Oct 25, 2008

Fast Frankfurt IV

Reiseaufzeichnungen, Woche 2
Ankommen. Abfahren. Nie ankommen, nie abfahren. Immer mit der Reisetasche in der Hand, ein wechselndes Sortiment von wichtigsten Habseligkeiten auf sich führend, in einer neuen Stadt, mit anderen Strassen, Namen, Geschäften. WG-Besichtigungen, Pläne für die Zukunft, sich schon wieder mit dem Wohnen beschäftigen, obwohl doch gerade erst der Überwurf der sicheren Wohnung abgestreift wurde. Küche, Bad, Balkon. Fenster zum Innenhof, oder zur Strasse, oder aufs Nebenhaus, oder Blick auf die Schienen. Kirche in der Nähe, nerviges Getöne am Sonntagmorgen? Wie weit zur Brücke, zur BASF? Waschmaschine, Wandschränke, Stuck? Die Koordinatensysteme des Lebens werden wieder neu ausgerollt. Die Beschreibung der Örtlichkeiten, mit Einkaufsmöglichkeiten, Friseur usw. erinnert mich an Thailand, wo in jedem grösseren Stranddorf die Seven-Eleven Supermärkte als Orientierungshilfen dienten, da es sowas wie Adressen in unser damaligen Welt nicht gab. Grundlage jeglichen Prekariats sind in Mannheim: Lidl, Aldi, oder eben Plus oder Norma, wenns nicht anders geht. Tengelmann, von vielen liebevoll «begehbarer Kühlschrank» genannt, unverzichtbar für Alkoholika. Metzgereien, Bäckereien, Büchereien...mit jeder Erwähnung zieht ein neues Leben vor meinen Augen vorbei, ein gutbürgerliches, mit Bäckereibesuchen, Stofftüten, Fahrradkorb. Ich beantworte Fragen, ziehe Wohnungstüren hinter mir zu, dritter Stock, vierter Stock, Erdgeschoss. Alles nur Maskerade! Die Gutbürgerlichkeit fällt von mir ab, ich bin doch nur Tourist. Ich gehe zurück in die J6, packe den Rucksack, ein letztes Sandwich am Bahnhof, dann der ICE nach Berlin, wo ich abgeholt werde und wo uns die vertraute S-Bahn durch die Nacht nach Lichtenberg fährt, wo der D345 wartet, Destination Kiev Pass. Vor mir eine lärmende Reisegruppe. Wir trennen uns. Einsteigen, hinsetzen, und plötzliche Ruhe, gepaart mit freudiger Erwartung. Der Zug ruckt an, die Reisenden in den anderen Abteilen, die noch stehen, rufen erstaunt aus. Wir lassen die Lichter hinter uns und fahren in die Dunkelheit, dorthin, wo die polnische Grenze steht.

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