Der Abend begann, wie so mancher Abend in Berlin beginnt – mit einem geänderten Konzertbeginn. Auf den Plakaten rund um den Prater war «21:30» übergeklebt worden, das Foyer war gefüllt mit Leuten, die trinkend warteten. Wir nutzten die Gelegenheit, es war ein schöner Abend, und tranken uns durch den Biergarten nebenan, den Mauerpark und die Oderberger. Die Vorfreude potenzierte sich. Es war eineinhalb Monate her, seit ich Noise in Mannheim erlebt hatte. Das neu eröffnete Volksbühnen-Surrogat im Prater mit seinem verschrobenen Inneren und dem cleanen Äusseren legte eine gute Ausgangsbasis für das Gegensätzliche des Konzerts, das uns erwarten sollte. Keine Ansprache diesmal, keine unnötigen Floskeln, stattdessen warteten wir in den gepolsterten Holzbänken und lauschten dem pseudo-arabischen Gesang aus den Ohrmuscheln des Sennheisers. Tatsächlich tauchten Koze und Mense Reents, sein sparring-Partner, dann aus der Tür hinter der Musikkontrolltafel auf, an ihr hing ein gelbes Schild mit der Aufschrit «Achtung Absturzgefahr». Koze begann dann auch gespielt griesgrämig und besser vorbereitet als im Planetarium Mannheims. Die Abrechnung hätten sie gerade gemacht, teilte er uns mit. Er hasse das ja, Scheine zu zählen und so. Und legte dann nach, dass er ja mit etwas Ungemütlichem anfangen müsse, der Heimfahrt vielleicht, oder eben der Abrechnung, so dass wir uns danach richtig geläutert fühlen würden, wenn erstmal die Musik begänne. Die Musik begann dann auch, in den Grundzügen identisch wie in Mannheim, mit dem tollen «Jura ist wie Sport» Sprechtext. Von dieser furchtbar weichen Frauenstimmte fühlten wir uns angesprochen wie beim ersten Mal. Und wurden geläutert wieder und wieder, von den wunderschön weitläufigen Klangebenen, beruhigender Schwebe-Musik, die fein gemischt wurde. Nur Mense hatte gelegentlich etwas auszusetzen, woraufhin Koze und er sich zankten, ihr Disput nahm wie selbstverständlich den Weg über unsere Kopfhörer. Sie turnten auch auf den 16 Quadratmetern herum, die ihnen als Bühne dienten, Mense tat sich fleissig darin, die Stehlampen rechts und links des Mischpultes an- und auszuschalten (Koze: «Symmetrie ist die Kunst des kleinen Mannes»), Koze selbst begnügte sich mit den Puppen, die vor ihm standen, aus deren Inneren er Scooter-Musik erkingen liess und deren grüne Augen er zum Leuchten brachte. Auch seine «Hausmusik» war Bestandteil des Konzertes und Noise/Koze erläuterte ausführlich dazu, der Song «Ich hab Angst» war klares Highlight, neben dem «36-Stimmen-Mann» (der sogar anwesend war) und Matias Aguayos «minimal». Koze wandelte zwischen dem Konzert, den Tönen, seinen Improvisationen (und insbesondere denen von Mense) und der Interaktion mit dem Publikum, als hätte er es irgendwo sehr lange geübt. Wir fragen uns natürlich: wo?? Während seiner Hip-Hop-Zeit, die im Vergleich zu dem jetztigen Schaffen wie eine zweizeilige Präambel wirken muss? Wir waren auf jeden Fall positiv überrascht von den Werken, es hatte den Eindruck, als wollte Koze nicht aufhören, weder mit der Musik noch mit den schmunzelnd vorgetragenen Beschimpfungen an seine Hörer und Bewunderer im Saal:
«Wir werden hier dasselbe runterrattern wie wir schon vor einem Jahr in Berlin gespielt haben... und wenn ich mir eure rustikalen Gesichter so ansehe, dann kann ich daraus lesen, dass da gar nichts von hängengeblieben ist...»
Auch nach dem unvermeidlichen Stück «Zuviel Zeit», dessen Ost-West-Thematik zu Berlin passt, konnte Koze es sich nicht verkneifen, das Gegensätzliche an solchen Auftritten hervorzuheben, dass er als Künstler ja soviel schwitzen müsse, bis er nurmal die Fixkosten wieder drinhabe, während wir Zuhörer danach ja sofort zum nächsten Event weitersprinteten, zu Moderat etwa, oder in den «Panoramahain». Lustvoll lachte das Publikum über die Vorwürfe. Es war vergnüglich, die Gastschar begeistert und auch die Hardware funktionierte wie sie sollte. Ob Koze jetzt wieder ohne Mac arbeitet?
Anspieltipps:
Koze aka Noise: M.I.S.S. UFO ’72, Zuviel Zeit?, Bäume strahlen Stress aus, Amerikas Funniest Sound Effects / Wo die Rammelwolle fliegt
Adolf Noise: Five N / Wunden, S. Beine offen
Tocotronic: Kapitulation / Kapitulation
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Ihr Senf, bitte. Am besten verdaulich und nicht zu dick aufgetragen.