Und: In Englisch!
«Time passes. Days evaporate on the hot stove-surface of everyone's life like small drops of rain that fell from the dreamtime-skies towards the bottom, the past.
Things accelerate. The scattered and spilled minutes and seconds re-bounce uncatchable through the room, a fragmented explosion that lasts discriminatively long, depending on perspective.
Life shortens. Every action stops just before ending, remains unfinished, patterns of behaviour evolve only to come to sudden ends, unprepared, leaving traces like a half-grown tree, askew.»
-fdm
Nov 27, 2008
Nov 26, 2008
Nachwort: 21. März 2008
«Ämter meide ich ja im Allgemeinen. Alltag und so ist sicherlich okay, also für mich nach diesem Studien-Fleischwolf auf jeden Fall. Ich will jetzt arbeiten und Generation Praktikum und so. Nordrhein Westfahlen. Normal-Leben. Umziehn. Umziehn ist noch ne ganz andere Geschichte. Ist zwar nur eine Grenze dazwischen aber es graust mich schon. Ich denke einfach nicht daran und wenns dann ansteht ist es halb so wild. Wiedermal bei Null anfangen und nur seinen Geist, Laptop, ne Hose zum anziehen, eine Matraze und einen Kasten Bier für die Einweihungsfete mitnehmen. Alle email-Konten auf forward stellen und die Mails im Kreis zirkulieren lassen. Elektronischen Selbstmord begehen.»
-fdm
-fdm
Nov 21, 2008
the happening world
Mein erster Arzttermin im neuen Land. Die Auslandsdeckung, «Reise- und Ferienversicherung» genannt, gerade noch rechtzeitig (wie ich hoffe) eingereicht und bezahlt. Die Praxis ist am Telefon nicht unfreundlich, schlägt mir Termin um 16.30 vor, «mit Wartezeit». Verdutzt willige ich ein, lege auf. Termin? Oder Warten? Ich gehe extra früher, lasse die Destillation Destillation sein, dusche noch kurz. Frisch und munter und vom langsam eisiger werdenden Wind aufgepeitscht komme ich an. Hinter dem Tresen drei Damen, von denen sich nur eine befähigt sieht, zu bedienen, sie trägt ein schnurloses Sennheiser-Headset. Termin? Ja klar Termin. Dann geht die Papierschlacht los. Ich komme gar nicht erst dazu zu erwähnen, dass ich neu bin und mich mit dem deutschen Arztwesen nicht auskenne. Erstmal sorgt die Versichertenkarte für Aufregung. Ist aber europäisch! Dann die eine Auszubildende: «10 Euro oder Überweisung?» Die Frage nach Geld löst bei mir in der zweiten Monatshälfte ja immer Unwohlsein aus, aber die Aussicht auf einen Einzahlungsschein, den ich erst nach einem Monat in der Jackentasche wiederfinde zu einem Zeitpunkt mit unvorhersehbarer finanzieller Situation, ist schlimmer. Ich gebe ihr die 10 Euro, Bearbeitungsgebühr, was weiss ich. Dann wieder die Frau mit dem Headset. Schiebt mir Formulare rüber, ausfüllen. Habe Reisepass nicht dabei. «Wohnen Sie weit entfernt?» In Anbetracht der Formulare, auf denen sie es ohnehin nachprüfen könnte, mag ich nicht lügen, aber die Vorstellung, zurück zu fahren und noch länger warten zu müssen, lässt mich wortkarg werden. Kann den Pass nachreichen, ist aber wichtig. Dann endlich Wartezimmer. Sie kommt mir nach, noch ein Formular, bei Umzug zukünftige Adresse bitte auf der Rückseite notieren, mit Datum. Na endlich. Der Gedanke an den Umzug lässt immer Hoffnung keimen, sogar hier, im Wartezimmer. Dann kann sie meine Adresse nicht lesen. Dann fängt sie an, nachzuhaken, ist ganz interessiert: «Herkunftsland Tschechien?», ich stutze. «Deutschland», das kommt noch ganz trocken. Aber sie gibt nicht auf, Tschechien hat es ihr angetan: «Und warum haben Sie dann so eine Karte, haben Sie in Tschechien gelebt bisher?», und das mitten im Wartezimmer, alle schauen zu. Ich setze eine ernste Miene auf, nach ihrem wichtigtuerischen Auftritt lasse ich ihr das nicht durchgehen. «Schweiz, ich habe vorher in der Schweiz gelebt.» Sie dachte im Ernst, das «CH» stehe für Tschechien. Die gutmütige, bebrillte Frau wendet sich ab und ist zufrieden. Die Versichertenkarte wird sie mir beim Rausgehen wiedergeben. Dann Warten, zum Glück habe ich selber etwas zu Lesen mit. Schon nach einer halben Stunde bin ich dran, die Auszubildende spricht meinen konsonantenreichen Namen fast perfekt aus, ich nicke ihr ermutigend zu. Hinein in einen abgedunkelten Praxisraum, kubistische Kunst, ein Paar Kindersocken auf dem Schreibtisch. Dann die Ärztin, kein Händeschütteln, die Assistentin setzt sich gleich an den Computer, beginnt zu tippen. Die Ärztin, diktierend, beschreibt mein Problem, klassifiziert, «in der Mitte der Brust, RF 7», hat gleich eine Lösung parat, eine Salbe morgens, eine abends, Rezept gibt’s am Tresen, das war’s.
