Aug 3, 2009

Fast Sarajevo III

Im Flughafenbus vor einem schweizer Pärchen gestanden, das nur quengelte; eine Eigenschaft, die ich bei diesen Leuten öfters beobachte, wie mir scheint.
Der Flug war pünktlich, ruhig und führte uns wunderschön erst über Berlin, das ich dank Fensterplatz gut überblicken konnte, später über die Ostsee. Wir flogen der Dämmerung davon und landeten, als in Riga schon Nacht war. Der Bus brachte mich zum Einkaufszentrum neben dem Bahnhof, von dort bahnte ich mir meinen Weg durch die Kopfsteinstrassen der Altstadt, vorbei an den Freitagabend-Horden vor den Clubs und Bars der lettischen Hauptstadt. Ich lud meine Sachen im Hostel ab, wo ich keinen der anderen Seminarteilnehmer ausfindig machen konnte. Ich ging Abendessen in der Pizzeria einer litauischen Kette, direkt hinter dem Freiheitsdenkmal. Die Strassen, Häuser, die gesamte Altstadt erinnerte mich an Trier, die Häuser waren alt, teils Jugendstil, das Parlamentsgebäude sah aus wie der Palast der Medici in Florenz, es gab eine Barockkirche, neben einigen anderen mehr. Riga ist aufgeladen von Architektur in all seinen Formen, es ist sauber wie in Zürich, die Menschen freundlich und hilfsbereit wie nirgendwo, es gibt einige Bettler, aber im Grossen und Ganzen merkt man nicht, dass man in einem Land ist, das seit rund einem Jahr von der Finanzkrise geschüttelt wird wie kein zweites. Es ist ruhig, kein Zeichen mehr von den aggressiven Protesten, die am 13. Januar 2009 (am Jahrestag der Befreiung der baltischen Staaten 1991) stattfanden. Es ist ruhig, hunderte von Touristen strömen durch die Stadt. Wir verbrachten Samstagnacht einige Stunden in den gut gefüllten Kneipen neben unserem Hostel und besorgten uns am Sonntag die letzten Vorräte für unseren Tagungsort, der 40 Kilometer entfernt von Ventspils in der Pampa liegt. Die lettischen Frauen sind hübsch, sehr hübsch, laufen wahnsinnig aufgedonnert herum und haben eine emanzipierte Art, aufreizend zu wirken und doch so hilflos. Die Lettinnen erinnerten mich an eine Landesfrau, die ich in Mannheim kennengelernt hatte, die mir in ihrer Arroganz und ihrer Kompromisslosigkeit ein schlechtes Bild des Landes gezeichnet hatte. Das Bild, das ich jetzt von dem süssen Ostsee-Anrainerstaat erhielt, war wesentlich besser und sonniger.

Nach langer Busfahrt kamen wir an unserem Seminarort an, eine Ansammlung von fünf bis sechs Häusern, mit künstlich angelegten Teichen dazwischen, Feldern, Wäldern, und das alles auf einem rund 34 Hektar grossem Gelände, das sich Sarnate nennt. Sarnate ist angeblich der Ort, wo die älteste baltische Siedlung stand, bis hierher reichte einst das Meer, das jetzt rund zwei Kilometer entfernt ist, und das, so der Klimawandel will, auch wieder hier branden wird. Zwei Kilometer – eine ideale Strecke zum Joggen, man gelangt zuletzt auf einen langen, geraden Feldweg, an einem Gestüt vorbei, dann an eine kleine, grasbewachsene und sandige Steilküste, die mich an die Prignitz erinnert. Hier würden wir jeden Tag vor dem Frühstück hinlaufen, und hier würden wir die nächsten beiden Wochen bleiben, in dem grünen Niemandsland zwischen Vilnius und Tallinn.

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