Mit den Worten von Stefan Marx:
Dec 31, 2009
Dec 30, 2009
the happening world
Nachweihnachtliche Momente III
Die weissen Hemden wiegen sich leicht im warmen Luftstrom, der von der Heizung hinauf zur Vorhangleine steigt, an der sie hängen. Es schneit wieder. Von den vielen Weihnachtsessen pappsatt und mit neugekaufter Hose, Hemd und Schal sitze ich inmitten der Arbeit, die nun ansteht, und denke an die feierlichen Anlässe, die dieser Urlaub noch bieten wird, bevor der Uni-Alltag wieder losgeht und mein persönliches Pilotprojekt politischer Bildungsarbeit seinen ersten Härtetest bestehen muss. Weihnachten ist lange her und die ICE-Fahrt nach Hamburg ein Reisetraum, längst vergangen. Es ist die Zeit zwischen den Jahren, in der nichts mehr so recht für 2009 getan werden kann, aber keine Handlung für 2010 zählen kann.
Die weissen Hemden wiegen sich leicht im warmen Luftstrom, der von der Heizung hinauf zur Vorhangleine steigt, an der sie hängen. Es schneit wieder. Von den vielen Weihnachtsessen pappsatt und mit neugekaufter Hose, Hemd und Schal sitze ich inmitten der Arbeit, die nun ansteht, und denke an die feierlichen Anlässe, die dieser Urlaub noch bieten wird, bevor der Uni-Alltag wieder losgeht und mein persönliches Pilotprojekt politischer Bildungsarbeit seinen ersten Härtetest bestehen muss. Weihnachten ist lange her und die ICE-Fahrt nach Hamburg ein Reisetraum, längst vergangen. Es ist die Zeit zwischen den Jahren, in der nichts mehr so recht für 2009 getan werden kann, aber keine Handlung für 2010 zählen kann.
Dec 21, 2009
the happening world
Weihnachtliche Momente II
Krähenschwärme des nachts, die sich in den kahlen Bäumen nahe der grotesk beleuchteten Volksbühne sammeln. Das unverfälschte Gefühl von echtem, frischen Denim, den ich in einer Umkleidekabine eines Geschäfts auf der Kastanienallee meine Beine hochstreife. Eine mélange aus Briefeschreiben, Bücherlesen und Musik hören zuhause, der nächste Termin ist Tage entfernt.
Krähenschwärme des nachts, die sich in den kahlen Bäumen nahe der grotesk beleuchteten Volksbühne sammeln. Das unverfälschte Gefühl von echtem, frischen Denim, den ich in einer Umkleidekabine eines Geschäfts auf der Kastanienallee meine Beine hochstreife. Eine mélange aus Briefeschreiben, Bücherlesen und Musik hören zuhause, der nächste Termin ist Tage entfernt.
Dec 20, 2009
the happening world
In das stille Vakuum, das die Ferien erzeugt haben, dringen Nachrichten nur mit einer ausserordentlichen Behutsamkeit ein. Der Klimagipfel in Kopenhagen ist gescheitert. Weihnachten ist in vier Tagen. Die Ruhe, die sich im Urlaub über alles gelegt hat, lässt keine Aufregung zu, hält mir alles Engagement und alle Sorgen vom Hals. Das Vakuum aber ist keine Leere, es hat durch den Mangel an Aufgeregtheit echten Inhalt. Gehaltvoller war das Leben selten.
Dec 17, 2009
the happening world
Abschalten. Urlaub. Die politischen Einträge des Readers, die sonst aufgrund ihrer Brisanz, dem generellen Interesse meinerseits oder einfach wegen einer humorvollen Aufmachung stets veschlungen werden, einfach alle löschen, kurz die Kultur- und Ausgeh-News überfliegen, um eine Café-Neuentdeckung für die Feiertage festzuhalten, und dann: zurücklehnen. Abschalten. Ausmachen.
Urlaub.
Urlaub.
Dec 15, 2009
Fast Sarajevo XL
Beograd. 25.09.
Wir sassen in dem wunderbaren Hostel Chillton, eine Oase der Ruhe in waggongrösse über den Dächern der Stadt, tranken türkischen Kaffee, rauchten, schrieben zwei, drei verlorene Mails und fühlten uns gebeutelt, gebeutelt von all dem Reden, Trinken, Sehen und Reisen und all den Grenzen, die wir überquert haben, um hierher zurückzugelangen. Hierher zurück nach Hause, wo wir uns etwas Ruhe gönnten, bevor wir uns wieder in die gedrungenen Keller drängen würden, zu Konzerten und Trinken, Essen und Reden.
Es war nicht allzu lange her, dass wir in Sarajevo die letzten Konvertiblen Mark in Bier investiert hatten, und uns in Richtung Bahnhof aufgemacht hatten. Von vielen war zu hören gewesen: gebt alles aus, denn die KM kann man ausserhalb nicht umtauschen. So waren wir also ohne Ticket in die Strassenbahn gestiegen. Mit der Sicherheit, dass die Gesetzeshüter genau dann nicht zu Stelle sind, wenn man sie bräuchte, stiegen eine Station vor dem Bahnhof zwei ältere Herren dazu, die sich von unseren alten, abgestempelten Tickets nicht täuschen liessen. Wir handelten eine Strafgebühr von 20 Dollar pro Person aus. Andrei, der streitlustige Rumäne, provozierte sie mit seinem inflationären Fluchwortgebrauch sosehr, dass sie das beinahe noch extra berechneten. Ich lenkte ein, denn unser Zug war vor 10 Minuten abgefahren. Wir überquerten den Bahnhofsvorplatz mit der Gewissheit, in Sarajevo alles richtig gemacht zu haben. Die Strecke vom Hostel bis zum Bahnhof hatte uns jeden 20 Dollar gekostet, und der Nachtzug von Sarajevo nach Belgrad nochmal soviel. Die lässlichen 2 KM, deren Investition in ein Tramticket uns die Busse erspart hätten, waren in zwei 2.5 L Flaschen der Lokalmarke «Sarajevsko» bestens angelegt. Der Zug hatte die üblichen 30 Minuten Verspätung, wir fanden ein Abteil für uns und begannen sofort zu trinken.
Der Zug fuhr über Kroatien, was geographisch gar nicht möglich ist, und wir mussten mitten in der Nacht auch umsteigen. Es war die Art von Zugfahrt, die man aufgrund ihrer Einfachheit und ihrer stimmungsvollen Richtung (zurück nach Belgrad!) immer im Gedächtnis behalten wird. Wir erreichten Serbiens feminime Hauptstadt um acht Uhr früh, um eine Passseite voller kryptischer Stempel, eine vollen Blase und einen leichten Kater reicher, sowie 20 Dollar ärmer.
Wir sassen in dem wunderbaren Hostel Chillton, eine Oase der Ruhe in waggongrösse über den Dächern der Stadt, tranken türkischen Kaffee, rauchten, schrieben zwei, drei verlorene Mails und fühlten uns gebeutelt, gebeutelt von all dem Reden, Trinken, Sehen und Reisen und all den Grenzen, die wir überquert haben, um hierher zurückzugelangen. Hierher zurück nach Hause, wo wir uns etwas Ruhe gönnten, bevor wir uns wieder in die gedrungenen Keller drängen würden, zu Konzerten und Trinken, Essen und Reden.
Es war nicht allzu lange her, dass wir in Sarajevo die letzten Konvertiblen Mark in Bier investiert hatten, und uns in Richtung Bahnhof aufgemacht hatten. Von vielen war zu hören gewesen: gebt alles aus, denn die KM kann man ausserhalb nicht umtauschen. So waren wir also ohne Ticket in die Strassenbahn gestiegen. Mit der Sicherheit, dass die Gesetzeshüter genau dann nicht zu Stelle sind, wenn man sie bräuchte, stiegen eine Station vor dem Bahnhof zwei ältere Herren dazu, die sich von unseren alten, abgestempelten Tickets nicht täuschen liessen. Wir handelten eine Strafgebühr von 20 Dollar pro Person aus. Andrei, der streitlustige Rumäne, provozierte sie mit seinem inflationären Fluchwortgebrauch sosehr, dass sie das beinahe noch extra berechneten. Ich lenkte ein, denn unser Zug war vor 10 Minuten abgefahren. Wir überquerten den Bahnhofsvorplatz mit der Gewissheit, in Sarajevo alles richtig gemacht zu haben. Die Strecke vom Hostel bis zum Bahnhof hatte uns jeden 20 Dollar gekostet, und der Nachtzug von Sarajevo nach Belgrad nochmal soviel. Die lässlichen 2 KM, deren Investition in ein Tramticket uns die Busse erspart hätten, waren in zwei 2.5 L Flaschen der Lokalmarke «Sarajevsko» bestens angelegt. Der Zug hatte die üblichen 30 Minuten Verspätung, wir fanden ein Abteil für uns und begannen sofort zu trinken.
Der Zug fuhr über Kroatien, was geographisch gar nicht möglich ist, und wir mussten mitten in der Nacht auch umsteigen. Es war die Art von Zugfahrt, die man aufgrund ihrer Einfachheit und ihrer stimmungsvollen Richtung (zurück nach Belgrad!) immer im Gedächtnis behalten wird. Wir erreichten Serbiens feminime Hauptstadt um acht Uhr früh, um eine Passseite voller kryptischer Stempel, eine vollen Blase und einen leichten Kater reicher, sowie 20 Dollar ärmer.
Dec 12, 2009
the happening world
Nieselregen, Klavierspiel aus der Wohnung über mir, Klausur am Montag, Erholen vom Adventsdinner gestern: Jawohl, Schreibtisch im Balkonzimmer aufbauen und ein gemütliches Wochenende machen in der 2raumwohnung.
Dec 11, 2009
1 Gedicht/Tag
Diesmal in Kolumnenform:
Grasdackel
Überall sonst in Württemberg (und in Baden sowieso) streifen noch die langsamsten Bummelzüge (die schnellsten sowieso) die Städte des Ländles nur und machen, ob es nun Tübingen oder Schwäbisch Gmünd, Pfullingen oder Aalen, Kirchentellinsfurt oder Heidenheim sind: zu Flüchtigkeiten. Wenigstens von der Bahnhofseite her. Der Zug muss gleich wieder weiter. Kein Gebäude an den vielen Gleisen, das einen festhalten wollte. Jedes schubst einen sofort entweder in die Stadt oder eben in einen fortfahrenden Zug hinein. Nur in einer Stadt in Württemberg (von Baden ganz zu schweigen), der Hauptstadt naturgemäß, ist der Hauptbahnhof für alle Züge und alle Reisenden: eine Heimat. Hier fährt man nicht durch. Hier kommt man an. Ein Kopfbahnhof, der ein Herzbahnhof für Generationen von Schwaben und Weltreisenden ist. Auch wenn sie aus ihm hinausfahren, nehmen sie diesen Bahnhof sozusagen mit sich fort: als Sinnbild des technisch Schönen, in dem der Mensch geborgen ist. In den hohen, stolzen Hallen, in denen die Würde einer Basilika-Form mit der Sauberkeit einer reinen Funktion wunderbar harmoniert, überragt von einem trutzig-tollen Turm, der, gebaut von Paul Bonatz in den schweren Zeiten des Ersten Weltkriegs, neben dem anmutigen Fernsehturm von Fritz Leonhardt zu den europäischen Architekturensembles von unnachahmlichem Rang gehört - und zum Inbegriff des Bildes, das jeder von Stuttgart hat, der diese Stadt auch nur ein wenig liebt (und das sind nicht wenige). Eben diese Hallen der Bonatz-Herrlichkeit sollen, wie gestern der Aufsichtsrat der Deutschen Bahn bekräftigt hat, jetzt geschleift, sollen zusammen mit dem gesamten Heimat-Kopfbahnhof amputiert werden! Nur damit es durchgehende, kopflose Gleise tief unter der Erde gebe und droben auf dem dann gleisfreien, geschändeten Gelände kopflose, durchgehende Konsumbauten entstehen, die alle zusammen den durchgehenden Namen "Stuttgart 21" tragen ("Stuttgart00" wäre wohl angemessener), erdacht von durchgeknallten Politikern (ganz oben ein gerade noch amtierender und ein kommender Ministerpräsident) und von durchgeknallten Bahn-Profitmachern ("Grasdackel", wie man so etwas dortzulande nennt). Diese planen mit dem Geld, das sie nicht haben und nie haben werden (also mit "Schulden wie die Sautreiber", wie man dortzulande so etwas nennt), einen völligen megalomanen Unfug ins Blaue hinein, machen dafür aber ein solide Gewachsenes, Schönes, Tolles, Heimatliches, Wunderbares kaputt - oder "hee", wie man dortzulande sagt. Es klingt wie "weh". Also: Krieg den Grasdackeln! Friede den Kopfbahnhöfen!
Gerhard Stadelmaier
Alle Rechte vorbehalten. (c) F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Grasdackel
Überall sonst in Württemberg (und in Baden sowieso) streifen noch die langsamsten Bummelzüge (die schnellsten sowieso) die Städte des Ländles nur und machen, ob es nun Tübingen oder Schwäbisch Gmünd, Pfullingen oder Aalen, Kirchentellinsfurt oder Heidenheim sind: zu Flüchtigkeiten. Wenigstens von der Bahnhofseite her. Der Zug muss gleich wieder weiter. Kein Gebäude an den vielen Gleisen, das einen festhalten wollte. Jedes schubst einen sofort entweder in die Stadt oder eben in einen fortfahrenden Zug hinein. Nur in einer Stadt in Württemberg (von Baden ganz zu schweigen), der Hauptstadt naturgemäß, ist der Hauptbahnhof für alle Züge und alle Reisenden: eine Heimat. Hier fährt man nicht durch. Hier kommt man an. Ein Kopfbahnhof, der ein Herzbahnhof für Generationen von Schwaben und Weltreisenden ist. Auch wenn sie aus ihm hinausfahren, nehmen sie diesen Bahnhof sozusagen mit sich fort: als Sinnbild des technisch Schönen, in dem der Mensch geborgen ist. In den hohen, stolzen Hallen, in denen die Würde einer Basilika-Form mit der Sauberkeit einer reinen Funktion wunderbar harmoniert, überragt von einem trutzig-tollen Turm, der, gebaut von Paul Bonatz in den schweren Zeiten des Ersten Weltkriegs, neben dem anmutigen Fernsehturm von Fritz Leonhardt zu den europäischen Architekturensembles von unnachahmlichem Rang gehört - und zum Inbegriff des Bildes, das jeder von Stuttgart hat, der diese Stadt auch nur ein wenig liebt (und das sind nicht wenige). Eben diese Hallen der Bonatz-Herrlichkeit sollen, wie gestern der Aufsichtsrat der Deutschen Bahn bekräftigt hat, jetzt geschleift, sollen zusammen mit dem gesamten Heimat-Kopfbahnhof amputiert werden! Nur damit es durchgehende, kopflose Gleise tief unter der Erde gebe und droben auf dem dann gleisfreien, geschändeten Gelände kopflose, durchgehende Konsumbauten entstehen, die alle zusammen den durchgehenden Namen "Stuttgart 21" tragen ("Stuttgart00" wäre wohl angemessener), erdacht von durchgeknallten Politikern (ganz oben ein gerade noch amtierender und ein kommender Ministerpräsident) und von durchgeknallten Bahn-Profitmachern ("Grasdackel", wie man so etwas dortzulande nennt). Diese planen mit dem Geld, das sie nicht haben und nie haben werden (also mit "Schulden wie die Sautreiber", wie man dortzulande so etwas nennt), einen völligen megalomanen Unfug ins Blaue hinein, machen dafür aber ein solide Gewachsenes, Schönes, Tolles, Heimatliches, Wunderbares kaputt - oder "hee", wie man dortzulande sagt. Es klingt wie "weh". Also: Krieg den Grasdackeln! Friede den Kopfbahnhöfen!
Gerhard Stadelmaier
Alle Rechte vorbehalten. (c) F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Dec 9, 2009
the happening world
Endlich zurück zu wirklich fundamentalen Dingen und Fakten abseits von Zuwanderungsproblemen und gestörter Befindlichkeit: Auf starke-meinungen gibt es einen interessanten Kommentar zu der Klima-Hysterie, die in Kopenhagen gerade zu erklecklichen CO2-Emissionen führt (via politikplatschquatsch). Die Erkenntnisse, die der Email-Hack bei den Klimaforschern in England zutage gefördert hat, sind nur das jüngste Zeugnis einer wachsenden Aufmerksamkeit, die die Blogger und Bürger der Politik und den Medien entgegenbringen. Mich erschreckt selber, mit welcher unkritischen Art ich Informationen aus der Klimaforschung aufnehme, wo ich doch das Hinterfragen als grundlegende Technik in meinem Studium lerne und anwende. Vielleicht zeigt die ständige Beschallung durch Greenpeace und WWF sowie die deutsche Gründlichkeit in Aufarbeitungsfragen langsam eine Wirkung. Wie dem auch sei; CO2 ist das Waldsterben von heute, nein, schlimmer, das Waldsterben der nächsten Generation: Global im Ansatz, global in der Umsetzung und finanziell auf einem Niveau, das locker auf Augenhöhe mit bei der Finanzkrise eingedampften Hedge-Fonds-Summen liegt. Dass eine Technologieentwicklung stattfindet, die abseits der fossilen Ressourcen zur Anwendung kommt, ist vielleicht das Beste daran. Zu dem Schluss, dass es für eine ernsthafte Umsattelung auch langsam Zeit wird, könnte man allerdings auch kommen, indem man sich einfach mal die Verknappung dieser Rohstoffe in den nächsten 100, 200 Jahren überlegt. Aber nein, die Endlichkeit von Erdöl und Gas sind nicht der Grund, weswegen jetzt beispielsweise Renault gleich eine ganze Flotte von Null-Emissions-Autos vorgestellt hat, die 2011 auf dem Markt sein sollen. Klimaschutz ist Mode geworden, und daran sind die Politiker dieser Ressorts nicht unschuldig. Dabei haben sie ihre ureigenen Beweggründe, wie Klaus Kocks zeigt: «Die ganze politische Klasse hat gelernt, dass sich auf dem Klimaticket gut reisen lässt. Die Pressesprecherin von Lothar de Maiziére ist so Kanzlerin geworden, und der von Schröder geschnittene Harzer Roller Sigmar Gabriel Parteivorsitzender; nun also Röttgen, der sich so davor schützt, als Lobbyist beim BDI dienen zu müssen.» Ihre berufliche Ereiferung hat auch gute Seiten, wie Renault eindrucksvoll beweist. Und ganz nebenbei kommen die Autohersteller mit ihrer massiven Umrüstung völlig unbemerkt an der Frage vorbei, warum sie das Programm nicht eher in Angriff genommen haben.
Dennoch bleibt bei der ganzen Diskussion die Legitimierung unangesprochen. Ist CO2 am Klimawandel schuld? Nützen die Techniken, die wir dagegen aufbringen? Halb durch den Kommentar gelesen, schreibe ich einem Bekannten, der Seminare zu Nachhaltigkeit organisiert und das Ganze in einen persönlich-emotionalen, spirituellen Rahmen stellt. Er sollte diese Unschlüssigkeit, die die ganze Chose mit sich bringt, als Motor für seine Arbeit nutzen. Die Sinnfrage von Klimaschutz ist hinfällig, wenn Nachhaltigkeit das Ziel ist.
