Reiseaufzeichnungen, Woche 3
Die Reisegruppe stellt sich heraus als NGO auf Betriebsausflug. «Politikfabrik» aus Berlin erkundet mit Sponsorenverträgen in der Tasche und unter der Schirmherrschaft des Auswärtigen Amts das Land, das mit einem Fuss schon auf dem Weg zur EU und NATO ist. Weiter allerdings nicht, denn noch immer beherrscht russlandnahe Politik und Lobbytum die Ukraine, die früher die Kornkammer der Sowjetunion war. In der Staatsbahn gibt es nichts zu essen, ich habe auch nichts eingesteckt ausser einer Literflasche Mineralwasser. Die Mitglieder der Politikfabrik aber füttern mich mit Informationen und Essen. Das Dreierabteil des Nachtzug-Express teile ich mit Alexej, einem Ukrainer, der Nabokov liest und in Mecklemburg-Vorpommern eine Postdoc-Stelle innehat. Auch von ihm gibt’s Essen – seine Taschen sind gefüllt mit Köstlichkeiten, die ihm seine Frau zubereitet hat. So gerät die Fahrt anstatt zum Fastentrip zur Gourmet-Kutsche. Warschau passieren wir nachts, unser Abteil ist jetzt voll. Die Schaffner sind smarte, gutgekleidete Herren, auf ukrainisch «provodnik», denen Alexej sofort Schmuggel unterstellt. Über gebratenem, mariniertem Putenfleisch, gekochten, ungeschälten Kartoffeln, Paprika und Mohrrüben, Kuchen und Brot erklärt er mir die Jetztzeit des jungen Staates aus seiner Sicht, die ziemlich pessimistisch ist. Die Fenster-Landschaft des nächsten Tages ist nicht pessimistisch, sondern einfach neutral. Steppe, Wälder, vereinzelte Häuser und Siedlungen. Noch sind wir in Polen. Die Nacht ist angenehm in Zügen wie diesen; alten, breiten Metallmonstern mit irrsinnig hohen Einstiegen. Es sind einfache Pritschen, auf die allerdings gut gepolsterte Matrazen ausgerollt werden, es gibt eine Wolldecke, Kissen und weisse Bezüge. In der Erwartung von Buchläden mit einer englischen Abteilung beschränkt sich mein Lesestoff auf einige Zeitungen und den «lonely planet». Der geringe Umfang dieses Reiseführers spricht Bände über den Tourismus in der Ukraine. Der Reiseführer listet all die wenigen Dinge auf, die es zu besichtigen gibt, räumt aber im selben Atemzug ein, dass es beinahe unmöglich ist, es auch wirklich zu tun. So etwa das Museum, das in einem ehemaligen Kontinentalraketensilo der Sowjetunion eingerichtet wurde: «It’s a fascinating museum, but there are no english guides and getting here is a considerable hassle unless you’re driving from Kyiv to Odessa.» Fahren steht hier für Autofahren, was für ungeübte Lenker ein Abenteuer für sich ist.
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Ihr Senf, bitte. Am besten verdaulich und nicht zu dick aufgetragen.