre. Von den 30 Praktikanten haben bloss drei tatsächlich etwas mit Chemie zu tun, ich bin einer davon. Der Rest beschäftigt sich mit den Dingen, die eben so anfallen in einem Unternehmen mit fast 100.000 Mitarbeitern auf fünf Kontinenten und einem jährlichen Umsatz von 58 Milliarden Euro. Da wäre die Marketingabteilung, Public Relations, Finanzen und Rechnungswesen, Controlling, ausserdem werden Praktikanten in Tochterunternehmen in der Region eingesetzt. Ludwigshafen, im Bundesland Rheinland-Pfalz links des Rheins gelegen, ist eine Stadt, die im Grunde nur für die BASF existiert, deren Firmensitz dort ist. Jeder, der mit BASF zu tun hat oder in der Metropolregion wohnt, hat mir abgeraten, dort hinzuziehen, viele sind nicht einmal in der Stadt gewesen. Ludwigshafen ist also so etwas wie das spukhafte, angeblich nicht-existente Bielefeld, über die Rheinbrücken zwar schnell erreichbar, aber psychologisch weit entfernt. Im Gegensatz zu Bielefeld, dessen Vorhandensein ich bezeugen kann, ist es auch schwer, sich hinter den Hafenanlagen und Industriegebieten eine echte Stadt vorzustellen. Es ist einfacher, die Produktions- und Handelsbetriebe endlos in die Ferne weiter zu projizieren. Mannheim wiederum, rechts des Rheins gelegen, ist eine handfeste, putzige Stadt mit einem kreisrunden, gitterförmig gearteten Zentrum, der «Quadratstadt». Um das Schloss herum angelegt, in dem heute die Universität residiert, wollte der damalige Kurfürst der Pfalz um 1600 damit sein absolutistisches Weltbild verdeutlichen. Strassennamen gibt es keine, stattdessen hat jeder Häuserblock eine Buchstaben-Zahlen-Kombination; ich wohne gerade in der J6, die Stammkneipe ist in der S1.

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