Zwei Zeilen später ist der Autor auch bei dieser Erkenntnis.
Dennoch bleibt bei der ganzen Diskussion die Legitimierung unangesprochen. Ist CO2 am Klimawandel schuld? Nützen die Techniken, die wir dagegen aufbringen? Halb durch den Kommentar gelesen, schreibe ich einem Bekannten, der Seminare zu Nachhaltigkeit organisiert und das Ganze in einen persönlich-emotionalen, spirituellen Rahmen stellt. Er sollte diese Unschlüssigkeit, die die ganze Chose mit sich bringt, als Motor für seine Arbeit nutzen. Die Sinnfrage von Klimaschutz ist hinfällig, wenn Nachhaltigkeit das Ziel ist.
Zwei Zeilen später ist der Autor auch bei dieser Erkenntnis.
Dec 3, 2009
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Jetzt, wo es hier am Helmholtzplatz wieder viel um die Schwaben und andere Nutzniesser des Establishments geht, die sich in die verwilderten, aber schönen Ecken der linken Kreativen einnisten, ist es vielleicht Zeit für ein bisschen Anti-Gentrifizierung. Ich habe dieses Wort ja immer irgendwo im Gender-Bereich zugeordnet und fand es gerade deswegen so unsinnig, mich damit zu befassen. Was hat Gender schon mit Wohnen und Wohngegenden zu tun! Doch gerade in seiner eigentlichen Bedeutung schrumpft der Wert der Aussage, den «Gentrifizierung» macht, noch weiter, denn diese Diskussion entbehrt, im Gegensatz zu der geschlechtlichen, die ja geführt werden muss, jeglicher vernünftiger Legitimierung. In der neuen BrandEins (kaufen, hören oder warten) wird eine kurze, vereinfachte Geschichte des Nebenhers von Kunst und Kommerz gezeichnet, und die Schlussfolgerungen, die dieser Text zieht, dürften auch in der Diskussion um aufgewertete Stadtteile zur Anwendung kommen.
«Ihr seid ein Volk - und wir sind ein anderes», schimpfen die vermeintlich Alteingesessenen über die Schwaben am Helmholtzplatz und Co., wo sie sich doch eigentlich freuen sollten, jetzt wo Weihnachten kommt, weil da ja angeblich alle unechten Berliner nach Hause zu Mutti fahren. Kritik ist nett, aber wirkungslos, und die Anti-Schwaben-Plakate werden nur noch dort thematisch aufgegriffen, wo die Klientel sitzt, die diese Plakate eigentlich verteufelt: In den Blogs und Feuilletons der gut organisierten Medienwelt.
Rebel:art hat schon vor knapp einem Jahr das «Es regnet Kaviar»-Gentrifizierung-Aberwertungskit vorgestellt, das zwar von einer Gruppe aus Hamburg stammt, aber Klassenkampf funktionert ja überall gleich. Mit diesen lustigen und kreativen Ideen kann man seine Wohnung als Waffe gegen die Verschlimmbesserung des Bezirks instrumentalisieren, bevor man zum nächsten Verteilerkasten gehen muss und irgendwelche dumm-kalauernden Sätze aufhängt.
“Die Miete drück ich mir jetzt selber! Mit wenigen Handgriffen lässt sich das Erscheinungsbild ihrer Wohnung nach außen verschlechtern. Schon bald setzt der “broken windows effect” ein: Wohlhabende ziehen weg, Wohnungen sind nur noch schwer zu vermieten, die Preise purzeln in den Keller.
1. Das gewöhnliche Unterhemd – im englischen Sprachraum “wifebeater” genannt – wirkt asozial, besonders wenn sie es zum Trocknen vor’s Fenster hängen! Verstärken lässt sich der Effekt durch an Balkon oder Fenster montierte Wäscheständer. Da bekommt jeder Investor das Fürchten!
2. Sicher ist auch Ihnen schon aufgefallen, dass in Gegenden mit niedrigen Mieten viele Satellitenantennen die Fassaden schmücken, während in wohlhabenden Vierteln derartiges nicht zu sehen ist. Machen Sie sich diesen Umstand selbst zu nutze – montieren Sie eine Sat-Antenne an ihre Fassade (oder drei oder vier). Faustregel: Je mehr Satellitenantennen – desto besser die Wirkung!
3. Was könnte besser den broken windows Effekt auslösen – als ein zersplittertes Fenster? Nichts verbreitet eine so effektive Atmosphäre der Verwahrlosung und der Heruntergekommenheit. Gut für Sie – denn das hält Investoren fern!
4. “It looks getto-rigged” sagt der Amerikaner, um nachlässig durchgeführte Montagen und Reparaturen zu beschreiben. Verbreiten auch Sie eine Atmosphäre der Unsicherheit durch wild zugetapte Fenster, Mauern, scheinreparierte Rohrleitungen etc. Aber aufgepasst: nicht zu kreativ werden – denn wo Kreative arbeiten, steigen die Mieten!
5. Die SAGA vermietet in St. Pauli fast nur noch an Menschen mit deutschem Nachnamen. Ausländer – ob mit oder ohne deutschen Pass – bekommen immer schwerer oder gar keine Wohnung mehr. Das lässt sich zwar nicht beweisen, findet aber statt, viele Familien sitzen in zu klein gewordenen Wohnungen fest, wenn sie nicht bereit sind St. Pauli Richtung Stadtrand zu verlassen. Bei dieser Politik scheint die SAGA davon auszugehen, dass ausländische Namen am Klingelschild sich negativ auf den zu erzielenden Mietertrag auswirken. Machen Sie sich diesen Effekt zu nutze – und fügen sie Ausländische Namen auf ihrem Klingelschild hinzu (oder auf dem ihrer Nachbarn).
6., 7. und 8. Besonders wenn Sie im Erdgeschoss wohnen: lassen Sie ihre Wohnung aussehen wie einen 55-Cent-Laden – oder noch besser: wie einen gescheiterten Discounter! Denn: keine militante Demo ruiniert das Image einer Nachbarschaft so effektiv, wie ein 55-Cent-Laden.
9. Nichts ist asozialer als eine Lidl-Tüte! Stellen Sie die auf den Balkon – oder hängen Sie die aus dem Fenster! Die Menschen werden denken, Sie hätten die Stromrechnung nicht bezahlt oder Sie könnten sich keine Kühlschrankreparatur leisten! Auch gut: Ware aus teuren Läden in Tüten vom billig Discounter nach Haus tragen.
Konsequent und von vielen Mietern angewendet, löst der Abwertungskit™ eine Preisspirale nach unten aus: die Reichen verlassen den Stadtteil und ziehen zurück in ihre angestammten Siedlungsgebiete am Stadtrand, Nobelrestaurants senken die Preise – und schon bald können Sie in einen grössere, billigere Wohnung umziehen. Und am Ende des Monats liegt eine fette Ersparnis in ihrem Portemonnaie. Das alles erreichen sie nicht durch Arbeit oder politische Demonstrationen – sondern nur durch den original Abwertungskit™. In ausgesuchten Fachgeschäften und exclusiv zum Download unter Es regnet Kaviar“
«Ihr seid ein Volk - und wir sind ein anderes», schimpfen die vermeintlich Alteingesessenen über die Schwaben am Helmholtzplatz und Co., wo sie sich doch eigentlich freuen sollten, jetzt wo Weihnachten kommt, weil da ja angeblich alle unechten Berliner nach Hause zu Mutti fahren. Kritik ist nett, aber wirkungslos, und die Anti-Schwaben-Plakate werden nur noch dort thematisch aufgegriffen, wo die Klientel sitzt, die diese Plakate eigentlich verteufelt: In den Blogs und Feuilletons der gut organisierten Medienwelt.
Rebel:art hat schon vor knapp einem Jahr das «Es regnet Kaviar»-Gentrifizierung-Aberwertungskit vorgestellt, das zwar von einer Gruppe aus Hamburg stammt, aber Klassenkampf funktionert ja überall gleich. Mit diesen lustigen und kreativen Ideen kann man seine Wohnung als Waffe gegen die Verschlimmbesserung des Bezirks instrumentalisieren, bevor man zum nächsten Verteilerkasten gehen muss und irgendwelche dumm-kalauernden Sätze aufhängt.
“Die Miete drück ich mir jetzt selber! Mit wenigen Handgriffen lässt sich das Erscheinungsbild ihrer Wohnung nach außen verschlechtern. Schon bald setzt der “broken windows effect” ein: Wohlhabende ziehen weg, Wohnungen sind nur noch schwer zu vermieten, die Preise purzeln in den Keller.
1. Das gewöhnliche Unterhemd – im englischen Sprachraum “wifebeater” genannt – wirkt asozial, besonders wenn sie es zum Trocknen vor’s Fenster hängen! Verstärken lässt sich der Effekt durch an Balkon oder Fenster montierte Wäscheständer. Da bekommt jeder Investor das Fürchten!
2. Sicher ist auch Ihnen schon aufgefallen, dass in Gegenden mit niedrigen Mieten viele Satellitenantennen die Fassaden schmücken, während in wohlhabenden Vierteln derartiges nicht zu sehen ist. Machen Sie sich diesen Umstand selbst zu nutze – montieren Sie eine Sat-Antenne an ihre Fassade (oder drei oder vier). Faustregel: Je mehr Satellitenantennen – desto besser die Wirkung!
3. Was könnte besser den broken windows Effekt auslösen – als ein zersplittertes Fenster? Nichts verbreitet eine so effektive Atmosphäre der Verwahrlosung und der Heruntergekommenheit. Gut für Sie – denn das hält Investoren fern!
4. “It looks getto-rigged” sagt der Amerikaner, um nachlässig durchgeführte Montagen und Reparaturen zu beschreiben. Verbreiten auch Sie eine Atmosphäre der Unsicherheit durch wild zugetapte Fenster, Mauern, scheinreparierte Rohrleitungen etc. Aber aufgepasst: nicht zu kreativ werden – denn wo Kreative arbeiten, steigen die Mieten!
5. Die SAGA vermietet in St. Pauli fast nur noch an Menschen mit deutschem Nachnamen. Ausländer – ob mit oder ohne deutschen Pass – bekommen immer schwerer oder gar keine Wohnung mehr. Das lässt sich zwar nicht beweisen, findet aber statt, viele Familien sitzen in zu klein gewordenen Wohnungen fest, wenn sie nicht bereit sind St. Pauli Richtung Stadtrand zu verlassen. Bei dieser Politik scheint die SAGA davon auszugehen, dass ausländische Namen am Klingelschild sich negativ auf den zu erzielenden Mietertrag auswirken. Machen Sie sich diesen Effekt zu nutze – und fügen sie Ausländische Namen auf ihrem Klingelschild hinzu (oder auf dem ihrer Nachbarn).
6., 7. und 8. Besonders wenn Sie im Erdgeschoss wohnen: lassen Sie ihre Wohnung aussehen wie einen 55-Cent-Laden – oder noch besser: wie einen gescheiterten Discounter! Denn: keine militante Demo ruiniert das Image einer Nachbarschaft so effektiv, wie ein 55-Cent-Laden.
9. Nichts ist asozialer als eine Lidl-Tüte! Stellen Sie die auf den Balkon – oder hängen Sie die aus dem Fenster! Die Menschen werden denken, Sie hätten die Stromrechnung nicht bezahlt oder Sie könnten sich keine Kühlschrankreparatur leisten! Auch gut: Ware aus teuren Läden in Tüten vom billig Discounter nach Haus tragen.
Konsequent und von vielen Mietern angewendet, löst der Abwertungskit™ eine Preisspirale nach unten aus: die Reichen verlassen den Stadtteil und ziehen zurück in ihre angestammten Siedlungsgebiete am Stadtrand, Nobelrestaurants senken die Preise – und schon bald können Sie in einen grössere, billigere Wohnung umziehen. Und am Ende des Monats liegt eine fette Ersparnis in ihrem Portemonnaie. Das alles erreichen sie nicht durch Arbeit oder politische Demonstrationen – sondern nur durch den original Abwertungskit™. In ausgesuchten Fachgeschäften und exclusiv zum Download unter Es regnet Kaviar“
Dec 2, 2009
the happening world
Ich führe wieder Telefongespräche, nach denen ich auflege und mich frage, warum die Leute nicht einfach ihren Job erledigen, und zwar so gut es geht. Gleich anschliessend frage ich mich, was schiefgelaufen ist, dass die Vorstellung vom richtig-erledigen des Jobs offenbar so grundlegend aus den Bahnen geraten ist, und das auch noch toleriert wird, vermutlich schlichtweg aus dem Grund, weil ja alle Bewerber schlechter sind, die Einschulung Geld kostet und man die momentane Besetzung nicht einfach entlassen könnte, weil sie dann auf der Strasse stände. Oder - halt: Es sind ja Beamte. Schlechte Arbeitsleistung, lebenslang, und dann eine stattliche Rente. Dass so die Bürger ein schlechtes Bild von Politik im Allgemeinen und von den Bürgerservices im Speziellen haben, ist dann auch kein Wunder mehr. Ich bin ja gerade erst dabei, mich mit meinen idealistischen Verbesserungsgedanken an diesen Hindernissen zu reiben. Und es ist nicht schön, bei der Stelle für "Veranstaltungen, Seminare, Gesprächskreise" der Landeszentrale für politische Bildung bei der Frage nach Referenten zu dem Thema (welches wohl? Politische Bildung!) von einer Schreibtischdame mit genervter Stimme angepflaumt zu werden, als ob jeder, der sich (freiwillig) damit befasst, sich erst ein Diplom beschaffen sollte, bevor er auch nur daran denken darf, anzurufen. Also wirklich! Kein Wunder, mangelt es den Bürgern an Interesse, sich mit solchen Stellen zu befassen. Meine Ämterangst ist hier allerdings kurz nach dem Zorn, der dem Telefonat folgt, schon wieder verflogen. Mich kriegen die nicht so leicht klein! Die sollen mal schön ihrem Regierungsauftrag nachkommen und ihre Kohle abarbeiten.
Direkt anschliessend wurde ich von der Schreibtischfrau, die sich um "Förderung, Öffentlichkeitsarbeit, Sonderurlaub" kümmert, wieder aufgebaut, obwohl sie mich mit meinem Ansinnen erst gegen die "Lesen Sie unsere Förderbedingungen"-Wand laufen liess. Über Anträge für 2010 könne eh erst im Januar entschieden werden, und ich solle mir das doch mal durchlesen und wir könnten dann nochmal telefonieren. Völlig unabgeneigt stand sie dem Ganzen auch nicht gegenüber. Sie freue sich, liess sie sogar verlauten, weil sie bis anhin noch wenig anderes bekommen habe. Na also.
Nebenbei keimt immer noch der Gedanke, die ganze Chose hier auf ein journalistisch besser aussehendes Format drüben bei wordpress zu packen. Aber - kommt Zeit, kommt Rat.
Direkt anschliessend wurde ich von der Schreibtischfrau, die sich um "Förderung, Öffentlichkeitsarbeit, Sonderurlaub" kümmert, wieder aufgebaut, obwohl sie mich mit meinem Ansinnen erst gegen die "Lesen Sie unsere Förderbedingungen"-Wand laufen liess. Über Anträge für 2010 könne eh erst im Januar entschieden werden, und ich solle mir das doch mal durchlesen und wir könnten dann nochmal telefonieren. Völlig unabgeneigt stand sie dem Ganzen auch nicht gegenüber. Sie freue sich, liess sie sogar verlauten, weil sie bis anhin noch wenig anderes bekommen habe. Na also.
Nebenbei keimt immer noch der Gedanke, die ganze Chose hier auf ein journalistisch besser aussehendes Format drüben bei wordpress zu packen. Aber - kommt Zeit, kommt Rat.
Nov 26, 2009
Fast Sarajevo XXXIX
Sarajevo, 22. IX
Sarajevos Name leitet sich bekanntlich von «Sarai» ab, der Festung, die einst über der Stadt thronte. Den defensiven Charakter hat die Siedlung im Tal nach dem Ende ihrer Belagerung 1995 trotzig und endgültig abgeschüttelt und ihre Bewohner begegnen einem, besonders in den Cafés und Restaurants des Nachts, mit einer ironischen Aggressivität. Diese Stadt umarmt mit slawischer Festigkeit die Kultur und Herkunft ihrer Besucher und verleibt sie sich ein; aus dieser Vereinigung entspringt der nationale Charakter wie Wasser aus einer Quelle immer wieder neu. Im Café Ort, unter dem aziden Vier-viertel einer Musik, deren Takte im Englischen als «pumping» bezeichnet werden, entfacht sich die Konversation der Besucher in ebenjener Weise stets von neuem, begleitet von Gesichtsausdrücken, die im Verlauf eines Satzes von besorgt-beunruhigt, furchtsam über erstaunt und gelangweilt bis hin zu freudig und überheblich wechseln können.
Später ging ich in den Drome. Der Drome ist mehr ein Stadion im Kleinen als ein Club; durch halboffene Betonwände abgeschirmte Galerien sind gesäumt von Bars und Sofafluchten, im Innern die tiefergelegte Tanzfläche, riesengross und rund, die hohen Wände sind gesprenkelt mit sich überlappenden Visuals. Das Ganze mit einer Akustik wie im Hallenbad. Ein deutscher Label-DJ machte sich den Klang zunutze und legte eine trockene Kaskade harter Frankfurt-Rhythmen auf das ohnehin schon staubtrockene Etwas, das aus den Boxen kam und den ganzen Faradayschen Betonkäfig erzittern liess, als stünden die Serben vor der Stadt. Bei den Gästen gab es einfach alles, drei volle Dekaden von Party-Chic, hierhergetragen aus den fernen Metropolen früher Clubkultur. Leuchthörner, Trillerpfeifen, weisse Handschuhe, Topfschnitt, Fusseldecken als Kleidung. Vokuhilas mit und ohne Strähnen. Unterstützt durch die Musik wirkte nichts lächerlich oder fehl am Platz, mir kam ein Statement von Nôze in den Sinn, bei ihrem Auftritt in Montreal 2008: «We don't play intellectual music» - und so zogen sich die Leute hier an. Schon um 12 war der Ort brechend voll, im Keller, unter dem stützenden Gestänge der Tribüne, auf dem Weg zu den «toalets» sassen erste erschöpfte Gestalten, an den klatschnassen Beton gelehnt, eine kleine Aussenseitergruppe drehte Joints; Kondenswasser der schwitzenden Menge über ihren Köpfen tropfte von der abgestuften Decke. Der Metalldetektor am Einlass piepte unentwegt, Aufpasser von vier verschiedenen Firmen leuchteten mit ihren neongelben Westen in der Menge. Dieser Club hatte einen rohen Charme, nichts in der Art wie das majestätische Kristal in Bukarest, und dennoch kein Jota weniger ekstatisch. Die Deckenstrahler nahmen Töne von Blau an. Gigersche Repräsentationen von biomechanoiden Landschaften huschten über die Bildschirme, die Menge jubelte. Ich ginng in den Pool der Tanzenden hinunter, als um vier Uhr morgens Chris Liebling die Plattenteller in diesem einmaligen Establishment übernahm.