Nov 20, 2008
Fast Frankfurt VII
Reiseaufzeichnungen, Woche 3
Eine regennasse Nacht empfängt mich in Kiev. Der Rucksack ist ungewohnt nach einem ganzen Tag im Zug. In der Eingangshalle des Bahnhofs erwarten sie mich, die Fahrgast-Fänger der Taxileute. Ich entscheide mich für eine ernst aussehende Frau, die ein wenig Englisch kann. Ihr Preis ist ambitioniert, es ist der Touristenpreis, den man beim ersten Besuch immer zu hören bekommt. Ich hatte mir die Ukraine als ein billiges Land vorgestellt, und tatsächlich waren einige Dinge billig, aber gerade in den letzten zwei Jahren hatte es eine enorme Teuerung gegeben, und durch die flexible Preishandhabung bekommt man das als Fremder besonders zu spüren. Und fremd fühlte ich mich hier – in den harten Sitzen eines Ladas, dessen Fensterscheiben schlierenartige Kaleidoskope waren, die Lichter des Verkehrs, der Geschäfte, der Ampeln und die dunklen Schemen der Passanten wurden zerstückelt und zu einer unwirtlichen Welt neu zusammengesetzt. Ich hatte erwartet, von dem Geld, das ich der Taxifrau gab, auch das Hotel bezahlen zu können, damit lag ich weit daneben. Die Frau an der Rezeption sprach etwas Deutsch und gab mir ein Doppelzimmer, für eine Nacht, zu einem Preis, den man eher in London oder Paris erwartet hätte. Vorhin, an einem der zahlreichen Stände im Bahnhofsgebäude, hatte ich etwas Essbares und zwei Flaschen Bier gekauft, die ukrainische Sorte. Mit diesem letzten Mahl kauerte ich mich nun in die vollen Decken im riesigen Bett des Hotels, der Raum war zugig, hatte aber enorm hohe Decken, eine Spielart der Sowjet-Architektur, die ich hier noch öfters zu Gesicht bekommen sollte. Und in diesem sich endlos nach oben erstreckenden Raum, beleuchtet nur von einer Nachtischlampe mit altmodischem Stoffschirm, begleitet von den Geräuschen des Nachtverkehrs auf der Kreshatyk, durch den ab und zu die dumpf knarrenden Warnsignale der Polizeiautos schnitten, in diesem eigenartigen Territorium glitt ich langsam hinüber in den Schlaf, in einen tiefen, traumreichen Schlaf, der fast bis zum nächsten Mittag andauern sollte. Die Fremde hatte mich wieder und behielt mich bei sich, drehte mich im Bett um eine Zeitzone weiter, zerrte die dem Körper hinterherreisende Seele durch die Landschaften der Kornkammer, durch Wälder und Steppe, Steppe und Wälder und durch kleine Dörfer mit nichtssagenden Bahnhöfen und kyrillischen Anzeigetafeln. All das eine weite, unbekannte Fremde, die nicht zu entziffern war, die in ihrer Geschäftigkeit vor der Ruhe eines Reisenden keinen Respekt hat. Und durch dieses Niemandsland schliesslich hinein in den Strudel von Kiev, in den Strudel der Menschenmengen und Staus. Mit diesem letzten, überwältigenden Drall der Gedanken schlief ich ein und träumte von überindustrialisierten Städten mit Flüssen, die sich in eine tiefe Kluft gefressen haben, und mit entfremdeten Tieren.
Eine regennasse Nacht empfängt mich in Kiev. Der Rucksack ist ungewohnt nach einem ganzen Tag im Zug. In der Eingangshalle des Bahnhofs erwarten sie mich, die Fahrgast-Fänger der Taxileute. Ich entscheide mich für eine ernst aussehende Frau, die ein wenig Englisch kann. Ihr Preis ist ambitioniert, es ist der Touristenpreis, den man beim ersten Besuch immer zu hören bekommt. Ich hatte mir die Ukraine als ein billiges Land vorgestellt, und tatsächlich waren einige Dinge billig, aber gerade in den letzten zwei Jahren hatte es eine enorme Teuerung gegeben, und durch die flexible Preishandhabung bekommt man das als Fremder besonders zu spüren. Und fremd fühlte ich mich hier – in den harten Sitzen eines Ladas, dessen Fensterscheiben schlierenartige Kaleidoskope waren, die Lichter des Verkehrs, der Geschäfte, der Ampeln und die dunklen Schemen der Passanten wurden zerstückelt und zu einer unwirtlichen Welt neu zusammengesetzt. Ich hatte erwartet, von dem Geld, das ich der Taxifrau gab, auch das Hotel bezahlen zu können, damit lag ich weit daneben. Die Frau an der Rezeption sprach etwas Deutsch und gab mir ein Doppelzimmer, für eine Nacht, zu einem Preis, den man eher in London oder Paris erwartet hätte. Vorhin, an einem der zahlreichen Stände im Bahnhofsgebäude, hatte ich etwas Essbares und zwei Flaschen Bier gekauft, die ukrainische Sorte. Mit diesem letzten Mahl kauerte ich mich nun in die vollen Decken im riesigen Bett des Hotels, der Raum war zugig, hatte aber enorm hohe Decken, eine Spielart der Sowjet-Architektur, die ich hier noch öfters zu Gesicht bekommen sollte. Und in diesem sich endlos nach oben erstreckenden Raum, beleuchtet nur von einer Nachtischlampe mit altmodischem Stoffschirm, begleitet von den Geräuschen des Nachtverkehrs auf der Kreshatyk, durch den ab und zu die dumpf knarrenden Warnsignale der Polizeiautos schnitten, in diesem eigenartigen Territorium glitt ich langsam hinüber in den Schlaf, in einen tiefen, traumreichen Schlaf, der fast bis zum nächsten Mittag andauern sollte. Die Fremde hatte mich wieder und behielt mich bei sich, drehte mich im Bett um eine Zeitzone weiter, zerrte die dem Körper hinterherreisende Seele durch die Landschaften der Kornkammer, durch Wälder und Steppe, Steppe und Wälder und durch kleine Dörfer mit nichtssagenden Bahnhöfen und kyrillischen Anzeigetafeln. All das eine weite, unbekannte Fremde, die nicht zu entziffern war, die in ihrer Geschäftigkeit vor der Ruhe eines Reisenden keinen Respekt hat. Und durch dieses Niemandsland schliesslich hinein in den Strudel von Kiev, in den Strudel der Menschenmengen und Staus. Mit diesem letzten, überwältigenden Drall der Gedanken schlief ich ein und träumte von überindustrialisierten Städten mit Flüssen, die sich in eine tiefe Kluft gefressen haben, und mit entfremdeten Tieren.
