Als ich das Meer erreiche, bricht die Dämmerung herein. Ich lege meinen Rucksack ab, ziehe Hose und Schuhe aus und stakse über den dreckigen Strand zur Wasserlinie. Das Schwarze Meer ist kalt, und dreckig, und erstreckt sich vor mir bis an den Horizont, wo es farblich, nur durch eine dünne, dunkle Linie, in den grauen Himmel übergeht. Für einen Moment bin ich vollkommen alleine. Die Einsamkeit schwimmt irgendwo vor mir, unter Wasser, als unklares und gespenstisches Etwas, das mich weiter in Richtung Horizont lockt. Ich gehe weiter, das Wasser reicht mir bis zum Schritt. Die Einsamkeit umfliesst meine Beine, lässt mich schaudern, ich verschränke die Arme, lasse den Kopf hängen, schliesse die Augen. In der Dunkelheit hinter den Augen erscheinen Nachbilder des Abteils im Nachtzug, des teppichbelegten Korridors, der jungen Frau im Bett nebenan. Schlief ich, hatte ich geschlafen? Das innere Auge öffnet sich zur trüben Wasseroberfläche, auf der ich mein Spiegelbild erkenne, ich erkenne die Fremde, die jetzt in mir wohnt, die mich im Zug alleine gelassen hat, mich aber hier, am Morgen in dieser noch schlafenden Stadt, am Strand, wieder abgeholt hat.
Ich laufe am Ufer entlang, am Industriehafen vorbei und die 192 Stufen der potemkinschen Treppe empor. In der Innenstadt von Odessa finde ich einen modernen Supermarkt, in dem ich mir Vorräte zulege und Arzneien kaufe. Ich will mich gerade auf die Suche nach dem Buchladen machen, wo es englische Bücher zu kaufen gibt, als mich die Couchsurfing-Connection anruft, die ich drei Tage vorher organisiert habe. Für einen Tag und eine Nacht kann ich in einem luxuriösen Penthouse unterkommen und die erste warme Dusche nehmen seit Mannheim, in einer riesengrossen, alten Soviet-Badewanne.
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Ihr Senf, bitte. Am besten verdaulich und nicht zu dick aufgetragen.