Sarajevos Name leitet sich bekanntlich von «Sarai» ab, der Festung, die einst über der Stadt thronte. Den defensiven Charakter hat die Siedlung im Tal nach dem Ende ihrer Belagerung 1995 trotzig und endgültig abgeschüttelt und ihre Bewohner begegnen einem, besonders in den Cafés und Restaurants des Nachts, mit einer ironischen Aggressivität. Diese Stadt umarmt mit slawischer Festigkeit die Kultur und Herkunft ihrer Besucher und verleibt sie sich ein; aus dieser Vereinigung entspringt der nationale Charakter wie Wasser aus einer Quelle immer wieder neu. Im Café Ort, unter dem aziden Vier-viertel einer Musik, deren Takte im Englischen als «pumping» bezeichnet werden, entfacht sich die Konversation der Besucher in ebenjener Weise stets von neuem, begleitet von Gesichtsausdrücken, die im Verlauf eines Satzes von besorgt-beunruhigt, furchtsam über erstaunt und gelangweilt bis hin zu freudig und überheblich wechseln können.
Später ging ich in den Drome. Der Drome ist mehr ein Stadion im Kleinen als ein Club; durch halboffene Betonwände abgeschirmte Galerien sind gesäumt von Bars und Sofafluchten, im Innern die tiefergelegte Tanzfläche, riesengross und rund, die hohen Wände sind gesprenkelt mit sich überlappenden Visuals. Das Ganze mit einer Akustik wie im Hallenbad. Ein deutscher Label-DJ machte sich den Klang zunutze und legte eine trockene Kaskade harter Frankfurt-Rhythmen auf das ohnehin schon staubtrockene Etwas, das aus den Boxen kam und den ganzen Faradayschen Betonkäfig erzittern liess, als stünden die Serben vor der Stadt. Bei den Gästen gab es einfach alles, drei volle Dekaden von Party-Chic, hierhergetragen aus den fernen Metropolen früher Clubkultur. Leuchthörner, Trillerpfeifen, weisse Handschuhe, Topfschnitt, Fusseldecken als Kleidung. Vokuhilas mit und ohne Strähnen. Unterstützt durch die Musik wirkte nichts lächerlich oder fehl am Platz, mir kam ein Statement von Nôze in den Sinn, bei ihrem Auftritt in Montreal 2008: «We don't play intellectual music» - und so zogen sich die Leute hier an. Schon um 12 war der Ort brechend voll, im Keller, unter dem stützenden Gestänge der Tribüne, auf dem Weg zu den «toalets» sassen erste erschöpfte Gestalten, an den klatschnassen Beton gelehnt, eine kleine Aussenseitergruppe drehte Joints; Kondenswasser der schwitzenden Menge über ihren Köpfen tropfte von der abgestuften Decke. Der Metalldetektor am Einlass piepte unentwegt, Aufpasser von vier verschiedenen Firmen leuchteten mit ihren neongelben Westen in der Menge. Dieser Club hatte einen rohen Charme, nichts in der Art wie das majestätische Kristal in Bukarest, und dennoch kein Jota weniger ekstatisch. Die Deckenstrahler nahmen Töne von Blau an. Gigersche Repräsentationen von biomechanoiden Landschaften huschten über die Bildschirme, die Menge jubelte. Ich ginng in den Pool der Tanzenden hinunter, als um vier Uhr morgens Chris Liebling die Plattenteller in diesem einmaligen Establishment übernahm.
Nov 24, 2009
Nov 23, 2009
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Endlich Sarajevo:
Der Bahnhof, nach der Ankunft erstmal die zwei anderen Backpacker, die im selben Zug ankamen wie ich, vorbeigehen lassen und in der von der Morgensonne gefluteten Halle zwei Kaffee trinken. Probieren, sich das Draussen vorzustellen.
Filmplakat des Filmfestivals 1994 (ja, das wurde während der Belagerung initiiert). «To be or not to be» ist der Name einer Kneipe im muslimischen Viertel der Altstadt.
Der Bahnhof, nach der Ankunft erstmal die zwei anderen Backpacker, die im selben Zug ankamen wie ich, vorbeigehen lassen und in der von der Morgensonne gefluteten Halle zwei Kaffee trinken. Probieren, sich das Draussen vorzustellen.
Filmplakat des Filmfestivals 1994 (ja, das wurde während der Belagerung initiiert). «To be or not to be» ist der Name einer Kneipe im muslimischen Viertel der Altstadt.
Nov 22, 2009
Fast Sarajevo XXXVIII
Sarajevo, 21. IX
Die grosse Zuschauerschar um das erste Schachspiel dieses Tages auf dem Platz vor der orthodoxen Kirche, lauter ältere Männer voll von Esprit für das Herumgeschiebe der Plastikfiguren auf den Steinplatten vor ihnen. Unser Lachen, bei einem unüberlegten Zug des einen Spielers, und ihr Ausruf, an uns gerichtet: You want to play?
-Sutra - Morgen, sagen wir, noch immer lachend, während wir uns abwenden und in das nächste Café gehen.
Die grosse Zuschauerschar um das erste Schachspiel dieses Tages auf dem Platz vor der orthodoxen Kirche, lauter ältere Männer voll von Esprit für das Herumgeschiebe der Plastikfiguren auf den Steinplatten vor ihnen. Unser Lachen, bei einem unüberlegten Zug des einen Spielers, und ihr Ausruf, an uns gerichtet: You want to play?
-Sutra - Morgen, sagen wir, noch immer lachend, während wir uns abwenden und in das nächste Café gehen.
Nov 21, 2009
1 Gedicht/Nacht
Die Weisheit wohnte sonst auf großen Foliobogen,
Der Freundschaft war ein Taschenbuch bestimmt;
Jetzt, da die Wissenschaft ins Kleine sich gezogen,
Und leicht, wie Kork, in Almanachen schwimmt,
Hast du, ein hoch beherzter Mann,
Dies ungeheure Haus den Freunden aufgetan.
Wie, fürchtest du denn nicht, ich muss dich ernstlich fragen,
An so viel Freunden allzu schwer zu tragen?
schrieb Friedrich Schiller in das Folio-Stammbuch eines Freundes.
Der Freundschaft war ein Taschenbuch bestimmt;
Jetzt, da die Wissenschaft ins Kleine sich gezogen,
Und leicht, wie Kork, in Almanachen schwimmt,
Hast du, ein hoch beherzter Mann,
Dies ungeheure Haus den Freunden aufgetan.
Wie, fürchtest du denn nicht, ich muss dich ernstlich fragen,
An so viel Freunden allzu schwer zu tragen?
schrieb Friedrich Schiller in das Folio-Stammbuch eines Freundes.
Nov 20, 2009
Fast Sarajevo XXXVII
Sarajevo, 21.IX
Wer als Deutscher den Euro satthat und sich die gute alte Mark zurückwünscht, der könnte, anstatt die Europäisierungsstatistiken in Deutschland zu versauen, einfach nach Bosnien und Herzegowina ziehen. Hier gibt es die K-Mark als Währung, und sie bleibt uns aller Voraussicht nach noch einige Jahre lang erhalten. Griffig in der Hand, konvertibel (daher das K-) und, jetzt kommt das Beste: an den Euro gebunden. Ausserdem wird in Bosnien und Herzegowina ohnehin an vielen Orten der Euro akzeptiert, wenn dem Nostalgiker also die Lust auf's Alte vergangen ist, kann er einfach wieder modern sein. Da bleiben einem echt keine Wünsche offen! Jetzt buchen!
Wer als Deutscher den Euro satthat und sich die gute alte Mark zurückwünscht, der könnte, anstatt die Europäisierungsstatistiken in Deutschland zu versauen, einfach nach Bosnien und Herzegowina ziehen. Hier gibt es die K-Mark als Währung, und sie bleibt uns aller Voraussicht nach noch einige Jahre lang erhalten. Griffig in der Hand, konvertibel (daher das K-) und, jetzt kommt das Beste: an den Euro gebunden. Ausserdem wird in Bosnien und Herzegowina ohnehin an vielen Orten der Euro akzeptiert, wenn dem Nostalgiker also die Lust auf's Alte vergangen ist, kann er einfach wieder modern sein. Da bleiben einem echt keine Wünsche offen! Jetzt buchen!
Nov 19, 2009
the happening world
Wie bei den bissigen Liberalen hingewiesen wurde, ist in der FAZ ein bemerkenswerter Blick hinter die Studiokulissen der Staatssender erschienen. Auch im print lässt es sich die Zeitung nicht nehmen, die miese Qualität sowohl der Nachrichten als auch der Darreichungsform der Öffentlich-rechtlichen zu portraitieren. Früher, zu Zeiten, als der Sonntags-Tatort meine einzige Fernsehsendung überhaupt war, glaubte ich ja wegen des werbefreien Angebots, ich sei hier beim letzten ernstzunehmenden TV-Angebot überhaupt gelandet. Bei MTV dröhnte schon damals mehr Klingelton als (die nicht viel bessere) Popmusik, und bei Versuchen, mir «Blockbuster» auf den Privaten anzusehen, musste ich nach der zweite Werbepause ausmachen. Der Artikel in der FAZ zeigt nun, dass eine der wenigen Kompetenzen, die ARD und ZDF noch aufzuweisen schienen, nämlich die kompetente Nachrichtenvermittlung, auch dahin ist. Bei Namen wie «Verbotene Liebe» oder wahlweise «Geld, Macht, Liebe» wird mir schon offenbar, dass da abseits der Tagesschau nicht viel Sinnhaltiges abläuft.
Nov 17, 2009
the happening world
Ich steck gerade im Rasierschaum, da klingelt das Telefon. Da geh' ich ja schon seit Wochen nicht mehr dran, es könnte schliesslich Familie, für die nichtanwesende Mitbewohnerin oder - schlimmer - etwas Amtliches sein. Ich nehme ab. Zu meinem Gück. Irgendwer muss der Bankangestellten meine Nummer verraten haben, wer das war, ist eigentlich egal. Die Verzinsung läuft aus. Aha. Wovon? Sie haben Geld angelegt. Ich will schon "Wann?" fragen, da lenke ich ein und gebe meine echte Nummer preis. Darüber soll dann alles weitere (und tagsüber) geregelt werden. Auch wenn, inmitten der Stipendiumsfrage, zwischen Bafög-Anträgen und sich häufenden "Ja!"- und "gut&günstig"-Einkäufen die Geldfrage nicht unbedeutend ist, so hätte ich in dem Moment, als ich den Rasierschaum vom Telefon wische, lieber gehabt, dass jemand anruft und sagt "Ich habe da jemanden, der Ihnen hilft, den Workshop im März zu organisieren, und ach ja, die Wohnungsfrage hat sich auch erledigt."
Gehe ab jetzt wieder häufiger dran.
Gehe ab jetzt wieder häufiger dran.
Nov 14, 2009
the happening world
Da steht er, unser Verteidigungsminister, vermutlich in einer Transall mit Ziel Kundus oder Kabul-Militärflughafen. Da steht er, und wir wundern uns, weshalb er so gar nichts mit den Soldaten zu tun zu haben scheint, die um ihn herumsitzen und früher oder später in Afpak ihren Arsch auf's Spiel setzen. Immerhin setzt Mr. In-jeder-Situation-shiny zu Guttenberg es durch, dass von «kriegsähnlichen Zuständen» geredet wird. Anderes lassen die Ausrüstung der Bundeswehrmänner auch nicht vermuten. Dieses Bild liefert mir eine Steilvorlage für die Entfremdung der Politik von der Realität. Es ist das Nachspiel einer um Posten würfelnden Koalitionsrunde. Zu Guttenberg auf dem Time Square war irgendwie komisch, aber hierbei fasse ich mich nur an den Kopf, den leider nie ein Bundeswehrhelm geziert hat.
Nov 12, 2009
Fast Sarajevo XXXV
20. IX
Der Bahnhof von Mostar stand so verlassen und aufgegeben am Rand der Stadt und war so trist und zugewuchert, dass er ebensogut in Pripyat bei Tschernobyl hätte stehen können. Es war kein rauchfreier Bahnhof. Die Beamten, die entlang der Strecke nach Sarajevo standen, mit ihren Holzkellen unter dem Arm, grinsten mich aus ihren gebügelten Uniformen heraus an, als ob sie gerade höchstpersönlich das elektrische Zeitalter eingeläutet hätten.
Der Bahnhof von Mostar stand so verlassen und aufgegeben am Rand der Stadt und war so trist und zugewuchert, dass er ebensogut in Pripyat bei Tschernobyl hätte stehen können. Es war kein rauchfreier Bahnhof. Die Beamten, die entlang der Strecke nach Sarajevo standen, mit ihren Holzkellen unter dem Arm, grinsten mich aus ihren gebügelten Uniformen heraus an, als ob sie gerade höchstpersönlich das elektrische Zeitalter eingeläutet hätten.
Nov 11, 2009
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Gerade im Duden gesehen: «Jahr-2000-fähig»
Was waren das damals noch für Zeiten! Und was für eine miese wörtliche Übersetzung aus dem Englischen!
Was waren das damals noch für Zeiten! Und was für eine miese wörtliche Übersetzung aus dem Englischen!
Nov 8, 2009
Nov 6, 2009
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Yeah, Baby! Gib's mir! Mach's noch einmal!
Yeah, Baby! Gib's mir! Mach's noch einmal!
Yeah, Baby! Gib's mir! Mach's noch einmal!
Yeah, Baby! Gib's mir! Mach's noch einmal!
Yeah, Baby! Gib's mir! Mach's noch einmal!
Yeah, Baby! Gib's mir! Mach's noch einmal!
Yeah, Baby! Gib's mir! Mach's noch einmal!
Yeah, Baby! Gib's mir! Mach's noch einmal!
Yeah, Baby! Gib's mir! Mach's noch einmal!
Yeah, Baby! Gib's mir! Mach's noch einmal!
Drei Sätze, Zehn Wiederholungen.
Gesehen bei Fitness First.
Yeah, Baby! Gib's mir! Mach's noch einmal!
Yeah, Baby! Gib's mir! Mach's noch einmal!
Yeah, Baby! Gib's mir! Mach's noch einmal!
Yeah, Baby! Gib's mir! Mach's noch einmal!
Yeah, Baby! Gib's mir! Mach's noch einmal!
Yeah, Baby! Gib's mir! Mach's noch einmal!
Yeah, Baby! Gib's mir! Mach's noch einmal!
Yeah, Baby! Gib's mir! Mach's noch einmal!
Yeah, Baby! Gib's mir! Mach's noch einmal!
Drei Sätze, Zehn Wiederholungen.
Gesehen bei Fitness First.
Nov 4, 2009
the happening world
«...es fallen 4 Euro Ausweis- und Bearbeitungsgebühren an»
Wer meine Bürokratie- und Geldausgeb-phobie kennt, der dürfte überrascht sein, dass es sich hierbei um eine Empfehlung handeln. Die Veranstaltung hat jetzt bei allen Blogs die Runde gemacht, auch mir wurde sie nun am Telefon wärmstens empfohlen. Schon länger hängt bei uns in der Küche ein «One-Dream»-Schein. Und als Unterhändler wenn nicht der Traumwelt, so zumindest der Traumzeit ist es meine Pflicht, auf die sinnvolle und witzige Abendbeschäftigung am kommenden Wochenende hinzuweisen:
DREAMYOURTOPIA, im Stattbad Wedding / Gerichtstrasse 65. Sa&So von 12pm-02am
Ausgestellt wird der Checkpoint ins Land der Träume, zusammen mit den umständlichen VISA-Dokumenten, die mitzubringen sind, eine Referenz auf Amerika. Gleichzeitig aber auch eine Hommage an den Fall der Berliner Mauer, da die Kunstinstallation in der zweiten Nacht abgerissen werden soll.
Wer meine Bürokratie- und Geldausgeb-phobie kennt, der dürfte überrascht sein, dass es sich hierbei um eine Empfehlung handeln. Die Veranstaltung hat jetzt bei allen Blogs die Runde gemacht, auch mir wurde sie nun am Telefon wärmstens empfohlen. Schon länger hängt bei uns in der Küche ein «One-Dream»-Schein. Und als Unterhändler wenn nicht der Traumwelt, so zumindest der Traumzeit ist es meine Pflicht, auf die sinnvolle und witzige Abendbeschäftigung am kommenden Wochenende hinzuweisen:
DREAMYOURTOPIA, im Stattbad Wedding / Gerichtstrasse 65. Sa&So von 12pm-02am
Ausgestellt wird der Checkpoint ins Land der Träume, zusammen mit den umständlichen VISA-Dokumenten, die mitzubringen sind, eine Referenz auf Amerika. Gleichzeitig aber auch eine Hommage an den Fall der Berliner Mauer, da die Kunstinstallation in der zweiten Nacht abgerissen werden soll.
Nov 2, 2009
Fast Sarajevo XXXIV
Mostar, 19. IX
Ich gehe die ehemalige Frontlinie entlang, die sich links der Neretva durch die Strassen schlängelt. Juli Zeh beschreibt in ihrem Bosnien-Buch, das ich einige Wochen nach meiner Rückkehr lesen sollte, die Szenerie so: «Die Fassaden gucken wie Totenschädel, hohle Augen, grinsend aufgesperrte Mäuler, der Kugelhagel hat ihnen die Gesichter abgeschmiergelt bis auf die porösen Knochen.» Anders als bei ihrem Besuch war es auch bei meinem, acht Jahre später nicht. Vielleicht gehören die zerschossenen Gebäude ebenso zum UNESCO-Weltkulturerbe wie die Stari Most. Als ich mit der kleinen Wanderung durch den Westteil der Stadt fertig war, stieg ich in den Buss 11 und fuhr nach Blagaj, wo es ein Kloster der Derwische aus dem frühen 16.Jhr gab. Ich hatte in Istanbul eines gesehen, in einem mystischen Garten gelegen. Innen war ein runder, hoher Raum gewesen, auf dessen Parkett die Mönche einst ihren Tanz vollführt haben, der sie in Trance versetzte, während auf einer Galerie die Älteren gestanden haben müssen, anerkennend nickend.
Neben dem Tekija-Kloster gab es eine Quelle, die Wasser mit sagenhaften 30 Kubikmetern pro Sekunde aus einer Höhle herausdrückt und einen Fluss entlang schiebt, direkt am Kloster vorbei. Das Wasser dieser Quelle, so nah am Ursprungsort, soll eine reinigende Wirkung auf Körper und Geist haben, hatte mir Adna am Abend zuvor in den bequemen Sofas eines Ali-Baba-artigen Höhlen-Clubs verraten. Ich hatte schon auf dem Weg zum Kloster meine restlichen Zigarette weggeworfen und versprach mir nicht wenig vom Genuss diess Fluids. Hinterher kaufte ich sicherheitshalber doch noch einen Apfel, man kann nie wissen, wieviel Reinigung dieses altertümliche Wasser bei all unseren modernen Sünden wirklich bewirken kann.