Nov 16, 2008
Nov 15, 2008
Fast Frankfurt VI
Reiseaufzeichnungen, Woche 3
Nachmittags kommen wir an die polnisch-ukrainische Grenze. Die Grenzer sind strenge Männer mit Tarnanzügen und Hunden. Ein älterer Mann hat wohl keinen gültigen Reisepass dabei, wir sehen von den Fenstern im Gang aus, wie er den Zug verlässt, die Grenzer tragen ihm seine Sachen hinterher. Bei ihrem Auto gibt es noch eine längere Diskussion und Telefongespräche, dann steigen sie ein und auch wir setzen uns wieder in Bewegung, fahren in eine grosse Halle, in der der Zug Waggon für Waggon umgehoben wird. In Russland und den GUS-Staaten Ukraine und Weissrussland sowie im Baltikum fahren die Züge auf einer breiteren Spur als in Westeuropa. Die Intention des Zarentums, auf diese Weise eine wirkungsvolle Verteidigungsmassnahme zu erhalten, würde sich später als Hindernis im Warenverkehr herausstellen. Die neuen Umhebe-Systeme erledigen den Vorgang in wenigen Stunden, früher dauerte es halbe Tage. Wir müssen im Zug bleiben und beobachten von den Türen der getrennten Waggons aus die Arbeit, füttern einen Hund, versuchen, auf die grimmigen Gesichter der Bahnarbeiter ein Lächeln zu zaubern. Mit den breiteren Radachsen verläuft die Fahrt ruhiger, angenehmer. Bis Kiev sind es noch sieben Stunden. An einem Bahnhof halten wir länger und alte Frauen mit Einkaufstüten voller Teigtaschen, Khefir, Bier, frischen Fischen und Zigaretten drängen sich durch die Gänge der Waggons. Die Landschaft zieht vorüber, der Zug ist wie eine Zeitkapsel, ein Gefängnis zwischen Abfahren und Ankommen, aber auch eine Denkpause zwischen Studium, Arbeit, Leben in Deutschland. Was kommen wird, was kommen mag, in Kiev, Berlin, und wieder zurück in Mannheim. Ich bin zum Glück eingesperrt in der Unfähigkeit, noch etwas ändern zu können, die nächsten Schritte sind arrangiert, das Finanzpolster ist da, und das Beste gibt es ohnehin kostenlos. So lerne ich noch mehr von den Mitgliedern der Politikfabrik, deren Organisationsteam von fünf Personen sich in Kiev in eine Wohnung einmietet. Die vier anderen Teams – eins für jede Himmelsrichtung – müssen vorbereitete Aufgaben erfüllen in den verschiedensten Orten des Landes, Donetsk, Liev, Odessa, Simferopol. Die Tagesberichte werden mit Bildern und Videos garniert und direkt von ihren Smartphones auf die Blog-Seiten im Internet geladen, das Internetpublikum stimmt ab, wer wohin muss, und was es zu erledigen gibt. Diese einzigartige Art der Aufklärung bringt mich zu der Frage, welche Aufgaben ich denn habe, und wo ich hinwill. Erstmal in Kiev bleiben, erstmal ankommen, landen, einschlafen. Und so schlage ich um halb zwölf nachts, als wir in den Sackbahnhof einrollen, nicht die Einladung für den nächsten Tag aus, setze mich dann aber ins Taxi und nehme ein Zimmer in einem einfachen Hotel nahe dem Hauptboulevard Kreshatyk.
Nachmittags kommen wir an die polnisch-ukrainische Grenze. Die Grenzer sind strenge Männer mit Tarnanzügen und Hunden. Ein älterer Mann hat wohl keinen gültigen Reisepass dabei, wir sehen von den Fenstern im Gang aus, wie er den Zug verlässt, die Grenzer tragen ihm seine Sachen hinterher. Bei ihrem Auto gibt es noch eine längere Diskussion und Telefongespräche, dann steigen sie ein und auch wir setzen uns wieder in Bewegung, fahren in eine grosse Halle, in der der Zug Waggon für Waggon umgehoben wird. In Russland und den GUS-Staaten Ukraine und Weissrussland sowie im Baltikum fahren die Züge auf einer breiteren Spur als in Westeuropa. Die Intention des Zarentums, auf diese Weise eine wirkungsvolle Verteidigungsmassnahme zu erhalten, würde sich später als Hindernis im Warenverkehr herausstellen. Die neuen Umhebe-Systeme erledigen den Vorgang in wenigen Stunden, früher dauerte es halbe Tage. Wir müssen im Zug bleiben und beobachten von den Türen der getrennten Waggons aus die Arbeit, füttern einen Hund, versuchen, auf die grimmigen Gesichter der Bahnarbeiter ein Lächeln zu zaubern. Mit den breiteren Radachsen verläuft die Fahrt ruhiger, angenehmer. Bis Kiev sind es noch sieben Stunden. An einem Bahnhof halten wir länger und alte Frauen mit Einkaufstüten voller Teigtaschen, Khefir, Bier, frischen Fischen und Zigaretten drängen sich durch die Gänge der Waggons. Die Landschaft zieht vorüber, der Zug ist wie eine Zeitkapsel, ein Gefängnis zwischen Abfahren und Ankommen, aber auch eine Denkpause zwischen Studium, Arbeit, Leben in Deutschland. Was kommen wird, was kommen mag, in Kiev, Berlin, und wieder zurück in Mannheim. Ich bin zum Glück eingesperrt in der Unfähigkeit, noch etwas ändern zu können, die nächsten Schritte sind arrangiert, das Finanzpolster ist da, und das Beste gibt es ohnehin kostenlos. So lerne ich noch mehr von den Mitgliedern der Politikfabrik, deren Organisationsteam von fünf Personen sich in Kiev in eine Wohnung einmietet. Die vier anderen Teams – eins für jede Himmelsrichtung – müssen vorbereitete Aufgaben erfüllen in den verschiedensten Orten des Landes, Donetsk, Liev, Odessa, Simferopol. Die Tagesberichte werden mit Bildern und Videos garniert und direkt von ihren Smartphones auf die Blog-Seiten im Internet geladen, das Internetpublikum stimmt ab, wer wohin muss, und was es zu erledigen gibt. Diese einzigartige Art der Aufklärung bringt mich zu der Frage, welche Aufgaben ich denn habe, und wo ich hinwill. Erstmal in Kiev bleiben, erstmal ankommen, landen, einschlafen. Und so schlage ich um halb zwölf nachts, als wir in den Sackbahnhof einrollen, nicht die Einladung für den nächsten Tag aus, setze mich dann aber ins Taxi und nehme ein Zimmer in einem einfachen Hotel nahe dem Hauptboulevard Kreshatyk.
