Sep 2, 2009

Fast Sarajevo XII

Pristina, 25.08.

Vor meiner Abfahrt in Nis traf ich den amerikanischen Schriftsteller Paul Polansky, der schon seit ueber 40 Jahren in Europa lebt, erst in Spanien, dann in Tschechien. Die UN hat ihn 1999 als Vermittler in Roma-Fragen in den Kosovo berufen, hier lebte er mehr als 10 Jahre lang selbstbestimmt unter erbaermlichsten Bedingungen, um die Lage der Roma in prosaischen Gedichten, Berichten und NGO-Arbeit zu dokumentieren. Seine Werke legen die ethnischen Graeueltaten offen, die waehrend dem zweiten Weltkrieg in Tschechien und in den Jahren 1999-2005 im Kosovo an den Zigeunern veruebt wurden. Da die Albaner im Kosovo der Auffassung sind, dass die Roma mit den Serben waehrend des Kriegs kooperierten, schikanieren sie die Zigeuner, die sich im Kosovo heimischen fuehlen und doch nicht bleiben koennen. Die UN macht keine Anstalten, ihnen zu helfen. In einem langen Marsch, auf dem Polansky sie begleitete, zogen 900 von ihnen nach Mazdedonien in der irrwitzigen Hoffnung, ueber Griechenland in die EU einreisen zu duerfen. Nach ihrer Abschiebung lebt ein Grossteil der Roma nun in den serbischen Enklaven im Kosovo, viele von ihnen auf bleiverseuchtem Gelaende. Polansky lebt mittlerweile in einem Haus etwas ausserhalb von Nis. Von hier zu den Enklaven sind es bloss zwei Stunden. Er faehrt jede Woche hinueber. Seine Arbeit als Menschenrechtsaktivist aehnelt einem Kampf mit Windmuehlen. Weder die UN noch die Regierungen der betroffenen Staaten reagieren auf seine Forderung, dass die Zigeunercamps umgehend evakuiert werden muessen. Das Leben von 300 Kindern steht auf dem Spiel, es zu retten, das hat sich Polansky in den Kopf gesetzt. Seine Antworten auf meine Fragen kommen nur mit einer kleinen Portion Verbitterung, der Rest ist eine Mischung aus unergruendlichem Schriftstellergeist und unermuedlichem Willen, dieser moeglicherweise ein antrainiertes Ueberbleibsel aus Polanskys Zeit als Boxer.

Neben einigen anderen Dingen lerne ich in den Gespraechen, dass die Aufgabe, eine Minderheit zu retten, die nirgends gemocht und der nirgends geholfen wird, ein ebenso aussichtsloses Unterfangen ist wie die ganzen anderen interkulturellen Projekte in der Region, der Streit zwischen Griechen und Mazedoniern ueber die Verwendung des Namens "Mazedonien", oder die Frage der Zugehoerigkeit des Kosovos, die mit der von der UN oktroyierten Unabhaengigkeitserklaerung keineswegs beantwortet ist. Der Balkan, mit seinen jungen Nationalstaaten und verschwommen Ethniengrenzen ist nicht mehr das Pulverfass, als das er in der Fruehzeit oft bezeichnet wurde, und doch stellen sich dem aufgeklaerten Europaer hier Fragen, die er nicht bei Anne Will beantwortet findet. Diese Fragen zu eroertern, das ist mein Plan fuer die sechs Wochen, die ich in den Laendern verbringe. Neben einem ordentlichen Nachbraeunen und einer genauen Analyse der wunderschoenen Frauen in diesen oestlichen Laendern.

Paul Polansky; Head of Mission "Kosovo Roma Refugee Foundation", ausserdem Head of Mission for Kosovo der Gesellschaft fuer bedrohte Voelker, Goettingen.
Zuletzt erschienen: "Undefeated", Sammlung von Prosagedichten, geschrieben zwischen 1994 und 2008.
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