Nov 21, 2008

the happening world

Mein erster Arzttermin im neuen Land. Die Auslandsdeckung, «Reise- und Ferienversicherung» genannt, gerade noch rechtzeitig (wie ich hoffe) eingereicht und bezahlt. Die Praxis ist am Telefon nicht unfreundlich, schlägt mir Termin um 16.30 vor, «mit Wartezeit». Verdutzt willige ich ein, lege auf. Termin? Oder Warten? Ich gehe extra früher, lasse die Destillation Destillation sein, dusche noch kurz. Frisch und munter und vom langsam eisiger werdenden Wind aufgepeitscht komme ich an. Hinter dem Tresen drei Damen, von denen sich nur eine befähigt sieht, zu bedienen, sie trägt ein schnurloses Sennheiser-Headset. Termin? Ja klar Termin. Dann geht die Papierschlacht los. Ich komme gar nicht erst dazu zu erwähnen, dass ich neu bin und mich mit dem deutschen Arztwesen nicht auskenne. Erstmal sorgt die Versichertenkarte für Aufregung. Ist aber europäisch! Dann die eine Auszubildende: «10 Euro oder Überweisung?» Die Frage nach Geld löst bei mir in der zweiten Monatshälfte ja immer Unwohlsein aus, aber die Aussicht auf einen Einzahlungsschein, den ich erst nach einem Monat in der Jackentasche wiederfinde zu einem Zeitpunkt mit unvorhersehbarer finanzieller Situation, ist schlimmer. Ich gebe ihr die 10 Euro, Bearbeitungsgebühr, was weiss ich. Dann wieder die Frau mit dem Headset. Schiebt mir Formulare rüber, ausfüllen. Habe Reisepass nicht dabei. «Wohnen Sie weit entfernt?» In Anbetracht der Formulare, auf denen sie es ohnehin nachprüfen könnte, mag ich nicht lügen, aber die Vorstellung, zurück zu fahren und noch länger warten zu müssen, lässt mich wortkarg werden. Kann den Pass nachreichen, ist aber wichtig. Dann endlich Wartezimmer. Sie kommt mir nach, noch ein Formular, bei Umzug zukünftige Adresse bitte auf der Rückseite notieren, mit Datum. Na endlich. Der Gedanke an den Umzug lässt immer Hoffnung keimen, sogar hier, im Wartezimmer. Dann kann sie meine Adresse nicht lesen. Dann fängt sie an, nachzuhaken, ist ganz interessiert: «Herkunftsland Tschechien?», ich stutze. «Deutschland», das kommt noch ganz trocken. Aber sie gibt nicht auf, Tschechien hat es ihr angetan: «Und warum haben Sie dann so eine Karte, haben Sie in Tschechien gelebt bisher?», und das mitten im Wartezimmer, alle schauen zu. Ich setze eine ernste Miene auf, nach ihrem wichtigtuerischen Auftritt lasse ich ihr das nicht durchgehen. «Schweiz, ich habe vorher in der Schweiz gelebt.» Sie dachte im Ernst, das «CH» stehe für Tschechien. Die gutmütige, bebrillte Frau wendet sich ab und ist zufrieden. Die Versichertenkarte wird sie mir beim Rausgehen wiedergeben. Dann Warten, zum Glück habe ich selber etwas zu Lesen mit. Schon nach einer halben Stunde bin ich dran, die Auszubildende spricht meinen konsonantenreichen Namen fast perfekt aus, ich nicke ihr ermutigend zu. Hinein in einen abgedunkelten Praxisraum, kubistische Kunst, ein Paar Kindersocken auf dem Schreibtisch. Dann die Ärztin, kein Händeschütteln, die Assistentin setzt sich gleich an den Computer, beginnt zu tippen. Die Ärztin, diktierend, beschreibt mein Problem, klassifiziert, «in der Mitte der Brust, RF 7», hat gleich eine Lösung parat, eine Salbe morgens, eine abends, Rezept gibt’s am Tresen, das war’s.

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