Eine Stunde lang wartete ich an der Strasse auf den Bus zurück nach Mostar. Die unerbittliche Sonne war zurück und mit ihr die Hitze. Ich hatte sie vermisst. Eine ältere Frau mit einem angeknautschten Deutsch in einem noch angeknautschteren Polo fuhr mich zurück. Ich kam just in Mostar an und lief auf die Stari Most zu, als einer der Brückenspringer sich auf das Geländer schwang. Ein Kumpane von ihm hatte zuvor um Aufmerksamkeit geheischt und war mit einer dicken Brieftasche herumgegangen. Amra meinte, die Jungs täten es nicht unter 200 Konvertiblen Mark. Der nasse Oberkörper des Springers glänzte in der Nachmittagssonne auf dem höchsten Punkt der Brücke, 23 Meter über der Neretva. Als er sprang, hing sein Körper sekundenlang im Nichts über dem Fluss, das Geräusch des Eintauchens in das herrlich grün-blau schimmernde und sprudelnde Wasser weckte auch bei mir Badegelüste, eine Mischung aus Durst und einem fehlenden Empfinden der Haut.
Das alte, unter österreichischer Herrschaft erbaute Stadtbad war aber geschlossen, auch das Schwimmbecken des Freibads weiter den Fluss hinauf war bereits geleert und glühte in unverbindlichem Azur unter dem kargen Grau der Berge. Ich kaufte stattdessen einige Bier und setzte mich auf den Balkon meines Zimmers mitten hinein in das Grün der Natur, das Rauschen der Bäche und die Takte der darunterliegenden Bar.
Juli Zeh: «Wieviel Stockwerke hat ein elfstöckiges Haus? Antwort: Noch eins.»
Ich gehe die ehemalige Frontlinie entlang, die sich links der Neretva durch die Strassen schlängelt. Juli Zeh beschreibt in ihrem Bosnien-Buch, das ich einige Wochen nach meiner Rückkehr lesen sollte, die Szenerie so: «Die Fassaden gucken wie Totenschädel, hohle Augen, grinsend aufgesperrte Mäuler, der Kugelhagel hat ihnen die Gesichter abgeschmiergelt bis auf die porösen Knochen.» Anders als bei ihrem Besuch war es auch bei meinem, acht Jahre später nicht. Vielleicht gehören die zerschossenen Gebäude ebenso zum UNESCO-Weltkulturerbe wie die Stari Most. Als ich mit der kleinen Wanderung durch den Westteil der Stadt fertig war, stieg ich in den Buss 11 und fuhr nach Blagaj, wo es ein Kloster der Derwische aus dem frühen 16.Jhr gab. Ich hatte in Istanbul eines gesehen, in einem mystischen Garten gelegen. Innen war ein runder, hoher Raum gewesen, auf dessen Parkett die Mönche einst ihren Tanz vollführt haben, der sie in Trance versetzte, während auf einer Galerie die Älteren gestanden haben müssen, anerkennend nickend.
Neben dem Tekija-Kloster gab es eine Quelle, die Wasser mit sagenhaften 30 Kubikmetern pro Sekunde aus einer Höhle herausdrückt und einen Fluss entlang schiebt, direkt am Kloster vorbei. Das Wasser dieser Quelle, so nah am Ursprungsort, soll eine reinigende Wirkung auf Körper und Geist haben, hatte mir Adna am Abend zuvor in den bequemen Sofas eines Ali-Baba-artigen Höhlen-Clubs verraten. Ich hatte schon auf dem Weg zum Kloster meine restlichen Zigarette weggeworfen und versprach mir nicht wenig vom Genuss diess Fluids. Hinterher kaufte ich sicherheitshalber doch noch einen Apfel, man kann nie wissen, wieviel Reinigung dieses altertümliche Wasser bei all unseren modernen Sünden wirklich bewirken kann.
Eine Stunde lang wartete ich an der Strasse auf den Bus zurück nach Mostar. Die unerbittliche Sonne war zurück und mit ihr die Hitze. Ich hatte sie vermisst. Eine ältere Frau mit einem angeknautschten Deutsch in einem noch angeknautschteren Polo fuhr mich zurück. Ich kam just in Mostar an und lief auf die Stari Most zu, als einer der Brückenspringer sich auf das Geländer schwang. Ein Kumpane von ihm hatte zuvor um Aufmerksamkeit geheischt und war mit einer dicken Brieftasche herumgegangen. Amra meinte, die Jungs täten es nicht unter 200 Konvertiblen Mark. Der nasse Oberkörper des Springers glänzte in der Nachmittagssonne auf dem höchsten Punkt der Brücke, 23 Meter über der Neretva. Als er sprang, hing sein Körper sekundenlang im Nichts über dem Fluss, das Geräusch des Eintauchens in das herrlich grün-blau schimmernde und sprudelnde Wasser weckte auch bei mir Badegelüste, eine Mischung aus Durst und einem fehlenden Empfinden der Haut.
Das alte, unter österreichischer Herrschaft erbaute Stadtbad war aber geschlossen, auch das Schwimmbecken des Freibads weiter den Fluss hinauf war bereits geleert und glühte in unverbindlichem Azur unter dem kargen Grau der Berge. Ich kaufte stattdessen einige Bier und setzte mich auf den Balkon meines Zimmers mitten hinein in das Grün der Natur, das Rauschen der Bäche und die Takte der darunterliegenden Bar.
Juli Zeh: «Wieviel Stockwerke hat ein elfstöckiges Haus? Antwort: Noch eins.»
Nov 1, 2009
Oct 30, 2009
the happening world
Das eiskalte Wasser trifft mich wie ein Faustschlag und aktiviert die Bereiche des Gehirns, die ganz hinten liegen. Noch vor einigen Stunden wollte ich die Sveta Sava anschauen gehen, bis mir auf dem Weg eingefallen ist, dass die ja in Belgrad steht, ich aber auf meinem Fahrrad in Berlin sitze. Die Desorientierung hat abgenommen in den letzten Tagen, aber gewisse Bremseffekte bleiben eben. Der Alkohol hier macht nicht wirklich betrunken, nicht so wie das Bier aus Sarajevo, das wir uns im Transit-Zug in 2.5L-Portionen genehmigten. Das Geplauder auf Parties hat nicht diese drängende Wichtigkeit, diese existentielle Note, die wir in Belgrad fanden. Wenn man aus dem Osten in den Westen kommt, wird alles etwas schaler und eindimensionaler, und man fragt sich, wie die Menschen hier mit dem ganzen Sinnverlust überhaupt umgehen.
Erkennt das Gehirn die Zustände vor den eigenen Augen nicht wieder, erfindet es eben Sachen dazu. Nur unter dem eiskalten Wasser, mithilfe seiner hinteren Bereiche, wusste ich wieder, wo ich war: unter einer kalten Dusche an der Schönhauser Allee.
Erkennt das Gehirn die Zustände vor den eigenen Augen nicht wieder, erfindet es eben Sachen dazu. Nur unter dem eiskalten Wasser, mithilfe seiner hinteren Bereiche, wusste ich wieder, wo ich war: unter einer kalten Dusche an der Schönhauser Allee.
Oct 29, 2009
Fast Sarajevo XXXIII
Der Legende nach fürchtete der osmanische Erbauer Mimar Hajrudin (Schüler des Architekten Mimar Sinan) einen Einsturz der waghalsig konstruierten Stari Most sosehr, dass er ihre Fertigstellung aus sicherer Entfernung überwachte, da er angeblich bei einem Kollaps seines Prachtwerks einen Kopf kürzer hätte gemacht werden sollen. Ein Bote überbrachte ihm die Nachricht, dass die Brücke hielt. Woraufhin er allerdings in Richtung Türkei ritt, schwer erkrankte auf der Reise und später starb.
Die Brücke war im Bosnien-Krieg ein beliebtes Ziel. Im November 1993 schliesslich zerstörte ein direkter Treffer aus den Reihen der kroatischen Armee das schöne Bauwerk. Um den Einsturz selbst ranken sich Verschwörungstheorien. Bill Clinton konnte der Wiedererrichtung der Brücke im Jahre 2004 beiwohnen. Die Neukonstruktion, die identisch zur alten Form war, symbolisierte den Aufbau des geschundenen Landes und verband gleichzeitig die beiden ehemaligen Kriegsparteien miteinander - die Kroaten, die vornemlich auf dem linken Ufer siedeln, und die Bosniaken, die rechts wohnen.
Die Brücke war im Bosnien-Krieg ein beliebtes Ziel. Im November 1993 schliesslich zerstörte ein direkter Treffer aus den Reihen der kroatischen Armee das schöne Bauwerk. Um den Einsturz selbst ranken sich Verschwörungstheorien. Bill Clinton konnte der Wiedererrichtung der Brücke im Jahre 2004 beiwohnen. Die Neukonstruktion, die identisch zur alten Form war, symbolisierte den Aufbau des geschundenen Landes und verband gleichzeitig die beiden ehemaligen Kriegsparteien miteinander - die Kroaten, die vornemlich auf dem linken Ufer siedeln, und die Bosniaken, die rechts wohnen.
Oct 28, 2009
Fast Sarajevo XXXII
Mostar - 17.09.
Als wir, von Dubrovnik kommend, das Tal der Neretva gen Norden fuhren, sahen wir Regenwolken, die schwerer waren noch als jene an der Küste. Über Mostar tobte ein Gewitter, die Strassen waren knöchelhohe Planschbecken, das Ampelsystem hatte nach elektrischer Überladung den Geist aufgegeben und blinkte in verständnislosem Orange. Einige alte YUGO-Fabrikate standen ausser Gefecht gesetzt auf den Strassen herum. Selim lekte seinen neuen Fiat zielsicher durch das Chaos mit einer Extrarunde über den Fluss, so dass ich von einer Nachbarbrücke aus die Stari Most sehen konnte - das Wahrzeichen von Mostar und Hercegowina überhaupt. Most-ar: Brücken-Hüterin. Die Stadt ist in das Tal entlang der Neretva gezwängt, an deren steilen Ufern sich unzählige Cafés und Restaurants vor und hinter der Stari Most drängen. Die meisten sind nach den sintflutartigen Regenfällen geschlossen, als ich nachts die Gassen des alten osmanischen Viertels erkunde.
Dubrovnik: Einziger Ort in (okay: vor) der Stadt ohne Touristen.
Bei jeder Grosswetterlage schön anzusehen: Most-ar.
Als wir, von Dubrovnik kommend, das Tal der Neretva gen Norden fuhren, sahen wir Regenwolken, die schwerer waren noch als jene an der Küste. Über Mostar tobte ein Gewitter, die Strassen waren knöchelhohe Planschbecken, das Ampelsystem hatte nach elektrischer Überladung den Geist aufgegeben und blinkte in verständnislosem Orange. Einige alte YUGO-Fabrikate standen ausser Gefecht gesetzt auf den Strassen herum. Selim lekte seinen neuen Fiat zielsicher durch das Chaos mit einer Extrarunde über den Fluss, so dass ich von einer Nachbarbrücke aus die Stari Most sehen konnte - das Wahrzeichen von Mostar und Hercegowina überhaupt. Most-ar: Brücken-Hüterin. Die Stadt ist in das Tal entlang der Neretva gezwängt, an deren steilen Ufern sich unzählige Cafés und Restaurants vor und hinter der Stari Most drängen. Die meisten sind nach den sintflutartigen Regenfällen geschlossen, als ich nachts die Gassen des alten osmanischen Viertels erkunde.
Dubrovnik: Einziger Ort in (okay: vor) der Stadt ohne Touristen.
Bei jeder Grosswetterlage schön anzusehen: Most-ar.
Oct 26, 2009
1 Gedicht/Nacht
Prosa diesmal:
«In meinen Träumen seh ich eine Stadt zum Leben. Wo die Häuser Frisuren tragen aus rostigen Antennen. Wo Eulen in geborstenen Dachstühlen wohnen. Wo laute Musik, Rauchskulpturen und das satte Klicken von Billardkugeln aus den oberen Stockwerken maroder Industrieanlagen dringen. Wo jede Laterne aussieht, als beleuchte sie einen Gefängnishof. Wo man Fahrräder zum Abstellen ins Gebüsch drückt und Wein aus schmutzigen Gläsern trinkt. Wo alle jungen Mädchen die gleiche Jeansjacke tragen und ständig Hand in Hand gehen, als hätten sie Angst. Angst vor den anderen. Vor der Stadt. Vor dem Leben. Dort laufe ich barfuss durch Baustellen und sehe zu, wie mir der Matsch durch die Zehen quillt.»
Juli Zeh - Corpus Delicti
«In meinen Träumen seh ich eine Stadt zum Leben. Wo die Häuser Frisuren tragen aus rostigen Antennen. Wo Eulen in geborstenen Dachstühlen wohnen. Wo laute Musik, Rauchskulpturen und das satte Klicken von Billardkugeln aus den oberen Stockwerken maroder Industrieanlagen dringen. Wo jede Laterne aussieht, als beleuchte sie einen Gefängnishof. Wo man Fahrräder zum Abstellen ins Gebüsch drückt und Wein aus schmutzigen Gläsern trinkt. Wo alle jungen Mädchen die gleiche Jeansjacke tragen und ständig Hand in Hand gehen, als hätten sie Angst. Angst vor den anderen. Vor der Stadt. Vor dem Leben. Dort laufe ich barfuss durch Baustellen und sehe zu, wie mir der Matsch durch die Zehen quillt.»
Juli Zeh - Corpus Delicti
Oct 25, 2009
Bewegte Bilder
Auf die Kritik, dass der Nachrichten- und Echtzeit-Stil nicht über den gesamten Film aufrecht erhalten wurde, kann ich nur mit Kopfschütteln antworten. Wie Fernseh- und Youtube-geschädigt sind denn die Kritiker, wenn sie allen Ernstes 112 Minuten fordern, in denen sich Interview-Einblendungen, Überwachungsvideo und Live-Handkamera abwechseln? Ich empfand es als beruhigend für das Erzähltempo, dass diese Techniken nicht im Übermass eingesetzt wurden. Dem Anfang des Films schadet es vielleicht, weil er etwas langatmig gerät, umso mehr profitiert der Mittelteil davon, der schockiert.
Schon eine halbe Ewigkeit ist es her, dass «District 9», von unkonventionellen Werbemethoden flankiert, in die Kinos kam - electronicdreams gibt nichtsdestotrotz noch über einen Monat später eine uneingeschränkte Anschauempfehlung. Grandioser Hauptdarsteller, politischer Bezug, ungeschminkte Actionszenen und Spannung.
Spielzeiten Berlin
Webseite mit Trailer
«District 9» von Peter Jackson.
Schon eine halbe Ewigkeit ist es her, dass «District 9», von unkonventionellen Werbemethoden flankiert, in die Kinos kam - electronicdreams gibt nichtsdestotrotz noch über einen Monat später eine uneingeschränkte Anschauempfehlung. Grandioser Hauptdarsteller, politischer Bezug, ungeschminkte Actionszenen und Spannung.
Spielzeiten Berlin
Webseite mit Trailer
«District 9» von Peter Jackson.
the happening world
«Krise, welche Krise?» hallt es immer und immer wieder durch die Traumarchitektur in einer Samstagnacht, in der ich umherirre. Die Krise ist in der Traumwelt angekommen, aber sie hat hier keine wirtschaftlichen Indikatoren, durch die sie zum Ausdruck kommen könnte, es gibt keinen Export und keine Industrie, alle Produktion ist materielos und die Seile und Ketten, die die Traumwelt an der richtigen Welt festmachen, sind Einbildungen. Die Zeiger der Traumzeit sind Büschel aus Trollhaaren, die sich in den Traumuhren drehen, vorbei an Ziffern, welche ihren Wert von Stunde zu Stunde ändern. Nein, es gibt keine Krise. «Ja, welche Krise?», frage nun auch ich, als ich mir der Sinnlosigkeit dieses Wortes bewusst werde, ich versuche mir vorzustellen, wie ein ganzes Heer aus Traumkämpfern dieses Refugium gegen die Widrigkeiten einer realen Welt verteidigt, und ich reihe mich ein. «Deine persönliche Krise!» kommt aber schon die Antwort, sie hallt fortan durch alle Gänge, in allen Räumen und Hinterhöfen der Traumarchitektur.
In den Morgenstunden eines Sonntags mischt sich die Erinnerung an die Warnung langsam in das Gefüge der Realwelt, zwischen die Regentropfen und die Dielen am Boden. Langsam und behutsam dringt der Hinweis in diesen Raum ein, legt sich auf die hölzernen Tatsachen (die Exporte stabilisieren sich) wie der Kaffee, der durch den Milchschaum fliesst und auf der Milchschicht am Boden des Glases zu Liegen kommt. Die persönliche Krise ist butterweich eingepackt zwischen warmer Sojamilch und dem Schaum darüber.
In den Morgenstunden eines Sonntags mischt sich die Erinnerung an die Warnung langsam in das Gefüge der Realwelt, zwischen die Regentropfen und die Dielen am Boden. Langsam und behutsam dringt der Hinweis in diesen Raum ein, legt sich auf die hölzernen Tatsachen (die Exporte stabilisieren sich) wie der Kaffee, der durch den Milchschaum fliesst und auf der Milchschicht am Boden des Glases zu Liegen kommt. Die persönliche Krise ist butterweich eingepackt zwischen warmer Sojamilch und dem Schaum darüber.
Oct 23, 2009
1 Gedicht/Nacht
Der Radwechsel
Ich sitze am Straßenhang.
Der Fahrer wechselt das Rad.
Ich bin nicht gern, wo ich herkomme.
Ich bin nicht gern, wo ich hinfahre.
Warum sehe ich den Radwechsel
mit Ungeduld?
Bertolt Brecht
Ich sitze am Straßenhang.
Der Fahrer wechselt das Rad.
Ich bin nicht gern, wo ich herkomme.
Ich bin nicht gern, wo ich hinfahre.
Warum sehe ich den Radwechsel
mit Ungeduld?
Bertolt Brecht
Oct 21, 2009
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Späte Bilderschau, Montenegro.
Auf den Taschentuch-grossen Plätzen von Kotor lässt sich nicht anständig fotographieren:
Die Bucht von Kotor - von Tivat aus besehen sieht sie zart aus, friedlich und undramatisch. Aber auch hier erreichten uns die plötzlichen Schauer und die Wolken, die weiter rechts (nach Kotor hin) noch weitaus wagnerianischer wirkten.
Schwarze Seen inmitten der dunklen Berge: Crno Jezero, ein kleiner Fussmarsch entfernt von Žabljak.
Regnet es, regnet es nicht? Ähnlich wie in Berlin murmelte ich oft «Das zieht vorbei» vor mich hin - "Regenklamotten" hatte ich ohnehin schon am Leib, und im Gebirge gab es vereinzelte Hütten, Sommerschlafstätten der Schäfer. Sicherer konnte ich vor dem Regen nicht mehr sein.
Ade, Welt! Letzter Blick zurück auf das «Häusermeer» von Žabljak, dann noch eine halbe Stunde Marsch den Berg hinauf, wo es schönere Ausblicke gibt - ohne Häuser, nur mit Grün und Schafen.
Kanjon Tare, Schmuckstück von Durmitors Norden und gleichzeitig so etwas wie seine obere Begrenzung. Hier ging ich nicht weiter - es waren 1300 Höhenmeter bis dort unten und vier Stunden bis nach Hause, wo ich vor der absoluten Dunkelheit sein wollte.
Durmitor - die dunklen Berge in ihrem Normalzustand.
Auf den Taschentuch-grossen Plätzen von Kotor lässt sich nicht anständig fotographieren:
Die Bucht von Kotor - von Tivat aus besehen sieht sie zart aus, friedlich und undramatisch. Aber auch hier erreichten uns die plötzlichen Schauer und die Wolken, die weiter rechts (nach Kotor hin) noch weitaus wagnerianischer wirkten.