Nov 12, 2008
Die dritte Dosis
A, B, C.
Wer es schafft, bis P zu buchstabieren, der kann dort aufhören, denn den Rest übernimmt PROSUMER, wir sagen unseren Dank. Er diktiert uns das ABC der Elektronik, lehrt uns zu laufen, sozusagen, auf eine tech-housige Weise, in dieser einstündigen Aufnahme vom letzten Jahr. Alles unter dieser Nummer (Popups zulassen). Die anderen drei Dosen, Assoziationen zu Tschernobyl:
A) Büscher, 2003: «Die Zone. Seine Laune hob sich, er begann Witze zu reissen und lachte mich aus, dass ich hierher wollte. In ein paar Jahren würde der ganze Horror in ein grosses esoterisches Spektakel und "Business" umkippen, und aus dem Westen, dem verrückten, ewig nach neuen Kicks suchenden Westen, würden massenhaft Leute anreisen, um sich dem Kraftfeld des Reaktors auszusetzen.
"Die Potenz! Denk nur an die Potenz, lauter alte Männer werden kommen und am Ufer des Dnjepr sitzen, weisst du, wie früher in den weissen Liegestühlen auf den weissen Terrassen der Lungenheilanstalten." Er liess das Steuer los, riss die Arme hoch und schrie: "Energie! Diese klasse Energie, spürst du sie? Spürst du - ihn? Alle wollen ihn sehen." Er kurbelte das Seitenfenster herunter und zeigte irgendwohin. "Reaktor! Reaktor! Guter Gott, ich habe den Reaktor gesehen!"»
B) Kracht, 2005: «Wer Tschernobyl betritt, betritt die Bibel. Die Fackel, welche als metallenes Symbol die Besucher der Arbeiterstadt vor den Toren des Reaktors begrüsst, ist der Schweif des grossen Sterns aus der Offenbarung des Johannes, der vom Himmel fiel. Der Unfall geschah, wie ein Unfall geschehen muss in der Moderne: als fehlgeschlagener Test für den Ernstfall. Man wollte wissen, was passiert, wenn die entscheidenden Kühlsicherungen ausfallen, und hatte vergessen, das zu testende Rettungssystem zu aktivieren. Der anzutretende Beweis führte zum grössten anzunehmenden Unfall, zur Katastrophe, Armageddon, Jehennum. Unter den wachsamen Augen der Prüfer versagte das von ihnen entwickelte System, weil es ausgerechnet zu der Überhitzung kam, die man vermeiden wollte. Das Höllenfeuer setzte immense Massen Radioaktivität frei, die von den stark wehenden Aprilwinden in drei verschiedene Richtungen getragen wurde. Zunächst nach Westen, in die Ukraine, dann nordostwärts weit bis nach Weissrussland hinein, und nach Russland. Nicht nach Süden, wo die Hauptstadt Kiew liegt. Die unsichtbaren Todeswolken wehten unerkannt, weil niemand wusste, was geschehen war. Der Reaktor 4 musste mit einem Stahlmantel, dem Sarkophagus, umbaut werden und ist heute als Mini-Modell im Demonstrationsbüro gleich neben dem echten Reaktor zu sehen, durch die verkohlten Reste im Innern kriechen winzige schockgefrorene Rettungsarbeiter aus Plastik.»
C) myself, 2008: «Dann sehen wir den stählernen Sarg, der das zerstörte Reaktorgebäude von Block 4 abschirmt. Darin, wie ein Embryo im Mutterleib, glühen 180 Tonnen radioaktiver Überreste der atomaren Katastrophe vor sich hin. Draussen spüren wir nichts. Ukrainischer Herbstregen wäscht die Luft, hält sie frei von strahlenden Schwebeteilchen, die wir einatmen könnten. Erst im Innern des Körpers würde der Staub von Tschernobyl echten Schaden anrichten – nach Innen aber gelangt die Katastrophe nicht, sie muss auf ewig abgeschlossen in ihrer Zone bleiben, das Ausmass, der Charakter, er kann nie verstanden, verinnerlicht werden.»
Wer es schafft, bis P zu buchstabieren, der kann dort aufhören, denn den Rest übernimmt PROSUMER, wir sagen unseren Dank. Er diktiert uns das ABC der Elektronik, lehrt uns zu laufen, sozusagen, auf eine tech-housige Weise, in dieser einstündigen Aufnahme vom letzten Jahr. Alles unter dieser Nummer (Popups zulassen). Die anderen drei Dosen, Assoziationen zu Tschernobyl:
A) Büscher, 2003: «Die Zone. Seine Laune hob sich, er begann Witze zu reissen und lachte mich aus, dass ich hierher wollte. In ein paar Jahren würde der ganze Horror in ein grosses esoterisches Spektakel und "Business" umkippen, und aus dem Westen, dem verrückten, ewig nach neuen Kicks suchenden Westen, würden massenhaft Leute anreisen, um sich dem Kraftfeld des Reaktors auszusetzen.
"Die Potenz! Denk nur an die Potenz, lauter alte Männer werden kommen und am Ufer des Dnjepr sitzen, weisst du, wie früher in den weissen Liegestühlen auf den weissen Terrassen der Lungenheilanstalten." Er liess das Steuer los, riss die Arme hoch und schrie: "Energie! Diese klasse Energie, spürst du sie? Spürst du - ihn? Alle wollen ihn sehen." Er kurbelte das Seitenfenster herunter und zeigte irgendwohin. "Reaktor! Reaktor! Guter Gott, ich habe den Reaktor gesehen!"»
