Mar 3, 2009

Bedenklichkeitsbekundungen

Jemand meinte: «Wenn man sich mal die Geschichte vor Augen führt: Im 19. Jhr. dachte man auch, dass man ab 100 km/h im Zug tot umfällt. Das ist eine Furcht vor der Technologie. Walkman sollte auch jeden isolieren.»

Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Mit Argumenten wie diesen wird Augenwischerei betrieben. Es ist ja schliesslich nicht so, dass wir zu Beginn der Walkman-Entwicklung dieselbe technologische Erkenntnisstufe innehatten wie zu Zeiten der langsamen Eisenbahnen. Abgesehen davon, dass bereits Ende des 19. Jahrhunderts Hochgeschwindigkeitstests durchgeführt wurden, ziemlich unbedenklich fuhr man damals schon knapp 200 km/h. Insofern waren die Bedenken vor der isolationierenden Wirkung des Walkmans keine blinde Furcht mehr, sondern eine teil-begründete sozialwissenschaftliche Hypothese. Heute läuft jeder mit zugestöpselten Ohren rum, und oft hat man den Eindruck, dass die Menschen nur noch widerwillig ihren Lebens-Soundtrack ausschalten und sich ihren Gesprächspartnern widmen. Wie fühlt sich die komplett auf Musik reduzierte Erfahrung an? Wie ergeht es jenen, die das Gefühl haben, dass ihr Leben ohne iPod aus dem Takt gerät, dass der richtige Beat fehlt, dass die normalen Umweltgeräusche einfach nicht mehr taugen? Wir haben nachgeschaut. Was wir zu sehen bekamen, war schon etwas mehr, als was wir befürchtet hatten. Es muss ganz den Anschein haben, dass gewisse Leute durch den Einfluss der perfekt choreographierten Filme, Werbungen und sonstigen Berichte ihr eigenes Leben in seiner Kantigkeit, sowohl die Akustik betreffend, als auch die vermeintliche Ungelenkheit der Bewegungen, gar nicht mehr ertragen können. Wie sonst erklärt man die ganzen sich zu Klängen von Mainstreamharmonien roboterartig bewegenden Armleuchter in Fitnessstudios und auf der Strasse? Sie geben sich lieber den völlig belanglosen und in jeder Situation "passenden" Klängen irgendeines musikalischen Dosenfutters hin, als die bisweilen grausamen Lautsprecher-Ausdünstungen zu ertragen, die die Welt produziert, die die Kopfhörerjünger überhaupt erst möglich machen. Was ist das für eine Welt, in der die Maschinen den Menschen ihre Verhaltensweise vorgeben?

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