Schwarze Seen inmitten der dunklen Berge: Crno Jezero, ein kleiner Fussmarsch entfernt von Žabljak.
Regnet es, regnet es nicht? Ähnlich wie in Berlin murmelte ich oft «Das zieht vorbei» vor mich hin - "Regenklamotten" hatte ich ohnehin schon am Leib, und im Gebirge gab es vereinzelte Hütten, Sommerschlafstätten der Schäfer. Sicherer konnte ich vor dem Regen nicht mehr sein.
Ade, Welt! Letzter Blick zurück auf das «Häusermeer» von Žabljak, dann noch eine halbe Stunde Marsch den Berg hinauf, wo es schönere Ausblicke gibt - ohne Häuser, nur mit Grün und Schafen.
Kanjon Tare, Schmuckstück von Durmitors Norden und gleichzeitig so etwas wie seine obere Begrenzung. Hier ging ich nicht weiter - es waren 1300 Höhenmeter bis dort unten und vier Stunden bis nach Hause, wo ich vor der absoluten Dunkelheit sein wollte.
Durmitor - die dunklen Berge in ihrem Normalzustand.
the happening world
Ist das schlechte Gewissen (oder das, was davon noch übrig ist) erst einmal überwunden, kauft es sich ganz ungeniert. Mein liebstes Bosnien-Buch ist irgendwie verschwunden, also wird es flugs nocheinmal bestellt. Wenn ich schon dabei bin, denke ich. Bei den historischen Romanen werde ich fündig. Auf dem Rückweg zur Kasse bleibt erst mein Auge, dann auch meine noch freie Hand an einem Exemplar von Zehs neuem Buch hängen. Wenn ich schonmal dabei bin, seufze ich, zahlen tu ich aber erst, wenn auch der Jergovic da ist, seit einiger Zeit empfinde ich das Geräusch, mit dem meine Karte durch dieses Lesegerät gezogen wird, als immer schlimmer, es ist schon etwas richtig Physisches geworden, ich schaudere dabei und fühle mich nicht mehr um den Betrag «erleichtert», sondern «gebracht». Nachdem ich gesellschaftlich wieder heruntergestuft wurde und nurmehr Student bin, lassen die Gefühlswirren des Prekariats nicht lange auf sich warten. Und inmitten dieser finanziellen Undefiniertheit kommen Bücherrechnungen wie ein fetter Kloss im Hals daher - eigentlich sollte ich das nicht machen, aber irgendwie brauch' ich diese Lektüre.
Wo doch im Buchladen sowenig Poetisches lauert, hier eine andere Auswahl.
«Once you been dancing with the devil
and now you're the devil yourself
and all of a sudden you will end up
like a book, in a shelf.»
-slut/600
«Es war September. Ein Falter hatte sich auf mein Augenlid gesetzt; er hatte sich in die Bewegung der Wimper verliebt. Zeitgleich mit dem Öffnen und Schliessen des Auges schlug er seine Flügel.
Ich komme nur ganz kurz hierher. Berge und Wolken, Vögel sind dort. Ich sehe sie nicht.
Meine Augen sind geschlossen, geschlossen.
Ich komme nur ganz kurz hierher. Es gibt keine Augenlider. Berge und Wolken, Vögel sind dort. Ich höre sie.
Ich bin an diesem Ort verloren.»
-Kracht/Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten
Wo doch im Buchladen sowenig Poetisches lauert, hier eine andere Auswahl.
«Once you been dancing with the devil
and now you're the devil yourself
and all of a sudden you will end up
like a book, in a shelf.»
-slut/600
«Es war September. Ein Falter hatte sich auf mein Augenlid gesetzt; er hatte sich in die Bewegung der Wimper verliebt. Zeitgleich mit dem Öffnen und Schliessen des Auges schlug er seine Flügel.
Ich komme nur ganz kurz hierher. Berge und Wolken, Vögel sind dort. Ich sehe sie nicht.
Meine Augen sind geschlossen, geschlossen.
Ich komme nur ganz kurz hierher. Es gibt keine Augenlider. Berge und Wolken, Vögel sind dort. Ich höre sie.
Ich bin an diesem Ort verloren.»
-Kracht/Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten
Oct 18, 2009
1 Gedicht/Nacht
Herbst
Die Blätter fallen, fallen wie von weit,
als welkten in den Himmeln ferne Gärten;
sie fallen mit verneinender Gebärde.
Und in den Nächten fällt die schwere Erde
aus allen Sternen in die Einsamkeit.
Wir alle fallen. Diese Hand da fällt.
Und sieh dir andre an: es ist in allen.
Und doch ist Einer, welcher dieses Fallen
unendlich sanft in seinen Händen hält.
Rilke.
Die Blätter fallen, fallen wie von weit,
als welkten in den Himmeln ferne Gärten;
sie fallen mit verneinender Gebärde.
Und in den Nächten fällt die schwere Erde
aus allen Sternen in die Einsamkeit.
Wir alle fallen. Diese Hand da fällt.
Und sieh dir andre an: es ist in allen.
Und doch ist Einer, welcher dieses Fallen
unendlich sanft in seinen Händen hält.
Rilke.
Oct 16, 2009
Fast Sarajevo XXXI
Ich stand in Herceg Novi am Busbahnhof und überlegte, ob ich hier, im touristischen Moloch, nächtigen sollte, oder in Dubrovnik. Ich entschied mich für Dubrovnik.
Diese Stadt ist eine durchindustrialisierte Feriensiedlung, mit Glastüren-Entrées und Lobbies mit Wifi. Dabei ist die Anfahrt von Süden so schön: Erst schwebt man auf der Küstenstrasse über der alten Stadt, erhascht ein, zwei lange Blicke auf die Bucht und die unifarbenen Häuser. Dann taucht man hinab an der Altstadt vorbei durch den Berg und erblickt links die neue Stadt auf der Lapai-Halbinsel, mit dem vorgelagerten Hafen, in dem grosse Kreuzfahrtschiffe ankern. Kurz vor der extrem stylischen Hängebrücke biegt man recht ab, bekommt eine andere, ruhigere Bucht zu Gesicht, um dann schliesslich, auf Meereshöhe, eine weitere, unmögliche Kehrtwende durchzuführen, die einen nach einem weiteren Schlenker in den hässlichen Busbahnhof neben dem Hafen bringt. Das Hostel, in einer Seitenstrasse mittig auf der Halbinsel gelegen, war das teuerste, das ich je von innen gesehen habe. Der «welcome drink», extra angepriesen, war ein einfacher Pflaumenrakija, den es in jedem anständigen albanischen oder serbischen Haushalt anstandslos zur Begrüssung, zum Abschied oder einfach so gibt. Er half mir, den Preis pro Nacht zu verdauen. Auf der Terrasse lümmelte eine kleine Gruppe von Männern mit schwerem englischen Akzent vor ihren Laptops. Das war es also, wonach ich mich in der Einsamkeit der Bergwelt Montenegros gesehnt hatte: ein tolles Hostel mit netten Gästen! Aber so war es eben, das Backpackerleben: In jeder etwas zu besiedelten Ecke sehnt man sich nach dem Charme des Rustikalen.
Die Fussgängerzone, die ich alsbald erkundete, bot nur schicke Restaurants mit Hollywoodschaukeln. «Wann kommen hier die qualmigen Bruchbuden, in denen köstliches Grillfleisch und kühles Bier angeboten werden?» - sie kamen nicht. Stattdessen kam ein 1-Meter schmaler Streifen Kiesstrand, der mir im Hostel als Badestrand verkauft worden war. Das gesamte Ufer säumten Restaurants mit ihren Terrassen, von denen einige schon geschlossen waren - die Saison war vorüber - was den mageren Strand besonders trist erscheinen liess. Ich mochte Dubrovnik einfach nicht, aber woher kam meine schlechte Laune? Lag es am Wetterwechsel, den Preisen, oder einfach am Buslag?
Der Hostelbesitzer vergass nicht zu erwähnen, dass diese Stadt jahrhundertelang den Türken widerstanden hatte, während die Serben in Kossovo kollektiv gefallen waren. Dubrovnik mag eine beeindruckende Handelsmacht gewesen sein damals, auf einer Halbinsel mit nicht einmal einem Kilometer Länge. Um die Türken fernzuhalten, hatte Dubrovnik mit aufwendigen Gesandtschaften eine Menge Tribut gezahlt.
Diese Stadt ist eine durchindustrialisierte Feriensiedlung, mit Glastüren-Entrées und Lobbies mit Wifi. Dabei ist die Anfahrt von Süden so schön: Erst schwebt man auf der Küstenstrasse über der alten Stadt, erhascht ein, zwei lange Blicke auf die Bucht und die unifarbenen Häuser. Dann taucht man hinab an der Altstadt vorbei durch den Berg und erblickt links die neue Stadt auf der Lapai-Halbinsel, mit dem vorgelagerten Hafen, in dem grosse Kreuzfahrtschiffe ankern. Kurz vor der extrem stylischen Hängebrücke biegt man recht ab, bekommt eine andere, ruhigere Bucht zu Gesicht, um dann schliesslich, auf Meereshöhe, eine weitere, unmögliche Kehrtwende durchzuführen, die einen nach einem weiteren Schlenker in den hässlichen Busbahnhof neben dem Hafen bringt. Das Hostel, in einer Seitenstrasse mittig auf der Halbinsel gelegen, war das teuerste, das ich je von innen gesehen habe. Der «welcome drink», extra angepriesen, war ein einfacher Pflaumenrakija, den es in jedem anständigen albanischen oder serbischen Haushalt anstandslos zur Begrüssung, zum Abschied oder einfach so gibt. Er half mir, den Preis pro Nacht zu verdauen. Auf der Terrasse lümmelte eine kleine Gruppe von Männern mit schwerem englischen Akzent vor ihren Laptops. Das war es also, wonach ich mich in der Einsamkeit der Bergwelt Montenegros gesehnt hatte: ein tolles Hostel mit netten Gästen! Aber so war es eben, das Backpackerleben: In jeder etwas zu besiedelten Ecke sehnt man sich nach dem Charme des Rustikalen.
Die Fussgängerzone, die ich alsbald erkundete, bot nur schicke Restaurants mit Hollywoodschaukeln. «Wann kommen hier die qualmigen Bruchbuden, in denen köstliches Grillfleisch und kühles Bier angeboten werden?» - sie kamen nicht. Stattdessen kam ein 1-Meter schmaler Streifen Kiesstrand, der mir im Hostel als Badestrand verkauft worden war. Das gesamte Ufer säumten Restaurants mit ihren Terrassen, von denen einige schon geschlossen waren - die Saison war vorüber - was den mageren Strand besonders trist erscheinen liess. Ich mochte Dubrovnik einfach nicht, aber woher kam meine schlechte Laune? Lag es am Wetterwechsel, den Preisen, oder einfach am Buslag?
Der Hostelbesitzer vergass nicht zu erwähnen, dass diese Stadt jahrhundertelang den Türken widerstanden hatte, während die Serben in Kossovo kollektiv gefallen waren. Dubrovnik mag eine beeindruckende Handelsmacht gewesen sein damals, auf einer Halbinsel mit nicht einmal einem Kilometer Länge. Um die Türken fernzuhalten, hatte Dubrovnik mit aufwendigen Gesandtschaften eine Menge Tribut gezahlt.
Oct 14, 2009
Wir studieren wieder
Nach einigem Hin und Her dann doch eingeschrieben und gleich die ersten Tage Uni verpasst, weil ich noch in Polen war. Jetzt ist die grosse Frage: Wie geht es weiter? Und wo muss ich morgen eigentlich hin? Die Vorlesungen, nach denen ich mich jetzt, nach einem Jahr der industriellen Arbeit, wieder sehne, sind im Netz der FU nicht so einfach zu verorten wie noch in Zürich. Die schattenhafte Institution in Dahlem, für die ich mich ja gänzlich aus einem Bauchgefühl heraus entschieden habe, liegt noch etwas im Nebel, erscheint aber schon sympathisch. Ganz unprätentiös heisst es hier:
«Die eigentliche Studiensituation ist leider ein wenig kompliziert.»
Weiter erfahre ich aber:
«Eigentlich wäre es also hohe Zeit, die Ordnungen an die aktuelle Entwicklung anzupassen, nur sehen wir in der augenblicklichen Großwetterlage noch nicht, wie wir Ihnen dabei ein Studienangebot erhalten können, was so attraktiv ist wie unser derzeitiges. Inzwischen gibt es nämlich vom Grundsatz sicher löbliche, in der Umsetzung in unseren Augen jedoch überbürokratisierte Bestrebungen zur Vereinheitlichung der Studiengänge. Sich daraus ergebene Probleme, von denen man schmerzlich oft in den Zeitungen lesen kann, wollen wir nicht zwangsweise an Sie durchreichen und halten deshalb im Augenblick noch an unserem Studiengang fest, der ohne Probleme funktioniert.»
Es sieht ja geradezu so aus, dass ich an eine der letzten menschlichen Inseln im akademischen Meer geraten bin.
«Die eigentliche Studiensituation ist leider ein wenig kompliziert.»
Weiter erfahre ich aber:
«Eigentlich wäre es also hohe Zeit, die Ordnungen an die aktuelle Entwicklung anzupassen, nur sehen wir in der augenblicklichen Großwetterlage noch nicht, wie wir Ihnen dabei ein Studienangebot erhalten können, was so attraktiv ist wie unser derzeitiges. Inzwischen gibt es nämlich vom Grundsatz sicher löbliche, in der Umsetzung in unseren Augen jedoch überbürokratisierte Bestrebungen zur Vereinheitlichung der Studiengänge. Sich daraus ergebene Probleme, von denen man schmerzlich oft in den Zeitungen lesen kann, wollen wir nicht zwangsweise an Sie durchreichen und halten deshalb im Augenblick noch an unserem Studiengang fest, der ohne Probleme funktioniert.»
Es sieht ja geradezu so aus, dass ich an eine der letzten menschlichen Inseln im akademischen Meer geraten bin.
Oct 13, 2009
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Späte Bilderschau, Albanien:
Tirana - meine grosse Liebe am kleinen Fluss.
Gjirokastra - meine grosse Liebe im trockenen Hochtal.
«Wir wurden zwar erobert, DIE hier haben wir aber erbeutet: Deutsche Geschütze zur rechten, italienische zur linken.»
Tirana - meine grosse Liebe am kleinen Fluss.
Gjirokastra - meine grosse Liebe im trockenen Hochtal.
«Wir wurden zwar erobert, DIE hier haben wir aber erbeutet: Deutsche Geschütze zur rechten, italienische zur linken.»
Fast Sarajevo XXX
Der Minibus schaffte die Strecke Zablak-Herceg Novi in rekordverdächtigen fünf Stunden, inklusive Fahrzeugwechsel und Tanken. Wir waren morgens um sechs losgefahren, als das Dunkel um meine einsame Hütte vollkommen war, die Kälte nass und die kleine Busstation das einzige Licht, auf das ich durch den Wald und über die Felder hin zustolperte. Bei der Abfahrt tränten uns die Augen, aber wohl weniger wegen Wehmut denn wegen dem teuflichen Gequalme in dem kleinen Fahrzeug. Auf Bergstrecken schien Rauchen noch mehr angesagt zu sein als ohnehin schon, ich hatte aber eben erfolgreich einige rauchfreie Tage hinter mir und wollte noch bis Bosnien mit dem Wiederanfangen warten.
Oct 12, 2009
Oct 10, 2009
1 Gedicht/Nacht
Worte
Man hatte uns Worte vorgesprochen, die von nackter Schönheit und Ahnung und zitterndem Verlangen übergiengen.
Wir nahmen sie, behutsam wie fremdländische Blumen, die wir in unsrer Knabenheimlichkeit aufhiengen.
Sie versprachen Sturm und Abenteuer, Überschwang und Gefahren und todgeweihte Schwüre -
Tag um Tag standen wir und warteten, daß ihr Abenteuer uns entführe.
Aber Wochen liefen kahl und spurlos, und nichts wollte sich melden, unsre Leere fortzutragen.
Und langsam begannen die bunten Worte zu entblättern. Wir lernten sie ohne Herzklopfen sagen.
Und die noch farbig waren, hatten sich von Alltag und allem Erdwohnen geschieden:
Sie lebten irgendwo verzaubert auf paradiesischen Inseln in einem märchenblauen Frieden.
Wir wußten: sie waren unerreichbar wie die weißen Wolken, die sich über unserm Knabenhimmel vereinten,
Aber an manchen Abenden geschah es, daß wir heimlich und sehnsüchtig ihrer verhallenden Musik nachweinten.
Ernst Stadler, 1914.
Gelesene Version: «Deutschlands Rohstoffzukunft liegt in der Poesie»
Man hatte uns Worte vorgesprochen, die von nackter Schönheit und Ahnung und zitterndem Verlangen übergiengen.
Wir nahmen sie, behutsam wie fremdländische Blumen, die wir in unsrer Knabenheimlichkeit aufhiengen.
Sie versprachen Sturm und Abenteuer, Überschwang und Gefahren und todgeweihte Schwüre -
Tag um Tag standen wir und warteten, daß ihr Abenteuer uns entführe.
Aber Wochen liefen kahl und spurlos, und nichts wollte sich melden, unsre Leere fortzutragen.
Und langsam begannen die bunten Worte zu entblättern. Wir lernten sie ohne Herzklopfen sagen.
Und die noch farbig waren, hatten sich von Alltag und allem Erdwohnen geschieden:
Sie lebten irgendwo verzaubert auf paradiesischen Inseln in einem märchenblauen Frieden.
Wir wußten: sie waren unerreichbar wie die weißen Wolken, die sich über unserm Knabenhimmel vereinten,
Aber an manchen Abenden geschah es, daß wir heimlich und sehnsüchtig ihrer verhallenden Musik nachweinten.
Ernst Stadler, 1914.
Gelesene Version: «Deutschlands Rohstoffzukunft liegt in der Poesie»
the happening world
Vor kurzem mal wieder von einer Welt geträumt, in der Stille herrscht und die Menschen allesamt bedächtig und rücksichtsvoll sind und sich ausschliesslich auf substantielle Weise äussern. Eine ruhige Welt, in der das Wort, oder das Geschriebene, tatsächlich einen Wert hat, in der Respekt vor Äusserungen existiert, und Achtsamkeit in persönlichen, politischen, ökologischen Dingen. Wenn es keine Möglichkeit gibt, akustische Verschmutzung zu betreiben, vielleicht fällt einem dann übermässige Emission im Allgemeinen schwer. Eine solche Welt wurde schon an anderer Stelle als Tagtraum imaginiert, auch wenn sie dort eine industriell erzeugte Note trägt, die in meinem Gefüge aus synaptischen Erfindungen naturgemäss keinen Platz hat. Schweigen ist wertvoll. Vielleicht wäre die Welt plötzlich sehr viel reicher, wenn alle schwiegen.