B) Kracht, 2005: «Wer Tschernobyl betritt, betritt die Bibel. Die Fackel, welche als metallenes Symbol die Besucher der Arbeiterstadt vor den Toren des Reaktors begrüsst, ist der Schweif des grossen Sterns aus der Offenbarung des Johannes, der vom Himmel fiel. Der Unfall geschah, wie ein Unfall geschehen muss in der Moderne: als fehlgeschlagener Test für den Ernstfall. Man wollte wissen, was passiert, wenn die entscheidenden Kühlsicherungen ausfallen, und hatte vergessen, das zu testende Rettungssystem zu aktivieren. Der anzutretende Beweis führte zum grössten anzunehmenden Unfall, zur Katastrophe, Armageddon, Jehennum. Unter den wachsamen Augen der Prüfer versagte das von ihnen entwickelte System, weil es ausgerechnet zu der Überhitzung kam, die man vermeiden wollte. Das Höllenfeuer setzte immense Massen Radioaktivität frei, die von den stark wehenden Aprilwinden in drei verschiedene Richtungen getragen wurde. Zunächst nach Westen, in die Ukraine, dann nordostwärts weit bis nach Weissrussland hinein, und nach Russland. Nicht nach Süden, wo die Hauptstadt Kiew liegt. Die unsichtbaren Todeswolken wehten unerkannt, weil niemand wusste, was geschehen war. Der Reaktor 4 musste mit einem Stahlmantel, dem Sarkophagus, umbaut werden und ist heute als Mini-Modell im Demonstrationsbüro gleich neben dem echten Reaktor zu sehen, durch die verkohlten Reste im Innern kriechen winzige schockgefrorene Rettungsarbeiter aus Plastik.»
C) myself, 2008: «Dann sehen wir den stählernen Sarg, der das zerstörte Reaktorgebäude von Block 4 abschirmt. Darin, wie ein Embryo im Mutterleib, glühen 180 Tonnen radioaktiver Überreste der atomaren Katastrophe vor sich hin. Draussen spüren wir nichts. Ukrainischer Herbstregen wäscht die Luft, hält sie frei von strahlenden Schwebeteilchen, die wir einatmen könnten. Erst im Innern des Körpers würde der Staub von Tschernobyl echten Schaden anrichten – nach Innen aber gelangt die Katastrophe nicht, sie muss auf ewig abgeschlossen in ihrer Zone bleiben, das Ausmass, der Charakter, er kann nie verstanden, verinnerlicht werden.»
Nov 11, 2008
the happening world
Mannheim:
Polizist: Sie fahren in die falsche Richtung in einer Einbahnstrasse!
Ich: Aber irgendwie muss ich doch da rüberkommen!!
Auf dem Weg zur Fitcom stellen sich mir die unterschiedlichsten Probleme in den Weg. Routenplanung geht in der Innenstadt so, dass ich mir vor dem Aufbrechen nochmal die Quadrate vor Augen führe, die bei Google mit hilfreichen Pfeilen versehen sind, welche die Fahrtrichtung anzeigen und mich wiederum an Vektorfelddiagramme aus der Mathe III Vorlesung erinnern. Wenn ich dann im «Vektorfeld» bin, kann ich die geplante Route oft nicht einhalten, gehe noch einkaufen oder komme auf andere Weise vom Weg ab, werde zur Seite gehupt und fahre fix wieder in die falsche Richtung in einer Einbahnstrasse, mich dabei von Polizisten anpöbeln lassend. Mannheim.
Polizist: Sie fahren in die falsche Richtung in einer Einbahnstrasse!
Ich: Aber irgendwie muss ich doch da rüberkommen!!
Auf dem Weg zur Fitcom stellen sich mir die unterschiedlichsten Probleme in den Weg. Routenplanung geht in der Innenstadt so, dass ich mir vor dem Aufbrechen nochmal die Quadrate vor Augen führe, die bei Google mit hilfreichen Pfeilen versehen sind, welche die Fahrtrichtung anzeigen und mich wiederum an Vektorfelddiagramme aus der Mathe III Vorlesung erinnern. Wenn ich dann im «Vektorfeld» bin, kann ich die geplante Route oft nicht einhalten, gehe noch einkaufen oder komme auf andere Weise vom Weg ab, werde zur Seite gehupt und fahre fix wieder in die falsche Richtung in einer Einbahnstrasse, mich dabei von Polizisten anpöbeln lassend. Mannheim.
Nov 9, 2008
the happening world
«Der Himmel über dem Hafen hat die Farbe eines Fernsehers, der auf einen toten Kanal geschaltet ist.»
Die Nacht ist mild, geruchslos. Der Himmel ein dunstiges Etwas, durch ihn wabert das Streulicht der Industrie und des Hafens wie Milchschaum und erhellt die Strassen wie eine alte, matte Leuchtstoffröhre. Die Kioske haben geschlossen, in einem Callshop im Jungbusch aber finde ich Zigaretten. Ich gehe ins Cafe Riz. Hier dauert das Pils noch, zwar nicht sieben Minuten, aber auch nicht weit davon entfernt. Ein älterer Türke bedient die Bar, er hat weisse Haare wie ein Chinese, poliert Gläser. Der Zapfhahn tropft. Die Musik rinnt an den holzgetäfelten Wänden herunter, Lounge-Jazz, flüssig wie kalte Luft. Der Tag geht vorüber, er geht langsam durch die Strassen der Quadrate, H6, G5, F4, die Baustelle. Vorbei am Rathaus, E5. Ich gehe in die entgegengesetzte Richtung, ins Dunkle. Frage mich, wann ich sie wiedersehe werde.
Die Nacht ist mild, geruchslos. Der Himmel ein dunstiges Etwas, durch ihn wabert das Streulicht der Industrie und des Hafens wie Milchschaum und erhellt die Strassen wie eine alte, matte Leuchtstoffröhre. Die Kioske haben geschlossen, in einem Callshop im Jungbusch aber finde ich Zigaretten. Ich gehe ins Cafe Riz. Hier dauert das Pils noch, zwar nicht sieben Minuten, aber auch nicht weit davon entfernt. Ein älterer Türke bedient die Bar, er hat weisse Haare wie ein Chinese, poliert Gläser. Der Zapfhahn tropft. Die Musik rinnt an den holzgetäfelten Wänden herunter, Lounge-Jazz, flüssig wie kalte Luft. Der Tag geht vorüber, er geht langsam durch die Strassen der Quadrate, H6, G5, F4, die Baustelle. Vorbei am Rathaus, E5. Ich gehe in die entgegengesetzte Richtung, ins Dunkle. Frage mich, wann ich sie wiedersehe werde.
