Als ich im Bahnhof von Kiev auf meinen Zug zurück nach Berlin wartete, hatte ich Zeit, die Tage in der Ukraine zu reflektieren und nochmal rückwärts zu träumen. Ich holte mir an demselben Stand, an dem ich bei meiner Ankunft mein erstes Abendessen und Bier gekauft hatte, belegte Brötchen und einen Kaffee. Setzte mich auf einen freien Stuhl inmitten von langen Reihen wartender Menschen. Legte die Füsse auf meinen Rucksack. Nahm einen Schluck Kaffee und schloss die Augen.
Und sah das nächtliche Lichtenberg vor mir, die blaue Silhouette des Kiev-Pass-Express, die Reisegruppe vor mir. In Berlin aber hatte die Reise nicht begonnen. Meine Abschiede begannen im August, in Zürich. Von da an war es eine einzige Reise gewesen, ohne Verschnaufpause, Zwischenstop, Rastplatz. Durch diese Rastlosigkeit hatte ich einen besonderen geistigen Zustand erreicht, eine unermüdliche Aufnahmefähigkeit, durch die vielen wechselnden Schlafplätze ausserdem eine Anspruchslosigkeit, die ich mit einer festen Wohnung nie erreichen würde. Die Fremde hatte sich mir in Kiev als die abweisende, nass-kalte und undurchsichtige Einsamkeit präsentiert, als die ich sie kannte und gewohnt war. Aber durch die vielen Couchsurfing-Heimaten, durch die Vertrautheit, die in dieser Fremde so schnell geschaffen wurde von Menschen, die ich traf und begleitete, ist dieser scheinbaren Unwirtlichkeit ein Stück Sorglosigkeit entwachsen. Eine Sorglosigkeit, die mir auch die Ähnlichkeit zwischen dem Äusseren und dem Inneren in mir gezeigt hat. In dem Moment, als ich die Fremde in mir spürte, an dem Strand in Odessa, wurde mir auch bewusst, dass meine Identität eine Mischung geworden war. Die Fremde war in mir; wohnte dort als das Verständnis von Ländern und anderen Kulturen. Nur durch die Einsamkeit konnte die Fremde dorthin gelangen, sich sotief einnisten. Ich sass also zwischen den schlafenden, essenden, erzählenden Menschen in der Bahnhofshalle von Kiev, und das Wissen um ihr Land, ihre Politik, die Sehnsüchte der jungen Generation und die Traditionen der Älteren verband mich mit ihnen. Ich trank den letzten Schluck Kaffee, es war halb acht Uhr morgens. Wartete unruhig darauf, dass mein Zug ausgerufen wurde.
Mar 17, 2009
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Ihr Senf, bitte. Am besten verdaulich und nicht zu dick aufgetragen.