Fast Sarajevo XXIX
Es war spät, als ich in dem kleinen Dorf ankam und die Pension das einzige Haus, in dem noch Licht brannte. Kein Zimmer war mehr frei, aber die Wirtin bedeutete mir, dass ich im Schankraum nächtigen könnte. Sechs, sieben ältere Männer sassen um einen runden Tisch in der Mitte des Saales herum, vor ihnen eine Ansammlung von leeren Tocéno-Flaschen und Gläsern mit Rakija-Pfützen. Ich versuchte, die Dauer ihres Gelages an der Anzahl Fingerabdrücke auf den Gläsern abzuschätzen, der Tisch, die Gläser und die Menschen aber verschwammen mehr und mehr vor meinen Augen, im Schrankraum hing Tabakrauch in dicken Schwaden. Die Männer schauten mit verquollenen Augen zu mir herüber, als ich meine Schlafstatt in einer Ecke einrichtete. Einer von ihnen brachte von der Theke ein frisches Glas mit Rakija zu mir herüber und bot mir eine Drina-Zigarette an. Schläfern nahm ich beides entgegen. Der Dielenboden war eine harte Unterlage, aber ich erwartete den Schlaf sehnsüchtig.
Später in der Nacht wurde ich unsaft geweckt. Es war die Wirtin. Meine Reisebegleiter seien eingetroffen, verkündete sie unwirsch. Hinter ihr, im schwachen Schein der Wandlampen, standen Allan und Seth. Ausser uns war niemand mehr im Saal. Die beiden mussten mächtig Radau gemacht haben, um die Alte aus dem Bett zu kriegen.
Wir müssten mit der Markierung der Wanderwege in der Region fortfahren, teilten sie mir mit ernsten Gesichtern mit. Ob ich denn unsere Verabredung vergessen habe? Natürlich nicht, log ich, ich hätte nur verschlafen wegen der anstrengenden Tage zuvor, in Albanien. Mein Körper war so hart wie die Dielenbretter. Hastig packte ich alles zusammen und schulterte meinen Rucksack. Draussen vor der Tür verschluckte uns die eisige Schwärze der bosnischen Nacht.
Allan musste mittlerweile eine Koryphäe auf dem Gebiet der Wanderweg-Markierungstechnik sein, dachte ich, dass man ihn bereits in anderen Ländern anforderte, noch dazu mitten in der Nacht. Wie wir in dieser Dunkelheit den Weg finden, geschweige denn markieren sollten, war mir ohnehin ein Rätsel. Diese Albaner, dachte ich, völlig unrealistisch in ihrer Einschätzung und unüberlegt in der Durchführung. Mein Rucksack wog schwer auf meinem gebeugten Rücken, aber auch meine Kameraden hatten schwer zu schleppen, wie ich jäh erkannte. Sie hatten riesige Schlaufen von Seil umgebunden, Haken zum Klettern baumelten von ihren Rucksäcken, Allan trug darüber hinaus noch ein Zelt unter dem Arm.
-der bosnische Traum/Zablak.
Später in der Nacht wurde ich unsaft geweckt. Es war die Wirtin. Meine Reisebegleiter seien eingetroffen, verkündete sie unwirsch. Hinter ihr, im schwachen Schein der Wandlampen, standen Allan und Seth. Ausser uns war niemand mehr im Saal. Die beiden mussten mächtig Radau gemacht haben, um die Alte aus dem Bett zu kriegen.
Wir müssten mit der Markierung der Wanderwege in der Region fortfahren, teilten sie mir mit ernsten Gesichtern mit. Ob ich denn unsere Verabredung vergessen habe? Natürlich nicht, log ich, ich hätte nur verschlafen wegen der anstrengenden Tage zuvor, in Albanien. Mein Körper war so hart wie die Dielenbretter. Hastig packte ich alles zusammen und schulterte meinen Rucksack. Draussen vor der Tür verschluckte uns die eisige Schwärze der bosnischen Nacht.
Allan musste mittlerweile eine Koryphäe auf dem Gebiet der Wanderweg-Markierungstechnik sein, dachte ich, dass man ihn bereits in anderen Ländern anforderte, noch dazu mitten in der Nacht. Wie wir in dieser Dunkelheit den Weg finden, geschweige denn markieren sollten, war mir ohnehin ein Rätsel. Diese Albaner, dachte ich, völlig unrealistisch in ihrer Einschätzung und unüberlegt in der Durchführung. Mein Rucksack wog schwer auf meinem gebeugten Rücken, aber auch meine Kameraden hatten schwer zu schleppen, wie ich jäh erkannte. Sie hatten riesige Schlaufen von Seil umgebunden, Haken zum Klettern baumelten von ihren Rucksäcken, Allan trug darüber hinaus noch ein Zelt unter dem Arm.
-der bosnische Traum/Zablak.
Oct 9, 2009
Fast Sarajevo XXVIII
Zablak, Durmitor: 16. IX
In der kleinen Hütte, in der ich mich für fünf Nächte einquartiert hatte, gab es genug Platz, um von der Tür aus nach links oder rechts auf eines der beiden Betten zu fallen. Zwischen den Betten war etwas Stauraum für den Rucksack. Hinunter in den Ort war es ein halbstündiger Marsch, Zablak erinnerte mich an ein kleines Skidörfchen, dabei war es noch nicht einmal echter Herbst und das finstere Durmitormassiv ganz ohne Schnee. Um meine Hütte herum gab es nichts, was auf eine Zivilisation hingedeutet hätte, hier endlich war ich ganz alleine inmitten des gelb-grün-blau-grauen Hochlandes von Montenegro. Monte-negro – die schwarzen Berge. Sie zu sehen, dafür war ich hergekommen, mich von ihrem Anblick einlullen zu lassen, und von den bewaldeten Weiten, über denen die Wolken so tief hingen, dass sie gegen die steilen Berghänge klatschten und dort wie festgezurrt verharrten.
Der Sternenhimmel hier besass den überwältigenden Reichtum, den man leicht vergisst, wenn man sein Leben sonst in den überbelichteten Städten verbringt. Morgens fand ich mich einmal von einer Schafherde eingeschlossen, deren weisse und schwarze Teilnehmer sich zum Schlafen um meine Hütte drapiert hatten. Ich unternahm lange Wanderungen hinauf in die Berge, durch die waldgesäumten Ebenen und an den Rand der nahegelegenen Schlucht, die beinahe so tief ist wie der Grand Canyon. Mit meiner löchrigen Jeans, meiner orangenen Stofftasche, die vielfach als «Omabeutel» bezeichnet worden war (und bei Gästen in Cafés und Restaurants regelmässig verhaltenes Gelächter hervorrief, wenn ich mit ihr vorbeilief), dem H&M-Überwurf, der kaum als Regenjacke bezeichnet werden kann und der Einkaufstüte des Supermarkts, in der mein Proviant steckte, muss ich ein ziemlicher Anblick gewesen sein. Hier im Hochland kam der Regen, den ich am Meer schon erahnt hatte; mal nieselte es und mal schüttete es in Strömen, so dass ich abends oft in meine Hütte flüchtete und dort unter dem ohrenbetäubenden Lärm der Tropfen schlief und träumte.
In der kleinen Hütte, in der ich mich für fünf Nächte einquartiert hatte, gab es genug Platz, um von der Tür aus nach links oder rechts auf eines der beiden Betten zu fallen. Zwischen den Betten war etwas Stauraum für den Rucksack. Hinunter in den Ort war es ein halbstündiger Marsch, Zablak erinnerte mich an ein kleines Skidörfchen, dabei war es noch nicht einmal echter Herbst und das finstere Durmitormassiv ganz ohne Schnee. Um meine Hütte herum gab es nichts, was auf eine Zivilisation hingedeutet hätte, hier endlich war ich ganz alleine inmitten des gelb-grün-blau-grauen Hochlandes von Montenegro. Monte-negro – die schwarzen Berge. Sie zu sehen, dafür war ich hergekommen, mich von ihrem Anblick einlullen zu lassen, und von den bewaldeten Weiten, über denen die Wolken so tief hingen, dass sie gegen die steilen Berghänge klatschten und dort wie festgezurrt verharrten.
Der Sternenhimmel hier besass den überwältigenden Reichtum, den man leicht vergisst, wenn man sein Leben sonst in den überbelichteten Städten verbringt. Morgens fand ich mich einmal von einer Schafherde eingeschlossen, deren weisse und schwarze Teilnehmer sich zum Schlafen um meine Hütte drapiert hatten. Ich unternahm lange Wanderungen hinauf in die Berge, durch die waldgesäumten Ebenen und an den Rand der nahegelegenen Schlucht, die beinahe so tief ist wie der Grand Canyon. Mit meiner löchrigen Jeans, meiner orangenen Stofftasche, die vielfach als «Omabeutel» bezeichnet worden war (und bei Gästen in Cafés und Restaurants regelmässig verhaltenes Gelächter hervorrief, wenn ich mit ihr vorbeilief), dem H&M-Überwurf, der kaum als Regenjacke bezeichnet werden kann und der Einkaufstüte des Supermarkts, in der mein Proviant steckte, muss ich ein ziemlicher Anblick gewesen sein. Hier im Hochland kam der Regen, den ich am Meer schon erahnt hatte; mal nieselte es und mal schüttete es in Strömen, so dass ich abends oft in meine Hütte flüchtete und dort unter dem ohrenbetäubenden Lärm der Tropfen schlief und träumte.
Oct 7, 2009
the happening world
Der Regen kam dann doch noch. Es kann ja nicht angehen, dass ein voller Tag ganz ohne ihn vergeht. Die Stunden zuvor, im warmen Kinosaal, trugen aber dazu bei, dass ich ganz ohne Vorbehalte durch das Nass nach Hause fuhr.
Die Lesung am Montagabend war mein Eintritt zurück in die lasterhafte Welt Berlins, mit Berliner Bier, französischen Zigaretten, deutscher Kultur. Juli Zeh, die bei einem der Bosnien-Projekte des Zentrums für Politische Schönheit Mitunterzeichnerin gewesen war, las aus ihrem neusten Buch «Corpus Delicti». Das Ganze wurde vertont von Slut. Als wir aber dort sassen, in den vertrauten Sitzreihen des Babylons am Rosa-Luxemburg-Platz, präsentierte sich uns das Ganze nicht als wohlgeordnete Struktur von Literatur und Musik, sondern als ohrenbetäubende, ja die Sinne betäubende Mischung von Theater, Drama und dystopischer Erzählung. Die Visuals, welche sich anfangs noch brav an die ihnen zugewiesenen Leinwand-Flächen hielten, füllten alsbald die gesamte Bühne aus, wuchsen, formten sich zu Bildschauen der fiktiven Darsteller der Geschichte aus, um dann wieder zurückzusinken in komplexe Aberrationen, nur um wenig später im Verlauf gebündelt als wachsweisse Figur auf einem Leintuch zu erscheinen, das einer der Musiker vor sich aufspannte. Juli Zeh, als Charakter ihres eigenen Buches, redete mit dieser Figur aus Licht, die sich bewegte und den Kopf neigte, umrundete sie und liess sie so Wirklichkeit werden. Die Musik von Slut, die ich in nicht allzu grauer Vorzeit ja als zu simpel und zu hart (If I had a heart) wahrgenommen hatte, erschien hier vollkommen verwandelt. Sie war elektronisch, tiefer, aber auch intensiver geworden, eindringlich summten, quäkten und hämmerten die synthetischen Grundzüge dieses Konstrukts aus Schall (so auch der Titel des Albums von Slut: Die Schallnovelle) uns entgegen, auf denen sich dann Gitarren, Handorgeln, Keyboard, Schlagzeug und nicht zuletzt der wunderbare Gesang stapelten. Hören! Alle weiteren Termine auf Sluts myspace.
Die Lesung am Montagabend war mein Eintritt zurück in die lasterhafte Welt Berlins, mit Berliner Bier, französischen Zigaretten, deutscher Kultur. Juli Zeh, die bei einem der Bosnien-Projekte des Zentrums für Politische Schönheit Mitunterzeichnerin gewesen war, las aus ihrem neusten Buch «Corpus Delicti». Das Ganze wurde vertont von Slut. Als wir aber dort sassen, in den vertrauten Sitzreihen des Babylons am Rosa-Luxemburg-Platz, präsentierte sich uns das Ganze nicht als wohlgeordnete Struktur von Literatur und Musik, sondern als ohrenbetäubende, ja die Sinne betäubende Mischung von Theater, Drama und dystopischer Erzählung. Die Visuals, welche sich anfangs noch brav an die ihnen zugewiesenen Leinwand-Flächen hielten, füllten alsbald die gesamte Bühne aus, wuchsen, formten sich zu Bildschauen der fiktiven Darsteller der Geschichte aus, um dann wieder zurückzusinken in komplexe Aberrationen, nur um wenig später im Verlauf gebündelt als wachsweisse Figur auf einem Leintuch zu erscheinen, das einer der Musiker vor sich aufspannte. Juli Zeh, als Charakter ihres eigenen Buches, redete mit dieser Figur aus Licht, die sich bewegte und den Kopf neigte, umrundete sie und liess sie so Wirklichkeit werden. Die Musik von Slut, die ich in nicht allzu grauer Vorzeit ja als zu simpel und zu hart (If I had a heart) wahrgenommen hatte, erschien hier vollkommen verwandelt. Sie war elektronisch, tiefer, aber auch intensiver geworden, eindringlich summten, quäkten und hämmerten die synthetischen Grundzüge dieses Konstrukts aus Schall (so auch der Titel des Albums von Slut: Die Schallnovelle) uns entgegen, auf denen sich dann Gitarren, Handorgeln, Keyboard, Schlagzeug und nicht zuletzt der wunderbare Gesang stapelten. Hören! Alle weiteren Termine auf Sluts myspace.
Oct 5, 2009
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Was habe ich die streetart vermisst! Zwar ist in den Städten des europäischen Südostens ebenfalls Kunst an Hauswänden zu finden, dem ungeschulten Auge fallen aber besonders die einfachen Schriftzüge wie «1389» (Jahr der Schlacht auf dem Amselfeld, Kosovo) oder das durchgestrichene Emblem von EU-MIK/LEX auf. Beim Durchsehen der älteren Beiträge in meinem Reader bin ich richtig überrascht, was in Westeuropa/anderswo so alles passierte.
Klar, da war die Wahl gewesen, und überall, wo deren Plakate hängen, werden sie auch gerne modifiziert oder um hilfreiche Bemerkungen erweitert. Ein Beispiel davon, das es im first life und auf Youtube zu einiger Berühmtheit gebracht hat, war der "Und alle so YEAH"-Flashmob beim Auftritt der Kanzlerin in Hamburg am 18.September (später auch Wuppertal). Auslöser war ein freudiger Zuspruch eines unbekannten streetartKünstlers gewesen.
Yeah-Chöre auf Youtube
Ausserdem: MUTO, a wall-painted animation by BLU
beides von rebel:art
Klar, da war die Wahl gewesen, und überall, wo deren Plakate hängen, werden sie auch gerne modifiziert oder um hilfreiche Bemerkungen erweitert. Ein Beispiel davon, das es im first life und auf Youtube zu einiger Berühmtheit gebracht hat, war der "Und alle so YEAH"-Flashmob beim Auftritt der Kanzlerin in Hamburg am 18.September (später auch Wuppertal). Auslöser war ein freudiger Zuspruch eines unbekannten streetartKünstlers gewesen.
Yeah-Chöre auf Youtube
Ausserdem: MUTO, a wall-painted animation by BLU
MUTO a wall-painted animation by BLU from blu on Vimeo.
beides von rebel:art
Oct 4, 2009
Fast Sarajevo XXVII
In Tivat mimte ich einen Franzosen. Ich gab meinem Englisch einen schnarrenden R-Laut, redete trocken, aber mit einem Singsang, der so musikalisch und fliessend war, dass es klang wie angeboren.
Die Russen haben Budva in Beschlag genommen, von ihnen kommen in den letzten Jahren mehr und mehr in die Küstenstadt am Fjord von Kotor, sie gelangen dorthin mit ihren grossvolumigen Wagenkolonnen oder dem Privatjet. Montenegro hat den Charme von Italien mit französischen und slawischen Sprenkeln, die Städte am Meer sind Ansammlungen von Palazzi, umrahmt von grimmig aussehenden Mauern, die sich bis in die Felshänge über der Bucht hinauferstrecken. Man kann hier alles mieten; von Autos über Clubs und Yachten bis hin zu Learjets für einen kurzen Ausflug an ein anderes Meer, oder einfach bleiben und vom ohrenbetäubenden Musikwirrwarr in den engen Gassen Kotors überrascht werden, das die Bars und Kneipen ab 10 Uhr abends veranstalten. Durch die beengten Verhältnisse durchdringt der Electropop jeden Winkel des Stadtfleckens, nachts gehört der Ort den Jungen.
Die Russen haben Budva in Beschlag genommen, von ihnen kommen in den letzten Jahren mehr und mehr in die Küstenstadt am Fjord von Kotor, sie gelangen dorthin mit ihren grossvolumigen Wagenkolonnen oder dem Privatjet. Montenegro hat den Charme von Italien mit französischen und slawischen Sprenkeln, die Städte am Meer sind Ansammlungen von Palazzi, umrahmt von grimmig aussehenden Mauern, die sich bis in die Felshänge über der Bucht hinauferstrecken. Man kann hier alles mieten; von Autos über Clubs und Yachten bis hin zu Learjets für einen kurzen Ausflug an ein anderes Meer, oder einfach bleiben und vom ohrenbetäubenden Musikwirrwarr in den engen Gassen Kotors überrascht werden, das die Bars und Kneipen ab 10 Uhr abends veranstalten. Durch die beengten Verhältnisse durchdringt der Electropop jeden Winkel des Stadtfleckens, nachts gehört der Ort den Jungen.
Oct 3, 2009
the happening world
«Notausgang, Fenster», sage ich, und die Frau hinter dem Schalter reicht mir die Bordkarte, die ich irgendwie immer als Konzertticket identifiziere. Die 650-Kilometer-Symphonie, zweistimmig, 250 Zuhörer.
Als wir über den nassen Asphalt in Tegel rollen, sehe ich, dass es keinen Finger geben wird. Zuhause warten Rechnungen, Mahnungen und eine Wohnung, in der ich mich nach so langer Abwesenheit fühle wie ein Alien. Ich bin wieder zuhause.
Als wir über den nassen Asphalt in Tegel rollen, sehe ich, dass es keinen Finger geben wird. Zuhause warten Rechnungen, Mahnungen und eine Wohnung, in der ich mich nach so langer Abwesenheit fühle wie ein Alien. Ich bin wieder zuhause.
Sep 29, 2009
Fast Sarajevo XXVI
Kotor, 11. IX
Ich erreichte Montenegro und die erste groessere Stadt nach der Grenze mit der Ungeduld eines Reisenden, der unbedingt noch vor Sonnenuntergang ans Meer und in ein Hostel in Bar, Tivat oder Kotor moechte. Die Touristen, die hier vereinzelt noch herumliefen, hatten groesstenteils Wanderstoecke an ihre Rucksaeche geschnallt; mein Ausflug in der Bergwelt zum Wandern sollte allerdings erst nach dem Besuch der Kuestenstaedten stattfinden.