Nov 8, 2008
Beileidsbekundungen
Das Unbehagen der kafkaesken Zukunftsvorstellung, in der die Maschinen den Menschen ihre Verhaltensweisen vorgeben, ist längst zu einem omnipräsenten Realtraum geworden. «Ich kann die Karten nicht stornieren», meinte die Frau an der Kasse, «das Geld fehlt mir dann im System.» Erklärend deutete sie mit der Hand auf die Broschüre des Filmfestivals, wo irgendwo im Kleingedruckten vermutlich «Umtausch ausgeschlossen» oder so etwas stand. Die Tickets, sie befanden sich in einer Innentasche meiner Jacke, die ich nur vorhin, beim hastigen Einpacken, entdeckt hatte. Jetzt, hier, an der Kasse, blieb die Innentasche meinen suchenden Händen verborgen. Also zahlten wir ein zweites Mal.
Der Film allein, er war die zehn Euro wert. «Ulzhan» vom deutschen Regisseur Volker Schlöndorff.
Der Film allein, er war die zehn Euro wert. «Ulzhan» vom deutschen Regisseur Volker Schlöndorff.
Nov 7, 2008
Wir nannten es Arbeit VIII
Kontext:
Auf der Fahrt durchs Werksgelände, wenn ich an der GuD I-Anlage vorbeifahre, wo auf der der Strasse zugewandten Seite hinter Gittern die grossen ABB-Transformatoren vor sich hinbrummen, deren Sound mich an die ersten Bassakkorde aus «Thriller» erinnert.
Ein rostiges Dach, das einen zusammengeschusterten Eindruck macht. Ein Kamin, der von einem Stahlgerüst umgeben ist. Ein Gebäude, dessen Ausmasse etwas Bulliges an sich haben, Kantiges, Unwirkliches. Erinnerungen an Tschernobyl, den Reaktor. Ludwigshafen erscheint plötzlich als Prypiat, als Arbeiterstadt neben dem Unglücksort, das Unwesen des Fabrikgebäudes als der Sarkophag von Tschernobyl. Wie lange, bis sich die Katastrophe hierher verschiebt? William Gibson beschrieb einen Charakter in einem seiner Bücher als «das Produkt der Schuttwelle, die den Kern des radioaktiven alten Bonn umschliesst», und Bonn ist keine zwei Autostunden entfernt.
Meine Kette klackert zu sehr, sie sitzt etwas lose, vielleicht ein Glied zuviel drin. Ich werde das Rad am Montag zu der Werkstatt nahe Tor 11 bringen müssen. Keine fünf Minuten, nachdem ich das gedacht habe, sind meine Finger, meine Feinmechanik, mit «Sprühöl 88» vollgesaut, dem hochwertigen Feinmechaniköl mit Additiven für bessere Hochdruckbelastung, Korrosionsschutz und Alterungsbeständigkeit für zuverlässige Schmierung der Feinmechanik, das ich noch am Tag zuvor appliziert habe. Ein Glück, so ging die Arbeit viel leichter.
Auf der Fahrt durchs Werksgelände, wenn ich an der GuD I-Anlage vorbeifahre, wo auf der der Strasse zugewandten Seite hinter Gittern die grossen ABB-Transformatoren vor sich hinbrummen, deren Sound mich an die ersten Bassakkorde aus «Thriller» erinnert.
Ein rostiges Dach, das einen zusammengeschusterten Eindruck macht. Ein Kamin, der von einem Stahlgerüst umgeben ist. Ein Gebäude, dessen Ausmasse etwas Bulliges an sich haben, Kantiges, Unwirkliches. Erinnerungen an Tschernobyl, den Reaktor. Ludwigshafen erscheint plötzlich als Prypiat, als Arbeiterstadt neben dem Unglücksort, das Unwesen des Fabrikgebäudes als der Sarkophag von Tschernobyl. Wie lange, bis sich die Katastrophe hierher verschiebt? William Gibson beschrieb einen Charakter in einem seiner Bücher als «das Produkt der Schuttwelle, die den Kern des radioaktiven alten Bonn umschliesst», und Bonn ist keine zwei Autostunden entfernt.
Meine Kette klackert zu sehr, sie sitzt etwas lose, vielleicht ein Glied zuviel drin. Ich werde das Rad am Montag zu der Werkstatt nahe Tor 11 bringen müssen. Keine fünf Minuten, nachdem ich das gedacht habe, sind meine Finger, meine Feinmechanik, mit «Sprühöl 88» vollgesaut, dem hochwertigen Feinmechaniköl mit Additiven für bessere Hochdruckbelastung, Korrosionsschutz und Alterungsbeständigkeit für zuverlässige Schmierung der Feinmechanik, das ich noch am Tag zuvor appliziert habe. Ein Glück, so ging die Arbeit viel leichter.
Nov 5, 2008
Wir nannten es Arbeit VII
Kontext:
Neulich las ich in der Mannheimer Zeitung:
«Es gibt die unterschiedlichsten Prominenten. Die einen werden ständig fotografiert und nehmen es lässig hin. Andere wollen das gar nicht. Und wieder andere werden nicht fotografiert, wollen aber unbedingt und drängen sich in die erste Reihe. Das ist bei Städten nicht viel anders. Mannheim ist dabei, natürlich, ganz souverän. Immer wieder wird die Stadt fotografiert, wie berichtet jetzt sogar vom kalifornischen Internetimperium Google. Mannheim lässt es über sich ergehen, lächelt freundlich - sagen wir: wie Brad Pitt.»
