Feb 26, 2009

Wir nannten es Arbeit XV

In der BASF findet die Firmenevaluation im Labor statt, so wie die Politik am Küchentisch. Im Diskurs unter den Laboranten lerne ich grundlegende Dinge des Betriebsklimas von einem interessanten neuen Blickwinkel kennen. Sicherheit ist immer ein beliebtes Thema. Die BASF tut seit einiger Zeit alles, um die Unfallstatistik niedrig zu halten, damit das Image nicht leidet. Im Grunde ist Chemie eine gefährliche Angelegenheit, im Labor fängt Sicherheit also an. Dort endet sie aber nicht, denn das riesige Firmengelände beherbergt andere Quellen, von denen Gefahrt ausgeht. So verzeichnet die gerade veröffentlichte Unfallstatistik des vorherigen Jahres den Löwenanteil bei den «Wegeunfällen», bedingt durch den starken Betriebsverkehr und die bunte Mischung aus Fortbewegungsmitteln, von Fahrrädern über Gabelstapler, Transporter, LKWs bis hin zu ganzen Güterzügen. Auch ich fühle mich morgens, wenn ich nach einer alkoholreichen Nacht etwas zu spät durch die Firma fahre, gelegentlich etwas unsicher auf meinen zwei Rädern. Gerade Ende Januar ist bei meinem Laborgebäude um die Ecke ein Fahrradfahrer beim Zusammenstoss mit einem Lastwagen tödlich verunglückt. Und heute erzählte mir ein Kollege, dass er gestern am Werkstor vom Werkschutz, der BASF-eigenen Polizei, auf Alkohol hin getestet wurde, weil er angeblich so seltsam gelaufen sei. Sowas sollte mir besser nicht passieren. In diesen Tagen finden die Mitarbeitergespräche in meiner Abteilung statt, in denen meine Kollegen von ihren Chefs gelobt oder getadelt werden. Direkt davon abhängig ist die Persönliche Erfolgsbeteilgung, oder kurz PEB, die es in der BASF für jeden Mitarbeiter jährlich sozusagen als zweites Weihnachtsgeld gibt. Ein Basissatz ist fest, zusätzlich Kohle gibt es bei guter Führung, weniger bei häufigem Fehlverhalten. Kein Wunder, finden in diesen Tagen (ebenso wie vor Weihnachten) häufiger Stichkontrollen an den Werkstoren statt. Wer klaut oder besoffen zur Arbeit kommt, kriegt keine PEB, und kein Weihnachtsgeld.

Die Sicherheitsmanie greift soweit um sich, dass sie im Laboralltag wie ein konstantes, unterschwelligs, an Brave New World erinnerndes Dröhnen angelangt ist. Irgendwelche Akademiker in den dafür zuständigen Abteilungen kreieren mit Vermarktungsagenturen immer neue, auf das Bewusstsein der Mitarbeiter abzielende Methoden. Meine Kollegen müssen mittlerweile Planspiele spielen, «Sichermacherboxen» öffnen, und irgendwann vielleicht auch mit Karten herumfuchteln, die an jene eines Schiedsrichters beim Fussball erinnern. Sie sollen, mit den Aufdrucken «Sicher!» und «Sicher?», die Kollegen auf ihre vorbildliche oder nicht vorbildliche Arbeitsweise aufmerksam machen. Wenn es nach dem Willen irgendwelcher bewusstseinsverändernder Sichermacher in den oberen Etagen geht, laufen wir alle bald wie Marionetten herum, zitieren Sicherheitsslogans («Sichermacher sind Vorbild, packen mit an und helfen, Missstände sofort zu beseitigen») und zeigen die rote Karte bei der leisesten Übertretung. Ob diese Gehirnwäsche, die auch als Kontrollelement den eigenen Kollegen gegenüber instrumentalisiert wird, dazu führt, dass die Arbeit sicherer wird, bleibt offen. Sicher ist, dass die Arbeit weniger wird, wenn man sich penibel an jede Vorschrift halten muss und dazu auch noch ständig auf seine Kollegen achten soll.

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