Ich erreichte Montenegro und die erste groessere Stadt nach der Grenze mit der Ungeduld eines Reisenden, der unbedingt noch vor Sonnenuntergang ans Meer und in ein Hostel in Bar, Tivat oder Kotor moechte. Die Touristen, die hier vereinzelt noch herumliefen, hatten groesstenteils Wanderstoecke an ihre Rucksaeche geschnallt; mein Ausflug in der Bergwelt zum Wandern sollte allerdings erst nach dem Besuch der Kuestenstaedten stattfinden.
tracking with close-ups
Spaete Bilderschau, Serbien.
Bei jedem Kaffee: Wir lernen das kyrillische Alphabet.
Quizfrage in Belgrads Festungsruinen: Wohin schaut diese Statue? (kinderleicht: nach Oesterreich und Ungarn, mit aggressivem und warnenden Blick. laut Rebecca West)
Gehen Sie nicht ueber "LOS": In Nis fuehren die Wege ueberall hin, und eine Entscheidung muss her: Zueruck in Belgrad Clubs, Bulgarien, Kosovo oder direkt Mazedonien?
Dann doch Pristina aka. "Fast Serbien".
Bei jedem Kaffee: Wir lernen das kyrillische Alphabet.
Quizfrage in Belgrads Festungsruinen: Wohin schaut diese Statue? (kinderleicht: nach Oesterreich und Ungarn, mit aggressivem und warnenden Blick. laut Rebecca West)
Gehen Sie nicht ueber "LOS": In Nis fuehren die Wege ueberall hin, und eine Entscheidung muss her: Zueruck in Belgrad Clubs, Bulgarien, Kosovo oder direkt Mazedonien?
Dann doch Pristina aka. "Fast Serbien".
the happening world
Fuer die Schweizer ist die heisseste Frage in dieser Jahreszeit, von wem sie kuenftig verbale Drohungen hinnehmen muss. Bange titeln die Zeitungen: Wer wird Finanzminister? Solms oder zu Guttenberg?
Sep 28, 2009
the happening world
Es reicht gerade fuer ein kurzes Telefonat mit Berlin, von wo aus ich, entgegen anderslautender Voraussagen, vernehmen kann, dass es doch Schwarz-Gelb geworden ist. Thierse sieht geknickt aus, auf seiner Homepage. Der Montag faengt langsam an, Substanz zu kriegen. "Irgendetwas werden wir heute schreiben muessen, zu den Wahlen, damit 'was in der Zeitung steht", kommt es durch die Leitung.
Die erste Dusche im Westen.
edit: Und Titanic hat nicht ganz unrecht, wenn sie berichtet: "Sensation in Berlin: SPD knackt 5-Prozent-Huerde!"
Fuer alles weitere: Vysotsky
Die erste Dusche im Westen.
edit: Und Titanic hat nicht ganz unrecht, wenn sie berichtet: "Sensation in Berlin: SPD knackt 5-Prozent-Huerde!"
Fuer alles weitere: Vysotsky
Sep 26, 2009
Fast Sarajevo XXV
Tirana, 11. 09.
Wieder zurueck im Blloku pendelten Mika und ich zwischen den Bars, die mir noch vertraut waren. Hinter schweren Eisentoren standen Waechter in Khaki, Kalaschnikows unter dem Arm, grimmige Gesichter, die unter Schirmmuetzen hervorlugten. Einen Blick auf die Maenner erhaschte man bloss, wenn gepanzerte Limousinen und Jeeps jene Anwesen verliessen, die solche Tore noetig hatten. Auf der Dachterrasse des "LivingRoom", in den halbdunklen, verschnoerkelten Raeumen in den Etagen darunter, im Garten des Folié mit seinem holzgetaefelten, theateraehnlichen Interieur und den pseudo-steinernen Bloecken voll von Ornamenten, auf denen die Bar ruhte, rammten wir uns in die Polster, die wir dort fanden und fuehlten uns umarmt von der Stadt und ihrem Rhythmus. An den Tischen neben uns sass ein Publikum, dessen Freizuegigkeit wir in den kleineren Staedten Albaniens vermisst hatten. Postmodern. Dralle, zurechtgemachte Damen sassen auf dem Schoessen von Maennern, kurze Roeckchen flatterten durch die Nacht, hautenge Jeans wurden von ihren Traegerinnen die schmalen Treppen hinaufbemueht. Die eckigen Lederhandtaeschchen fuer Maenner - haeufig zu finden in Europas Osten und Sueden - wurden hier gerne ueber die Schulter getragen, die Gesichter waren breit, hart, dunkle Augen lagen unter einer hohen Stirn. Wir tranken viel und rauchten viel, wir wollten die Gedanken an die Busfahrt hierher aus unseren Koepfen verbannen, und auch die Gedanken an den Aufbruch am naechsten Tag, und ueberhaupt alle Gedanken, die von anderen Orten und einer anderen Zeit handelten und andere Leute beinhalteten als uns beide.
Wir gingen zurueck zum Hostel, als das Geraeusch des Stuehlerueckens immer mehr zu vernehmen war zwischen dem Laerm der Konversationen, und wir fuerchteten, dass es bald daemmern wuerde. Wir verbrachten noch eine lange Zeit auf den Sofas in der Pergola des Hostels, im nunmehr stillen Innenhof, umgeben von dem schlafenden Gebaeude, ueber uns, vorbei am Geaest der Limonenbaeume und Weintraubenranken sahen wir bloss den stahlgrauen Himmel der spaeten Nacht, und die unheimlichen Silhouetten der Wohnblocks nicht weit von uns, Reihen ueber Reihen von kleinen, zellaehnlichen Balkonen, von denen einige noch erleuchtet waren.
Wieder zurueck im Blloku pendelten Mika und ich zwischen den Bars, die mir noch vertraut waren. Hinter schweren Eisentoren standen Waechter in Khaki, Kalaschnikows unter dem Arm, grimmige Gesichter, die unter Schirmmuetzen hervorlugten. Einen Blick auf die Maenner erhaschte man bloss, wenn gepanzerte Limousinen und Jeeps jene Anwesen verliessen, die solche Tore noetig hatten. Auf der Dachterrasse des "LivingRoom", in den halbdunklen, verschnoerkelten Raeumen in den Etagen darunter, im Garten des Folié mit seinem holzgetaefelten, theateraehnlichen Interieur und den pseudo-steinernen Bloecken voll von Ornamenten, auf denen die Bar ruhte, rammten wir uns in die Polster, die wir dort fanden und fuehlten uns umarmt von der Stadt und ihrem Rhythmus. An den Tischen neben uns sass ein Publikum, dessen Freizuegigkeit wir in den kleineren Staedten Albaniens vermisst hatten. Postmodern. Dralle, zurechtgemachte Damen sassen auf dem Schoessen von Maennern, kurze Roeckchen flatterten durch die Nacht, hautenge Jeans wurden von ihren Traegerinnen die schmalen Treppen hinaufbemueht. Die eckigen Lederhandtaeschchen fuer Maenner - haeufig zu finden in Europas Osten und Sueden - wurden hier gerne ueber die Schulter getragen, die Gesichter waren breit, hart, dunkle Augen lagen unter einer hohen Stirn. Wir tranken viel und rauchten viel, wir wollten die Gedanken an die Busfahrt hierher aus unseren Koepfen verbannen, und auch die Gedanken an den Aufbruch am naechsten Tag, und ueberhaupt alle Gedanken, die von anderen Orten und einer anderen Zeit handelten und andere Leute beinhalteten als uns beide.
Wir gingen zurueck zum Hostel, als das Geraeusch des Stuehlerueckens immer mehr zu vernehmen war zwischen dem Laerm der Konversationen, und wir fuerchteten, dass es bald daemmern wuerde. Wir verbrachten noch eine lange Zeit auf den Sofas in der Pergola des Hostels, im nunmehr stillen Innenhof, umgeben von dem schlafenden Gebaeude, ueber uns, vorbei am Geaest der Limonenbaeume und Weintraubenranken sahen wir bloss den stahlgrauen Himmel der spaeten Nacht, und die unheimlichen Silhouetten der Wohnblocks nicht weit von uns, Reihen ueber Reihen von kleinen, zellaehnlichen Balkonen, von denen einige noch erleuchtet waren.
Sep 25, 2009
Sep 23, 2009
noch'n Gedicht/Tag
aus: Planet Sarajevo - Abdulah Sidran
I saw a little girl,
On planet Sarajevo,
In the park which was not there
Picking up flowers that were not there!
Death is a thorough reaper,
In vain the girl's tear,
In vain every
Prayer for peace!
In the universe
-its name is Bosnia -
A little girl,
With the hand which she has not,
Picks up the flowers which are not!
I saw a little girl,
On planet Sarajevo,
In the park which was not there
Picking up flowers that were not there!
Death is a thorough reaper,
In vain the girl's tear,
In vain every
Prayer for peace!
In the universe
-its name is Bosnia -
A little girl,
With the hand which she has not,
Picks up the flowers which are not!
Fast Sarajevo XXIV
Tirana. 10.09.
Der Fahrer des Taxis, das uns in die untere Stadt brachte, hatte gute Augen und sah den Bus nach Tirana von Weitem, wie er gerade in die Hauptstrasse einbog und aus Gjirokastra preschte. Etwas ausserhalb der Stadt hatten wir ihn eingeholt, das empoerte, aber nicht boese gemeinte Hupen der vorbeifahrenden Autos begleitete unseren Umsteigevorgang, dann die sechsstuendige Fahrt durch das Tal und ueber leicht bergiges Terrain zurueck in Richtung Hauptstadt. Ich schlief. Der Geruch von Rohoel weckte mich, in einigen Gebieten hier war frueher Oel gefoerdert worden und ganze Landschaftsstriche und Gewaesser waren schwarz davon, teilweise demontierte, kleine Oelbohrtuerme zierten die Gegend wie wahllos gewachsene, seltsame und extrem geometrische Baeume. Zureck im "Hotel Mama" bei Claas und Lira wurden wir herzlich begruesst, wir nahmen uns ein Zimmer und machten uns auf den Weg zu den Kernačka-Buden, die in ehemaligen Garagen eingerichtet waren, wo der Mann am Grill freudig Tisch und Stuehle fuer uns zusammenschob und uns koeniglich bewirtete.
Der Fahrer des Taxis, das uns in die untere Stadt brachte, hatte gute Augen und sah den Bus nach Tirana von Weitem, wie er gerade in die Hauptstrasse einbog und aus Gjirokastra preschte. Etwas ausserhalb der Stadt hatten wir ihn eingeholt, das empoerte, aber nicht boese gemeinte Hupen der vorbeifahrenden Autos begleitete unseren Umsteigevorgang, dann die sechsstuendige Fahrt durch das Tal und ueber leicht bergiges Terrain zurueck in Richtung Hauptstadt. Ich schlief. Der Geruch von Rohoel weckte mich, in einigen Gebieten hier war frueher Oel gefoerdert worden und ganze Landschaftsstriche und Gewaesser waren schwarz davon, teilweise demontierte, kleine Oelbohrtuerme zierten die Gegend wie wahllos gewachsene, seltsame und extrem geometrische Baeume. Zureck im "Hotel Mama" bei Claas und Lira wurden wir herzlich begruesst, wir nahmen uns ein Zimmer und machten uns auf den Weg zu den Kernačka-Buden, die in ehemaligen Garagen eingerichtet waren, wo der Mann am Grill freudig Tisch und Stuehle fuer uns zusammenschob und uns koeniglich bewirtete.
1 Gedicht/Tag
und: in englisch!
fires of sarajevo
Inhabitants of one room conserve even the smoke and ash as if it had arisen from an oracular hearth: they are burning the libraries to keep warm.
A man stands, a book in either hand weighing words in terms of fire; will Donne keep him hotter on the hearth or on the shelf?
Some books are a pleasure to burn; Karadvic's bad poetry ...
Mary Tutwiler
fires of sarajevo
Inhabitants of one room conserve even the smoke and ash as if it had arisen from an oracular hearth: they are burning the libraries to keep warm.
A man stands, a book in either hand weighing words in terms of fire; will Donne keep him hotter on the hearth or on the shelf?
Some books are a pleasure to burn; Karadvic's bad poetry ...
Mary Tutwiler
Sep 22, 2009
Fast Sarajevo XXIII
Gjirokastra, 9.09., morgens zwischen Traeumen und Fruehstueck
Als wir in einem der Strassencafes sitzen, deren Tische und Stuehle sich auf dem schmalen Buergersteig an die Hauswaende schmiegen und zwischen denen die gepflasterten Strassen so schmal verlaufen, dass zwei Autos nur mit einer gehoerigen Portion an Mut aneinander vorbeipassen, gruessen uns die Leute schon wie alte Bekannte. Die anderen Gaeste im Cafe zwinkern uns verschwoererisch zu, als wuessten sie von den vorherigen Stationen unserer Reise und unseren weiteren Plaenen, und die Passanten unterbrechen ihre Gespraeche, um ihre paar Brocken Deutsch, Franzoesisch oder Englisch auszuprobieren, nur um kurz darauf wieder ins Albanische zu verfallen und zu laecheln ob unserer grossen Rucksaecke und unserer dicken Buecher. Und auch wir schmunzeln ueber ihre anarchistische Art, autozufahren, ueber ihr geschaeftiges Treiben, das fruehmorgendliche Begruessen und die ersten Rakijas, die einige der Maenner an den Tischen gegenueber von uns in langsamen, bedaechtigen Zuegen hinunterstuerzen.
Als wir in einem der Strassencafes sitzen, deren Tische und Stuehle sich auf dem schmalen Buergersteig an die Hauswaende schmiegen und zwischen denen die gepflasterten Strassen so schmal verlaufen, dass zwei Autos nur mit einer gehoerigen Portion an Mut aneinander vorbeipassen, gruessen uns die Leute schon wie alte Bekannte. Die anderen Gaeste im Cafe zwinkern uns verschwoererisch zu, als wuessten sie von den vorherigen Stationen unserer Reise und unseren weiteren Plaenen, und die Passanten unterbrechen ihre Gespraeche, um ihre paar Brocken Deutsch, Franzoesisch oder Englisch auszuprobieren, nur um kurz darauf wieder ins Albanische zu verfallen und zu laecheln ob unserer grossen Rucksaecke und unserer dicken Buecher. Und auch wir schmunzeln ueber ihre anarchistische Art, autozufahren, ueber ihr geschaeftiges Treiben, das fruehmorgendliche Begruessen und die ersten Rakijas, die einige der Maenner an den Tischen gegenueber von uns in langsamen, bedaechtigen Zuegen hinunterstuerzen.
Sep 21, 2009
the happening world
Das kosmopolitischste Accessoire der Saison: der Schal (Halstuch geht auch).
Dieses modische Statement, das man auch in den sub-tropischen Kuestenstaeten Dalmatiens versteht, geht ungefaehr so: "Verglichen mit dort, wo ich gerade herkomme, ist es hier kalt."
Empfohlen fuer alle Reisenden mit wenig Erfahrung aber viel zu melden.
Dieses modische Statement, das man auch in den sub-tropischen Kuestenstaeten Dalmatiens versteht, geht ungefaehr so: "Verglichen mit dort, wo ich gerade herkomme, ist es hier kalt."
Empfohlen fuer alle Reisenden mit wenig Erfahrung aber viel zu melden.
Sep 20, 2009
Fast Sarajevo XXII
Auf dem langen Weg aus der verwinkelten, wunderschoenen Hafenstadt Saranda zurueck nach Tirana klingelte mein Handy, es war Allan. Gerade noch rechtzeitig, denn mein Bus schickte sich gerade an, die Stadt zu verlassen, in er er wohnte: Gjirokastra, die Steinstadt im Steintal der Drinos, Geburtsort von Enver Hoxha und Ismail Kadare. Suedlich von Saranda kam nur noch Griechenland, und nachdem sich vor meinen Augen die Pracht der Kueste zwischen Vlore und Saranda entfaltet hatte, war ich eigentlich zufrieden. Das Tal, in dem Gjirokastra liegt, ueberwaeltigte mich dann mit seiner Kulisse. Urspruenglich hatte ich ja fuer einige Monate nach Kasachstan fahren wollen, und dieses Tal war dafuer ein guter Ersatz.
Nach Besichtigung der Festung und der Altstadt traf ich im Cafe am zentralen Platz die Japanerin Mika, die aus Griechenland kommend ebenfalls durch Zufall hier gelandet war. Wenig spaeter stiess Allan zu uns. Allan war ein juedischer, ukrainisch-staemmiger Amerikaner, der als Freiwilliger der amerikanischen Regierung in Georgien stationiert gewesen war, bis dort der Boden bebte und die Russen kamen. Nun war er in Albanien und genauso gluecklich wie im Kaukasus. Sein Albanisch war perfekt, er machte absichtlich Fehler, damit er weiterhin den Auslaender-Bonus bei den Einheimischen bekam und nicht als Landsmann durchging. Wir kochten gemeinsam, tranken albanischen Wein, sassen auf der Terasse seiner Wohnung mit Sicht auf die imposante Festung unter dem nunmehr abnehmenden Mond und beredeten die Dinge, die uns noch unklar waren: Die Geschichte der Stadt und die Ausrichtung der Bunker in der Gegend, von denen Hoxha hunderte in langen Reihen im Tal errichten liess (sie sind nach Griechenland ausgerichtet); der Einfluss von ehemals imperialisitschen Staaten im heutigen Balkan, die Lotterie-Unruhen von 1997 und der Waffenbesitz, die Unfaehigkeit, bleibende Werte in der Zivilgesellschaft zu schaffen, wo doch jeder junge Albaner einfach nur ins Ausland will. Die Hunde der Altstadt stimmen sich im Chor zum naechtlichen Gebell ein.
Nach Besichtigung der Festung und der Altstadt traf ich im Cafe am zentralen Platz die Japanerin Mika, die aus Griechenland kommend ebenfalls durch Zufall hier gelandet war. Wenig spaeter stiess Allan zu uns. Allan war ein juedischer, ukrainisch-staemmiger Amerikaner, der als Freiwilliger der amerikanischen Regierung in Georgien stationiert gewesen war, bis dort der Boden bebte und die Russen kamen. Nun war er in Albanien und genauso gluecklich wie im Kaukasus. Sein Albanisch war perfekt, er machte absichtlich Fehler, damit er weiterhin den Auslaender-Bonus bei den Einheimischen bekam und nicht als Landsmann durchging. Wir kochten gemeinsam, tranken albanischen Wein, sassen auf der Terasse seiner Wohnung mit Sicht auf die imposante Festung unter dem nunmehr abnehmenden Mond und beredeten die Dinge, die uns noch unklar waren: Die Geschichte der Stadt und die Ausrichtung der Bunker in der Gegend, von denen Hoxha hunderte in langen Reihen im Tal errichten liess (sie sind nach Griechenland ausgerichtet); der Einfluss von ehemals imperialisitschen Staaten im heutigen Balkan, die Lotterie-Unruhen von 1997 und der Waffenbesitz, die Unfaehigkeit, bleibende Werte in der Zivilgesellschaft zu schaffen, wo doch jeder junge Albaner einfach nur ins Ausland will. Die Hunde der Altstadt stimmen sich im Chor zum naechtlichen Gebell ein.
Sep 19, 2009
Fast Sarajevo XXI
Vlore. 7.10.