Das ist typisch Baden-Württemberg. So ein Hinterwäldler-Bundesland ist natürlich immer mit dabei, total souverän. Wäre der Landeshaushalt nicht so berauschend und wären die Weine nicht so köstlich, wir würden meinen: Die haben sie nicht alle. Von Baden-Württemberg habe ich die günstigste Ecke getroffen, nämlich diejenige, die am weitesten vom Schwabenland weg ist, mithin die nord-westlichste, fast bei Frankfurt. Hier geht der lallende, bodenständige Redestil des Südens langsam über in den Sing-Sang der Pfälzer, dabei eine leicht gekantete Tonation annehmend. Und dennoch: Mannheim mit Brad Pitt zu vergleichen; dieses Land ist eine Klasse für sich. Kein Wunder! Landschaften wie im Prospekt, Rebberge, fast die gesamte Autoindustrie der Republik, ausserdem ein paar bestechende Universitäten von Exzellenz-Rang, Karlsruhe, Freiburg, Göttingen... es gibt einige Dinge, auf die gediegene Baden-Württemberger mit ihrem fleischigen, teigigen Zeigefinger deuten werden. Untereinander sind sie sich, das kennt man aus der Schweiz, überhaupt nicht einig; denn so geht die Glosse weiter:
«Schließlich wären wir bei der dritten Gruppe - es handelt sich um Heidelberg. Diese Stadt wird wahrlich täglich von tausenden japanischen Digitalkameras abgelichtet. Doch die Jungs von Google interessiert das irgendwie nicht.»
Heidelberg, pfui Teufel! Versnobbte Akademiker, Tagträumer, Studenten! Mannheims Uni ist bekannt für die betriebswirtschaftlichen Fächer, VWL, Geopolitik... Fächer, in denen die Studenten rumlaufen wie Vertreter.
Wie schön ist es bei dem ganzen Getue, einfach über den Rhein zu fahren und sich ausserhalb des hysterischen Wettstreits zu wissen. Die Pfälzer halten viel von ihrem Land, verschütten aber nicht gleich ihren Kaffee, wenn Google es nicht ablichtet.
Heidelberg im Frühsommer - tatsächlich abgelichtet mit einem japanischen Modell.
Neulich las ich in der Mannheimer Zeitung:
«Es gibt die unterschiedlichsten Prominenten. Die einen werden ständig fotografiert und nehmen es lässig hin. Andere wollen das gar nicht. Und wieder andere werden nicht fotografiert, wollen aber unbedingt und drängen sich in die erste Reihe. Das ist bei Städten nicht viel anders. Mannheim ist dabei, natürlich, ganz souverän. Immer wieder wird die Stadt fotografiert, wie berichtet jetzt sogar vom kalifornischen Internetimperium Google. Mannheim lässt es über sich ergehen, lächelt freundlich - sagen wir: wie Brad Pitt.»
Das ist typisch Baden-Württemberg. So ein Hinterwäldler-Bundesland ist natürlich immer mit dabei, total souverän. Wäre der Landeshaushalt nicht so berauschend und wären die Weine nicht so köstlich, wir würden meinen: Die haben sie nicht alle. Von Baden-Württemberg habe ich die günstigste Ecke getroffen, nämlich diejenige, die am weitesten vom Schwabenland weg ist, mithin die nord-westlichste, fast bei Frankfurt. Hier geht der lallende, bodenständige Redestil des Südens langsam über in den Sing-Sang der Pfälzer, dabei eine leicht gekantete Tonation annehmend. Und dennoch: Mannheim mit Brad Pitt zu vergleichen; dieses Land ist eine Klasse für sich. Kein Wunder! Landschaften wie im Prospekt, Rebberge, fast die gesamte Autoindustrie der Republik, ausserdem ein paar bestechende Universitäten von Exzellenz-Rang, Karlsruhe, Freiburg, Göttingen... es gibt einige Dinge, auf die gediegene Baden-Württemberger mit ihrem fleischigen, teigigen Zeigefinger deuten werden. Untereinander sind sie sich, das kennt man aus der Schweiz, überhaupt nicht einig; denn so geht die Glosse weiter:
«Schließlich wären wir bei der dritten Gruppe - es handelt sich um Heidelberg. Diese Stadt wird wahrlich täglich von tausenden japanischen Digitalkameras abgelichtet. Doch die Jungs von Google interessiert das irgendwie nicht.»
Heidelberg, pfui Teufel! Versnobbte Akademiker, Tagträumer, Studenten! Mannheims Uni ist bekannt für die betriebswirtschaftlichen Fächer, VWL, Geopolitik... Fächer, in denen die Studenten rumlaufen wie Vertreter.
Wie schön ist es bei dem ganzen Getue, einfach über den Rhein zu fahren und sich ausserhalb des hysterischen Wettstreits zu wissen. Die Pfälzer halten viel von ihrem Land, verschütten aber nicht gleich ihren Kaffee, wenn Google es nicht ablichtet.
Heidelberg im Frühsommer - tatsächlich abgelichtet mit einem japanischen Modell.
Nov 4, 2008
Fast Frankfurt V
Reiseaufzeichnungen, Woche 3
Die Reisegruppe stellt sich heraus als NGO auf Betriebsausflug. «Politikfabrik» aus Berlin erkundet mit Sponsorenverträgen in der Tasche und unter der Schirmherrschaft des Auswärtigen Amts das Land, das mit einem Fuss schon auf dem Weg zur EU und NATO ist. Weiter allerdings nicht, denn noch immer beherrscht russlandnahe Politik und Lobbytum die Ukraine, die früher die Kornkammer der Sowjetunion war. In der Staatsbahn gibt es nichts zu essen, ich habe auch nichts eingesteckt ausser einer Literflasche Mineralwasser. Die Mitglieder der Politikfabrik aber füttern mich mit Informationen und Essen. Das Dreierabteil des Nachtzug-Express teile ich mit Alexej, einem Ukrainer, der Nabokov liest und in Mecklemburg-Vorpommern eine Postdoc-Stelle innehat. Auch von ihm gibt’s Essen – seine Taschen sind gefüllt mit Köstlichkeiten, die ihm seine Frau zubereitet hat. So gerät die Fahrt anstatt zum Fastentrip zur Gourmet-Kutsche. Warschau passieren wir nachts, unser Abteil ist jetzt voll. Die Schaffner sind smarte, gutgekleidete Herren, auf ukrainisch «provodnik», denen Alexej sofort Schmuggel unterstellt. Über gebratenem, mariniertem Putenfleisch, gekochten, ungeschälten Kartoffeln, Paprika und Mohrrüben, Kuchen und Brot erklärt er mir die Jetztzeit des jungen Staates aus seiner Sicht, die ziemlich pessimistisch ist. Die Fenster-Landschaft des nächsten Tages ist nicht pessimistisch, sondern einfach neutral. Steppe, Wälder, vereinzelte Häuser und Siedlungen. Noch sind wir in Polen. Die Nacht ist angenehm in Zügen wie diesen; alten, breiten Metallmonstern mit irrsinnig hohen Einstiegen. Es sind einfache Pritschen, auf die allerdings gut gepolsterte Matrazen ausgerollt werden, es gibt eine Wolldecke, Kissen und weisse Bezüge. In der Erwartung von Buchläden mit einer englischen Abteilung beschränkt sich mein Lesestoff auf einige Zeitungen und den «lonely planet». Der geringe Umfang dieses Reiseführers spricht Bände über den Tourismus in der Ukraine. Der Reiseführer listet all die wenigen Dinge auf, die es zu besichtigen gibt, räumt aber im selben Atemzug ein, dass es beinahe unmöglich ist, es auch wirklich zu tun. So etwa das Museum, das in einem ehemaligen Kontinentalraketensilo der Sowjetunion eingerichtet wurde: «It’s a fascinating museum, but there are no english guides and getting here is a considerable hassle unless you’re driving from Kyiv to Odessa.» Fahren steht hier für Autofahren, was für ungeübte Lenker ein Abenteuer für sich ist.
Die Reisegruppe stellt sich heraus als NGO auf Betriebsausflug. «Politikfabrik» aus Berlin erkundet mit Sponsorenverträgen in der Tasche und unter der Schirmherrschaft des Auswärtigen Amts das Land, das mit einem Fuss schon auf dem Weg zur EU und NATO ist. Weiter allerdings nicht, denn noch immer beherrscht russlandnahe Politik und Lobbytum die Ukraine, die früher die Kornkammer der Sowjetunion war. In der Staatsbahn gibt es nichts zu essen, ich habe auch nichts eingesteckt ausser einer Literflasche Mineralwasser. Die Mitglieder der Politikfabrik aber füttern mich mit Informationen und Essen. Das Dreierabteil des Nachtzug-Express teile ich mit Alexej, einem Ukrainer, der Nabokov liest und in Mecklemburg-Vorpommern eine Postdoc-Stelle innehat. Auch von ihm gibt’s Essen – seine Taschen sind gefüllt mit Köstlichkeiten, die ihm seine Frau zubereitet hat. So gerät die Fahrt anstatt zum Fastentrip zur Gourmet-Kutsche. Warschau passieren wir nachts, unser Abteil ist jetzt voll. Die Schaffner sind smarte, gutgekleidete Herren, auf ukrainisch «provodnik», denen Alexej sofort Schmuggel unterstellt. Über gebratenem, mariniertem Putenfleisch, gekochten, ungeschälten Kartoffeln, Paprika und Mohrrüben, Kuchen und Brot erklärt er mir die Jetztzeit des jungen Staates aus seiner Sicht, die ziemlich pessimistisch ist. Die Fenster-Landschaft des nächsten Tages ist nicht pessimistisch, sondern einfach neutral. Steppe, Wälder, vereinzelte Häuser und Siedlungen. Noch sind wir in Polen. Die Nacht ist angenehm in Zügen wie diesen; alten, breiten Metallmonstern mit irrsinnig hohen Einstiegen. Es sind einfache Pritschen, auf die allerdings gut gepolsterte Matrazen ausgerollt werden, es gibt eine Wolldecke, Kissen und weisse Bezüge. In der Erwartung von Buchläden mit einer englischen Abteilung beschränkt sich mein Lesestoff auf einige Zeitungen und den «lonely planet». Der geringe Umfang dieses Reiseführers spricht Bände über den Tourismus in der Ukraine. Der Reiseführer listet all die wenigen Dinge auf, die es zu besichtigen gibt, räumt aber im selben Atemzug ein, dass es beinahe unmöglich ist, es auch wirklich zu tun. So etwa das Museum, das in einem ehemaligen Kontinentalraketensilo der Sowjetunion eingerichtet wurde: «It’s a fascinating museum, but there are no english guides and getting here is a considerable hassle unless you’re driving from Kyiv to Odessa.» Fahren steht hier für Autofahren, was für ungeübte Lenker ein Abenteuer für sich ist.
Nov 1, 2008
Nachspiel: 9. Juni 2008
«An den Zapfhähnen der Bars wird aus dem grossen, quantenmechanischem Traum wieder ein binärer, bestehend aus den bits "kleines Bier" und "grosses Bier". Hier ist alles, was nicht mit der Abfertigung von Kunden, der Gästesituation insgesamt, dem Wetter, dem Fussballspiel oder persönlichen Dingen zu tun hat, irrelevant. Die meiste Zeit verbringt der Barkeeper darüber nachgrübelnd, warum wann wieviel Gäste kommen, beziehungsweise warum nicht. Noch ist die Meisterschaft in diesem Land weder mit vielen Toren für die eigene Mannschaft gesegnet gewesen, noch mit gutem Wetter, es kommen also nur wenig Leute. Die Übertragung und die Euphorie finden rein auf elektronischem Weg statt und nicht zwischen den Menschen.»
-fdm
-fdm
Wir nannten es Arbeit VI
Im Labor übe ich mit den Laboranten gerade die richtige Bedienung des
Telefons, eine Technik, die ich noch von meiner Zeit im Hyatt
beherrsche: «Syntheselabor L4-04, hier ist so-und-soundso, mit wem
spreche ich?». Die Hochstapler kontern natürlich sofort mit
«Laborstand Dr. Gralla, Abteilung Schwierige Synthesen, was kann ich
für Sie tun?»
Es braucht viel Überzeugungsarbeit, mit Pfälzern in einem Raum zu
sein.
Telefons, eine Technik, die ich noch von meiner Zeit im Hyatt
beherrsche: «Syntheselabor L4-04, hier ist so-und-soundso, mit wem
spreche ich?». Die Hochstapler kontern natürlich sofort mit
«Laborstand Dr. Gralla, Abteilung Schwierige Synthesen, was kann ich
für Sie tun?»
Es braucht viel Überzeugungsarbeit, mit Pfälzern in einem Raum zu
sein.
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