Sinty erreichte mich auf meiner mazedonischen Nummer, die ueber einen albanischen Anbieter lief, just als ich mich dazu entschlossen hatte, Richtung Sueden ans Meer zu fahren. Wir tranken ein letztes Bier im "Radio", einer Kneipe des Blloku. Hier war Nostalgie bereits chic und alte Telefone, Schreibmaschinen und Schirmlampen standen auf antiken Tischen, die Tapeten hatten Kommunismus-cuoleur, Leuchter bestrahlten die Decken in arabesquen Mustern. Anderswo herrschte noch eine grosse Sucht nach der Moderne und es wuerde Jahre dauern, bis der Wert des Alten Sphaeren erreichte wie in Deutschland.
Am naechsten Tag fuhr ich los. Nach drei Stunden Gedudel war ich in Vlore, ich sass auf der Rueckbank eines VW Minibusses eingezwaengt zwischen einem Polizisten und einer jungen Frau. Der staendige, tuerkisch anmutende Folkpop fing an, mir auf die Nerven zu gehen.
Auf halbem Weg zu den schoensten Straenden Albaniens verbrachte ich zwei Naechte in der 120'000 Einwohner zaehlenden Hafenstadt Vlore, ein etwas unmotivierter Versuch, in eine duenner besiedelte Region zu kommen, zumindest ist es in diesem Abschnitt der Kueste sauberer als weiter noerdlich, bei Durres. Molly ueberliess mir ihre Wohnung fuer die Dauer meines Aufenthaltes. Ich fuhr in der Gegend herum, nach Berrat und an die Kiesstraende im Sueden der Bucht und kuemmerte mich doch wenig darum, wo ich war und wohin ich fuhr. Auf Mollys Rat hin nahm ich dann fruehmorgens den Transferbus nach Saranda. Die Kuestenstrasse dorthin ist ein Traum, ebenso wie auch "Saranda" als Traumstadt erscheint, der Bus schlaengelt sich eine steile Passstrasse hinauf, nur um dann auf der anderen Seite in endlosen Serpentinen ueber malerischen Straenden und Buchten voller bunt bemalter Bunker wieder hinabzugleiten.
Sinty erreichte mich auf meiner mazedonischen Nummer, die ueber einen albanischen Anbieter lief, just als ich mich dazu entschlossen hatte, Richtung Sueden ans Meer zu fahren. Wir tranken ein letztes Bier im "Radio", einer Kneipe des Blloku. Hier war Nostalgie bereits chic und alte Telefone, Schreibmaschinen und Schirmlampen standen auf antiken Tischen, die Tapeten hatten Kommunismus-cuoleur, Leuchter bestrahlten die Decken in arabesquen Mustern. Anderswo herrschte noch eine grosse Sucht nach der Moderne und es wuerde Jahre dauern, bis der Wert des Alten Sphaeren erreichte wie in Deutschland.
Am naechsten Tag fuhr ich los. Nach drei Stunden Gedudel war ich in Vlore, ich sass auf der Rueckbank eines VW Minibusses eingezwaengt zwischen einem Polizisten und einer jungen Frau. Der staendige, tuerkisch anmutende Folkpop fing an, mir auf die Nerven zu gehen.
Auf halbem Weg zu den schoensten Straenden Albaniens verbrachte ich zwei Naechte in der 120'000 Einwohner zaehlenden Hafenstadt Vlore, ein etwas unmotivierter Versuch, in eine duenner besiedelte Region zu kommen, zumindest ist es in diesem Abschnitt der Kueste sauberer als weiter noerdlich, bei Durres. Molly ueberliess mir ihre Wohnung fuer die Dauer meines Aufenthaltes. Ich fuhr in der Gegend herum, nach Berrat und an die Kiesstraende im Sueden der Bucht und kuemmerte mich doch wenig darum, wo ich war und wohin ich fuhr. Auf Mollys Rat hin nahm ich dann fruehmorgens den Transferbus nach Saranda. Die Kuestenstrasse dorthin ist ein Traum, ebenso wie auch "Saranda" als Traumstadt erscheint, der Bus schlaengelt sich eine steile Passstrasse hinauf, nur um dann auf der anderen Seite in endlosen Serpentinen ueber malerischen Straenden und Buchten voller bunt bemalter Bunker wieder hinabzugleiten.
Sep 18, 2009
Fast Sarajevo XX
Tirana. 3.09.
Es sind 36grad in Tirana und man spuert jedes einzelne davon, wenn man den grossen Bulevard entlanglaeuft. Der chaotische Verkehr rauscht mit einer atemberaubenden Praezision ueber die an Schlagloechern reichen Strassen. Es gibt hier mehr Autos von Mercedes als im Grossraum Stuttgart. Die enorme, trockene Hitze laesst die Stadt trotz des Smogs in einer extremen Reinheit erscheinen, hier gammelt nichts und schimmelt es nirgends, die Luft ist glasklar, die sandfarbenen Fassaden und saeulengesaeumten Fronten der Ministerien glaenzen makellos.
Schon in Ohrid hatte ich Kadares "Der General der toten Armee" beendet, es war mein drittes Buch von ihm gewesen. Auf der Fahrt durch den bergigen Norden von Albanien hinab in die Ebene suchte ich nun die Bruecken, Abhaenge und steilen Schluchten, die in seinen Geschichten auftauchen, aber was ich sah, war natuerlich nicht das winterliche, kalte und schlammige Albanien, das Kadare beschrieben hatte. Die Landschaft war freundlicher und besass doch noch Anleihen an den altertuemlichen Staat, von dem ich gelesen hatte.
Was Albanien so alles ist, beschreibt Greta Taubert in ihrem Ostprobe-Blog ganz hervorragend, zum Beispiel das mit den Autos: "Es ist eine Liebesgeschichte, wie sie nur in Albanien zu finden ist: der ewige Bund zwischen Albanern und Mercedes Benz."
Noch zwei weitere Dinge.
a) eine Redensart. "In Albanien gibt es fuer den Gast stets Zigaretten auf dem Tisch und eine Frau im Bett."
b) das Martialische: unleugbar ist die grosse Vorliebe der Albaner fuer Schusswaffen jeglicher Art, insbesondere Kalashnikovs, die in laendlichen Gegenden mit dem Mantel an einen Haken gehaengt werden, des Schaefers liebstes Mittel gegen Woelfe sind und in beinahe jeder Soap im Fernsehen aus nicht immer nachvollziehbaren Gruenden von irgendwem auf alle gerade anwesenden Personen gerichtet werden.
Es sind 36grad in Tirana und man spuert jedes einzelne davon, wenn man den grossen Bulevard entlanglaeuft. Der chaotische Verkehr rauscht mit einer atemberaubenden Praezision ueber die an Schlagloechern reichen Strassen. Es gibt hier mehr Autos von Mercedes als im Grossraum Stuttgart. Die enorme, trockene Hitze laesst die Stadt trotz des Smogs in einer extremen Reinheit erscheinen, hier gammelt nichts und schimmelt es nirgends, die Luft ist glasklar, die sandfarbenen Fassaden und saeulengesaeumten Fronten der Ministerien glaenzen makellos.
Schon in Ohrid hatte ich Kadares "Der General der toten Armee" beendet, es war mein drittes Buch von ihm gewesen. Auf der Fahrt durch den bergigen Norden von Albanien hinab in die Ebene suchte ich nun die Bruecken, Abhaenge und steilen Schluchten, die in seinen Geschichten auftauchen, aber was ich sah, war natuerlich nicht das winterliche, kalte und schlammige Albanien, das Kadare beschrieben hatte. Die Landschaft war freundlicher und besass doch noch Anleihen an den altertuemlichen Staat, von dem ich gelesen hatte.
Was Albanien so alles ist, beschreibt Greta Taubert in ihrem Ostprobe-Blog ganz hervorragend, zum Beispiel das mit den Autos: "Es ist eine Liebesgeschichte, wie sie nur in Albanien zu finden ist: der ewige Bund zwischen Albanern und Mercedes Benz."
Noch zwei weitere Dinge.
a) eine Redensart. "In Albanien gibt es fuer den Gast stets Zigaretten auf dem Tisch und eine Frau im Bett."
b) das Martialische: unleugbar ist die grosse Vorliebe der Albaner fuer Schusswaffen jeglicher Art, insbesondere Kalashnikovs, die in laendlichen Gegenden mit dem Mantel an einen Haken gehaengt werden, des Schaefers liebstes Mittel gegen Woelfe sind und in beinahe jeder Soap im Fernsehen aus nicht immer nachvollziehbaren Gruenden von irgendwem auf alle gerade anwesenden Personen gerichtet werden.
1 Gedicht/Tag
Venedig
An der Brücke stand
Jüngst ich in brauner Nacht.
Fernher kam Gesang:
Goldener Tropfen quoll's
Über die zitternde Fläche weg.
Gondeln, Lichter, Musik -
Trunken schwamm's in die Dämmrung hinaus ...
Meine Seele, ein Saitenspiel,
Sang sich, unsichtbar berührt,
Heimlich ein Gondellied dazu,
Zitternd vor bunter Seligkeit.
- Hörte jemand ihr zu? ...
Nietzsche - per lyrikmail #2051 - passend zum gegenwaertigen Aufenthaltsort: MOSTAR
An der Brücke stand
Jüngst ich in brauner Nacht.
Fernher kam Gesang:
Goldener Tropfen quoll's
Über die zitternde Fläche weg.
Gondeln, Lichter, Musik -
Trunken schwamm's in die Dämmrung hinaus ...
Meine Seele, ein Saitenspiel,
Sang sich, unsichtbar berührt,
Heimlich ein Gondellied dazu,
Zitternd vor bunter Seligkeit.
- Hörte jemand ihr zu? ...
Nietzsche - per lyrikmail #2051 - passend zum gegenwaertigen Aufenthaltsort: MOSTAR
Sep 17, 2009
Fast Sarajevo XIX
2.9.
Albanien praesentiert sich auf der Bustour aus karstiges Bergland, duerr, an den Grenzen uebersaeht mit kleinen, pilzfoermigen Bunkern, die Enver Hoxha waehrend seiner Amtszeit errichten liess, nachdem das kommunistische Albanien aus dem Warschauer Pakt ausgetreten war. Diese zementierten Iglus machen aus dem trockenen Land noch kein froehliches Schlumpfhausen, doch der Verschoenerungsstil (Betonblocks werden mit bunten Mustern angemalt) in den Staedten und insbesondere in Tirana traegt seine Fruechte und gibt dem Land einen mediterranen Touch par excellence. Hier wachsen endlich die Palmen, die ich suchte. Das blutrote Banner, das die selbstbewusste Bevoelkerung ueberall aufhaengt, scheint mit seiner Farbe und seinem Motiv des Januskoepfigen Adlers von der martialischen Vergangenheit zu sprechen. Gleichzeitig hat Albanien grosse Schritte in Richtung Moderne unternommen.
Tirana. Diese Stadt weckte als erste den Wunsch zu bleiben. Moeglicherweise lag es an dem exzellenten Hostel, das von einem jungen, albanisch-deutschen Ehepaar betrieben wurde, oder an der erlesenen Gaesteschar, die ausgehwillig und trinkfest war. In einer der Kneipen im Ausgehviertel "Blloku" traf ich Sinty, eine waschechte lettische DJane, die hier haengengeblieben ist, als sie "auf Tour" war. Seitdem arbeitet sie als Graphikdesignerin, neben dem Auflegen. "You know, Devid, modern albanian graphicdesign is inexistant!", saeuselt sie mit ihrem nordischen Akzent. Und sie hat recht. In der Nationalgalerie, die am grossen Boulevard liegt, der Tirana von Norden nach Sueden durchschneidet, kann man sehen, wie sich die vielen Jahre Kommunismus in der Kunst niedergeschlagen haben. Zwar sind die photorealistischen, in warmen Farben gehaltenen Bilder, die mit heroischen Darstellungen den Bau der Elektrizitaetsleitungen, die Schwerindustrie und besonders die Rolle der Frau als Arbeiterin zeigen, nett anzusehen. Die Einheitsmalerei draengte aber ganze Generationen von Kreativen in die kuenstlerische Versenkung. Wer das Leben damals in zweifelhafteren Farben malte, dessen Bilder wurden vom Rat der Schriftsteller und Kuenstler eigenhaendig verboten, ein Berufsverbot folgte meistens. Alles in der Galerie dokumentiert, im dritten Stock.
Durch gute Verbindungen hatte Sinty schon die Wahlkampfauftritte der Parteien gestaltet, an Auftraegen mangelte es nicht. Wir zahlten. Wieder klimperten Muenzen einer neuen Waehrung in meiner Tasche. "Blloku" war einst das Wohnviertel der Parteisekraetere und hohen Funktionaere gewesen. Nach dem Regimewechsel und Sturz von Ramiz Alia 1990 hatte es die Bevoelkerung in Beschlag genommen, jetzt fanden sich dort glitzernde Buerotuerme und die hoechste Kneipendichte auf dem Balkan.
Albanien praesentiert sich auf der Bustour aus karstiges Bergland, duerr, an den Grenzen uebersaeht mit kleinen, pilzfoermigen Bunkern, die Enver Hoxha waehrend seiner Amtszeit errichten liess, nachdem das kommunistische Albanien aus dem Warschauer Pakt ausgetreten war. Diese zementierten Iglus machen aus dem trockenen Land noch kein froehliches Schlumpfhausen, doch der Verschoenerungsstil (Betonblocks werden mit bunten Mustern angemalt) in den Staedten und insbesondere in Tirana traegt seine Fruechte und gibt dem Land einen mediterranen Touch par excellence. Hier wachsen endlich die Palmen, die ich suchte. Das blutrote Banner, das die selbstbewusste Bevoelkerung ueberall aufhaengt, scheint mit seiner Farbe und seinem Motiv des Januskoepfigen Adlers von der martialischen Vergangenheit zu sprechen. Gleichzeitig hat Albanien grosse Schritte in Richtung Moderne unternommen.
Tirana. Diese Stadt weckte als erste den Wunsch zu bleiben. Moeglicherweise lag es an dem exzellenten Hostel, das von einem jungen, albanisch-deutschen Ehepaar betrieben wurde, oder an der erlesenen Gaesteschar, die ausgehwillig und trinkfest war. In einer der Kneipen im Ausgehviertel "Blloku" traf ich Sinty, eine waschechte lettische DJane, die hier haengengeblieben ist, als sie "auf Tour" war. Seitdem arbeitet sie als Graphikdesignerin, neben dem Auflegen. "You know, Devid, modern albanian graphicdesign is inexistant!", saeuselt sie mit ihrem nordischen Akzent. Und sie hat recht. In der Nationalgalerie, die am grossen Boulevard liegt, der Tirana von Norden nach Sueden durchschneidet, kann man sehen, wie sich die vielen Jahre Kommunismus in der Kunst niedergeschlagen haben. Zwar sind die photorealistischen, in warmen Farben gehaltenen Bilder, die mit heroischen Darstellungen den Bau der Elektrizitaetsleitungen, die Schwerindustrie und besonders die Rolle der Frau als Arbeiterin zeigen, nett anzusehen. Die Einheitsmalerei draengte aber ganze Generationen von Kreativen in die kuenstlerische Versenkung. Wer das Leben damals in zweifelhafteren Farben malte, dessen Bilder wurden vom Rat der Schriftsteller und Kuenstler eigenhaendig verboten, ein Berufsverbot folgte meistens. Alles in der Galerie dokumentiert, im dritten Stock.
Durch gute Verbindungen hatte Sinty schon die Wahlkampfauftritte der Parteien gestaltet, an Auftraegen mangelte es nicht. Wir zahlten. Wieder klimperten Muenzen einer neuen Waehrung in meiner Tasche. "Blloku" war einst das Wohnviertel der Parteisekraetere und hohen Funktionaere gewesen. Nach dem Regimewechsel und Sturz von Ramiz Alia 1990 hatte es die Bevoelkerung in Beschlag genommen, jetzt fanden sich dort glitzernde Buerotuerme und die hoechste Kneipendichte auf dem Balkan.
Sep 16, 2009
Fast Sarajevo XVIII
Охрид - 30.08.
Meine Vermietering klopfte um kurz nach fuenf nachmittags an meine Tuer und weckte mich aus Traeumen, in denen ich mich anderswo verortet hatte, aber sicherlich nicht hier, in einem Bett in der Altstadt von Ohrid. Es hatte kurz geregnet und die spaetsommerliche Dusche liess die Pflastersteine der Strassen matt glaenzen. Als ich aus dem Haus ging, in dem ich ein kleines Zimmer mit Balkon mietete, fand ich mich im geschaeftigen Treiben der Einwohner wieder, Touristen waren nur noch wenige in der Stadt. Ich machte eine Runde durch einige der orthodoxen Kirchen, es soll einst 356 davon in Ohrid gegeben haben, eine fuer jeden Tag! In allen, die ich besuchte, fanden gerade Hochzeiten statt. Spaeter, als ich beim Eindunkeln vor der Sveta Sofija sass, erklang rechts der froehliche Gesang einer Gaesteschar aus einem Restaurant, von links der Folk-Pop des Festivals und von hinter mir, aus einer Bar, Blues. Die Tage vergehen ereignislos, genau wie ich es wuenschte, der See ist wellig und scheint dunkel, immer oefters haengen schwere Wolken drohend von Norden in unsere Bucht, und der Horizont ueber dem See ist schon seit Tagen in Dunst getaucht. Das Thermometer in der Fussgaengerzone haelt an seinen 35grad fest. Die Maenner mit den weissen Westen putzen ihre Jetskies, die jetzt, mit dem schwindenden Strom an Touristen, kaum mehr in Anspruch genommen werden. Auch die Hauptstaedter reisen langsam ab. Ich stelle mir Regenzeit am adriatischen Meer vor, in der Hafenstadt Vlore.
Meine Vermietering klopfte um kurz nach fuenf nachmittags an meine Tuer und weckte mich aus Traeumen, in denen ich mich anderswo verortet hatte, aber sicherlich nicht hier, in einem Bett in der Altstadt von Ohrid. Es hatte kurz geregnet und die spaetsommerliche Dusche liess die Pflastersteine der Strassen matt glaenzen. Als ich aus dem Haus ging, in dem ich ein kleines Zimmer mit Balkon mietete, fand ich mich im geschaeftigen Treiben der Einwohner wieder, Touristen waren nur noch wenige in der Stadt. Ich machte eine Runde durch einige der orthodoxen Kirchen, es soll einst 356 davon in Ohrid gegeben haben, eine fuer jeden Tag! In allen, die ich besuchte, fanden gerade Hochzeiten statt. Spaeter, als ich beim Eindunkeln vor der Sveta Sofija sass, erklang rechts der froehliche Gesang einer Gaesteschar aus einem Restaurant, von links der Folk-Pop des Festivals und von hinter mir, aus einer Bar, Blues. Die Tage vergehen ereignislos, genau wie ich es wuenschte, der See ist wellig und scheint dunkel, immer oefters haengen schwere Wolken drohend von Norden in unsere Bucht, und der Horizont ueber dem See ist schon seit Tagen in Dunst getaucht. Das Thermometer in der Fussgaengerzone haelt an seinen 35grad fest. Die Maenner mit den weissen Westen putzen ihre Jetskies, die jetzt, mit dem schwindenden Strom an Touristen, kaum mehr in Anspruch genommen werden. Auch die Hauptstaedter reisen langsam ab. Ich stelle mir Regenzeit am adriatischen Meer vor, in der Hafenstadt Vlore.
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